Über Kunst und vieles andere mehr

Zu Besuch bei einem Geburtstagskind

Die Treppe ist so steil wie immer. Der Raum unterm Dach über der Stadtgalerie ist so voll wie eh und je. Kataloge und Fachbücher; Akten und Kuriositäten; Plakatrollen und Pappkartons; Zeitschriften und Zeitungen; Bilderrahmen und Grafikschränke; dazwischen Computer, Drucker,Telefon,Terminplaner. Hier arbeitet sie also, wenn es sein muss auch am Abend und am Wochenende. Hier kreiert sie also ihre Ideen, wenn es Not tut auch im Widerstand gegen Stillstand und Bequemlichkeit. Hier denkt sie also vor und zurück, quer und über, aus und vorbei.1-gerhardt
Obwohl wir uns regelmäßig zu den Redaktionssitzungen der „Vorschau“ sehen, ist ein offizieller Termin bei Karin Gerhardt im Kulturamt doch noch einmal etwas anderes. Da heißt es pünktlich sein – auch wenn sie es oft nicht ist. Da heißt es gut vorbereitet sein, denn sie ist es immer. Nun also, hier bin ich. Wir hatten ein Gespräch vereinbart, das unsere besondere Beziehung widerspiegeln soll. Sie die reife Großmutter mit der Neigung zur Übertreibung, ich der (in ihren Augen!) fast noch jugendliche Mann mit Hang zur Ironie. Ob das wohl gut geht?

Karin, du feierst in diesem Monat deinen 60. Geburtstag, leitest seit fast 30 Jahren die Radebeuler Stadtgalerie, schreibst seit 20 Jahren für die „Vorschau“, tauchst an Orten auf, wo man dich nicht vermutet und mischst dich immer wieder in Dinge ein, die dich eigentlich gar nichts angehen müssten. Wie wird man so wie du bist?
Diese Frage überrascht mich jetzt doch etwas, lass mich darüber erstmal kurz nachdenken… Also ein wenig unangepasst und neugierig war ich schon als Kind. Meine Sozialisation erfolgte in einer kleinen Villa auf der Karl-Liebknecht-Straße mit Gartenberg, Zierteich, Obstspalier, Laube und Veranda, umgeben von älteren alleinstehenden Frauen: einer Klavierlehrerin, einer Architektenwitwe und einer malenden Fabrikbesitzerin mit dazugehöriger Haushälterin und einem Sohn, der sich aus Liebeskummer umgebracht haben soll. Zeitgeist sah damals in der DDR anders aus. Das innigste Verhältnis hatte ich jedoch zu meiner Großmutter. Sie und meine Mutter waren in Dresden „ausgebombt“ und hatten in Radebeul zunächst Aufnahme und schließlich ein neues zu Hause gefunden. Die Enge des Wohnraumes wurde durch eine „Hütte“ im Bilz-Bad kompensiert. Hier waren Freiheit und Abenteuer, gute Luft und das wunderbare Wellenbad! Trotzdem blieb Dresden für meine Großmutter der kulturelle Sehnsuchtsort und so fuhren wir so oft es die Zeit erlaubte mit der Straßenbahn durch die Ruinen zu Konzerten, Ausstellungen und Ballettaufführungen. Dort sang sie auch mit ihrer Schwester im Beethovenchor, der für eine bestimmte Zeit von dem damals noch sehr jungen Kurt Masur geleitet wurde. Kultur gehörte irgendwie immer dazu. Später mischte sich dann für mich die Theaterluft der Landesbühnen mit dem Duft von frisch Geräuchertem. Denn mein Vater war über viele Jahre Verkaufsstellenleiter in der Fleischerei an der „Goldenen Weintraube“, wo man über den Hinterhof auch in die Räume des Theaters gelangen konnte. Während also der schöngeistige Einfluss hauptsächlich von großmütterlicher Seite kam, habe ich die bodenständige Robustheit und den positiven Pragmatismus wohl eher von meinem Vater mitbekommen. Dass ich in meinem späteren Leben einmal einer Galerie vorstehen würde, hatte man mir allerdings nicht in die Wiege gelegt. Nun ja, auch verschlungene Wege führen zum Ziel. Nachdem ich mich u.a. als Wurst- und Schmuckverkäuferin, als Fabrik- und Weinbergsarbeiterin erprobt hatte, absolvierte ich schließlich ein Studium an der Pädagogischen Hochschule und schrieb im Wissenschaftsbereich Kunstgeschichte bei Prof. Heinz Quinger meine Diplomarbeit über Malerei und Grafik in Radebeul. Als ich dann im Juni 1984 die Leitung der Stadtgalerie übernehmen durfte, war ich überglücklich.

