Die »Kaffeemühle« in Zitzschewig

Ein Nachruf von Katja Leiteritz

Als meine Eltern vor 22 Jahren begannen, ein Teil des Steilhanges am Paulsberg aufzu­reben, begegnete mir die »Kaffeemühle« erstmalig. Wie so oft bei Namens­gebungen aus dem Volks­mund hatte man den Nagel sehr liebevoll auf den Kopf getroffen.

Späterhin zog ich nach Zitzschewig und jeden meiner Gäste legte ich nicht nur das Hohenhaus und den Zechstein ans Herz, sondern auch die Kaffeemühle. Als Land­marke weithin sichtbar, diente sie uns zur Orientierung vom Linkselbischen aus. Denn im Gegensatz zu Hohenhaus oder Krapenburg war die Kaffeemühle ob ihrer einsamen Lage im Wein­berg und ihrer prägnanten Form immer leicht zu finden. Wenn wir im Zug sitzend die Kaffeemühle entdeckten – und das gelang den Kindern bereits in sehr jungen Jahren – hieß es: »Sachen einpacken, wir sind zu Hause!«.

Im April dieses Jahres wurde die Kaffeemühle durch die »Weingut und Weinstube Hoflössnitz Betriebsgesellschaft mbH« abgerissen, wohl um den umliegenden Weinberg besser bewirt­schaften zu können und erforderliche Sanierungskosten zu sparen.

Für mich war dies Anlass, in Gedenken an den liebgewonnen »Weggefährten« die Bauakte zu sichten.

Begonnen hat alles 1927, als Regierungsrat a. D. Dr. jur. Adolph Gleitsmann, damaliger Besitzer des Weinguts Paulsberg, die Errichtung einer Feldscheune auf seinem Weinberg beantragte. Der Bau war für ihn äußerst dringlich, »um sein Heu trocken lagern zu können«. Ob­wohl der damalige Stadtrat von Kötzschenbroda keine Bedenken gegen das Vorhaben erkennen konnte, wandte er sich doch an den Landesverein Sächsischer Heimatschutz zur Begutachtung. Am 24. 11. 1927 antwortet Dr. Gerhardt, Re­gierungsbaurat, in einem Schreiben: »Die Form des Stall- und Scheunengebäudes ist interessant und auf die ländliche Umgebung gestimmt.«

Südansicht der Feldscheune, Planung 1927

Als Gegenleistung für die Genehmigung wurde Dr. Gleitsmann seitens des Stadtrates allerdings verpflichtet, beim geplanten Ausbau des Talkenberger ­Weges kostenfrei Land abzutreten. Der Straßenbau erfolgte jedoch nie.

1934 unternahm Dr. Gleitsmann dann bereits den ersten Versuch zum Ausbau der Scheune mit Wohnungen. Dieser wurde abgelehnt, da »die notwendigen Fenster und Anbauten dem Gebäude seinen Charakter als Scheune nehmen und ein architektonisch unver­ständliches und da­her unbefriedigendes wohnhausartiges Gebilde entstehen« würde.

Im Januar 1938 untermauert Dr. Gleitsmann sein Vorhaben mittels »Zeichnungen zum Einbau zweier Kleinwohnungen in die Feldscheune des Gutes Paulsberg« durch den Architekten und Baumeisters E. Wendt aus Coswig.

Erster Entwurf zum Einbau zweier Kleinwohnungen in die Feldscheune des Guts "Paulsberg" vom 30. 12. 1937, Südansicht

Auch dieses Mal wird der Landesverein Sächsischer Heimatschutz in das Verfahren einge­schaltet. Am 29. 01. 1938, so ist zu lesen, fand ein »Beratungsgespräch zur Gestaltung von Türen und Fenstern« statt. Während des Gespräches wird auch die Ausbildung des Zeltdaches angemahnt.

Trotz der darauf folgenden Befürwortung durch den Sächsischen Heimatschutz lehnte das Stadtbauamt Radebeul am 8. 2. 1938 das Vorhaben aus guten Gründen ab. Alles in allem sollte es überarbeitet und neue Pläne eingereicht werden.

Den genannten Forderungen kam der Bauherr recht zügig nach und legte die Planung »der Kaffeemühle« vor.

Endgültiger Entwurf der „Kaffeemühle“ vom 4. 3. 1938, links: Südansicht, rechts: Nordansicht

Die Baugenehmigung wird am 4. 3. 1938 unter den »baurechtlichen Verpflichtungen a) innerhalb von zwei Jahren das Zeltdach zu errichten und b) weiterhin kostenfrei Land beim Ausbau des Talkenbergerweges abzutreten«, erteilt.

Am 24. 3. 1938 erhob Dr. Gleitsmann jedoch, aus mir noch nicht ersichtlichen Gründen Rekurs, was zu einem Baustopp führte. Dieser wurde am 21. 4. 1938 un­ter weiteren Auf­lagen aufgehoben. Die Fassade des Erdgeschosses sollte nun verputzt und nur das Obergeschoss mit einer Holz­schalung ausgebildet werden.

Auch darüber konnte man sich schnell einig werden, denn bereits am 8. 9. 1938 erfolgt die »Ingebrauchnahme«. Allerdings gab es immer noch offene Forderungen – »der Abort im Erdgeschoss war noch aufzustellen, Planzeichnungen zum Dachgeschoss nachzureichen, die Treppe zur Bodenkammer mit feuerhemmenden Material zu verkleiden und die Sammelgrube zu errichten«.

Der letzte Eintrag in der Bauakte er­folgte am 11. 10. 1940 – das versprochene Zeltdach war fertig gestellt, welch Glück!

Worin die wirkliche Notwendigkeit für den Bau einer Feldscheune 1927 bestand, bleibt für mich unklar. Ob der Weinberg damals eine Heuwiese war, konnte ich den Akten nicht entnehmen. Der Preis für die Genehmigung der Scheune, das kostenfreie Abtreten von Land, erscheint mir aus heutiger Sicht jedoch unverhältnismäßig. Das nach nur sieben Jahren ei-
ne Umnutzung beantragt wurde, lässt Vorsatz oder aber Turbulenzen erahnen. Sicher ist, dass in dieser Zeit
große Wohnungsnot herrschte und Zwangs­zuweisungen an der Tagesordnung standen.

Der durch den Abriss entstandene Verlust von Vertrautem geht für mich über das »Bauwerk« mit seiner markanten Lage und Erscheinung, seinen ausgewogenen Proportionen und seines Kosenamen hinaus. Es gibt diese Dinge im Leben, die eine wahre Ketten­reaktion von Erinnerungen hervorrufen. Da ich einer Generation angehöre, die Kaffeemühlen bei den Großeltern noch in Ge­brauch sahen und verwendeten, drängen sich mir mit dem Be­griff weitere Erinnerungen auf – der Duft von frisch gemahlenem Kaffee, Eierkuchen und Zucker & Zimt, die Kü­che meiner Großmutter mit Ausziehs­püle, der ko­chende Wassertopf auf dem Ofen, das schluckweise Aufgießen des Kaffees…

Ob der wirtschaftliche Aufschwung für den in den letzten 10 Jahren recht unge­pflegten Weinberg nun zügiger vor­anschreiten wird, bleibt abzuwarten.

Quelle:
Stadtarchiv Radebeul/ Bauarchiv, Gohliser Straße 1, Bauakte Talkenberger Weg 6 (1927-51)

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