Welche Eigenschaften sind wichtig, um knapp 30 Jahre Stadtgaleristin von Radebeul sein zu können?
Den Begriff „Stadtgaleristin“ gibt es eigentlich gar nicht. In meinem Funktionsplan steht offiziell „Sachgebietsleiterin für Kunst- und Kulturförderung“, was die allgemeine Kunst- und Kulturförderung sowie die Leitung von Stadtgalerie, Kunstsammlung und Heimatstube Kötzschenbroda einschließt. Eine Zeit lang war ich sogar für den Tourismus zuständig. Was die Galerie anbelangt, stand gleich zu Beginn die Erkenntnis, dass Galerie und Stadt einander wechselseitig bedingen. Daraus leiten sich alle Projekte ab. Wenn es um die Eigenschaften geht, die man braucht, um in der Kultur über einen langen Zeitraum erfolgreich arbeiten zu können, so sind das klare Zielvorstellungen, ein fester Wille, Orts-, Fach- und Menschenkenntnis, sichere Instinkte, Durchsetzungsvermögen, Realitätssinn, Weit- und Umsicht, eine ausschweifende Fantasie und vor allem sollte man den Glauben an das „Gute, Wahre und Schöne“ niemals verlieren. Und das allerwichtigste überhaupt ist eine verständnisvolle Familie.

Warum sollten sich die Radebeuler für Kunst interessieren, obwohl sie ihre Zeit mit viel Nützlicherem verbringen könnten?
Gegenfrage: Was verstehst du unter nützlich? Ist es nützlicher zu Shoppen, zu Brunchen, zu Joggen, im Solarium zu braten oder bei einer Kreuzfahrt zu kentern als einen Teil der Freizeit damit zu verbringen, Musik zu hören, Bilder anzuschauen, ein Buch zu lesen und sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen?

Welche Gefühle überkommen dich beim Namen „Theodor Rosenhauer“?
Gefühle wohl weniger, schon eher Erinnerungen. Ich hatte die Gelegenheit ihn in seinem Wohnatelier auf der Teichstraße in Dresden-Trachau besuchen zu dürfen und war sehr erstaunt, wie spartanisch er dort lebte. Da lag in allem so eine Klarheit. Später sah ich ihn auch noch einige Male in Radebeul. Kurz nachdem Rosenhauer in Berlin verstorben war, konnte ich in den Dresdner Räumen noch einige Aufnahmen machen, u.a. auch von seiner legendären Modellpuppe. Unbestritten gehört Rosenhauer zu den bedeutendsten Vertretern der Dresdner Malkultur. Um jedoch noch einmal auf meine Gefühle zurückzukommen, beziehen sie sich vor allem auf die Künstler, mit denen ich über Jahrzehnte eng zusammengearbeitet habe.

Mal angenommen, du könntest im städtischen Auftrag 100.000 Euro für Kunstankäufe ausgeben: Welcher Künstler dürfte dafür die Rechnung stellen?
Bei weit über einhundert toten und lebenden  (Bildenden) Künstlern, die in der Lößnitz gewirkt haben bzw. wirken, ist das eine recht knifflige Angelegenheit. Eines der Stillleben mit Brot sowie ein paar Lößnitzmotive von Theodor Rosenhauer hätte ich schon ganz gern in der Städtischen Kunstsammlung. Fakt ist aber auch, dass wir in Radebeul viel zu spät mit dem zielgerichteten Sammeln begonnen haben. Und es ist zu vermuten, dass die Bedeutung einer Städtischen Kunstsammlung auch heute noch nicht von allen Radebeuler Bürgern erkannt worden ist. Hin und wieder bekommen wir zu hören: Kunst und Kultur muss man sich leisten können oder das können wir doch später machen, wenn alle Kindergärten und Schulen saniert und alle Schlaglöcher verfüllt sind. Dabei ist das für mich eigentlich nur eine Frage der Relationen. Also die 100.000 Euro finde ich bei der gegenwärtigen Haushaltslage total überzogen. Mit den jährlich zur Verfügung stehenden 2.000 Euro haben wir auch schon etwas bewirken können. Auf einen echten Rosenhauer müssten wir mit diesem Budget allerdings über 10 Jahre sparen. Das wir die viel beachteten Gedenkausstellungen zu Leben und Werk von Gussy Ahnert-Hippold, Paul Wilhelm und Karl Kröner zeigen konnten, ist vor allem auch der großzügigen Unterstützung durch private und öffentliche Sammlungen zu danken.

Welche Talente und Eigenschaften rechtfertigen eigentlich deine ununterbrochene Mitarbeit bei „Vorschau und Rückblick“ seit deren Wiedergründung im Mai 1990?
Da wirst du dich jetzt vielleicht etwas wundern. Bezogen auf die „Vorschau“ triumphiert seit über 20 Jahren mein ausgeprägtes Sendebewusstsein über meine notorische Schreibfaulheit.

Worauf führst du deine Streitlust und Meinungsgewissheit zurück, die ja auch mancher Redaktionssitzung Würze gibt?
Oh, dafür kann ich gar nichts! Das sind meine Gene. Großmutter Gretl, Großtante Elly und Großonkel Max waren fleißige Eingaben- und Leserbriefschreiber. Daran habe ich heute noch meinen Spaß, wenn ich zufällig darauf stoße.

Mit zunehmendem Alter soll man ja immer gelassener werden. Trifft das auch auf dich zu oder gibt es Dinge über die du dich noch so richtig aufregen kannst?

Am meisten rege ich mich über mich auf, wenn ich mich aufrege. Was ich absolut nicht ausstehen kann ist Dummheit gepaart mit Arroganz oder wenn einer schon am Boden liegt und es wird noch einmal so richtig nachgetreten.

Wie fühlt es sich an, einerseits Angestellte der Stadt zu sein, andererseits vermittels der Zugehörigkeit zum Team der „Vorschau“ auch als ein unabhängiges Sprachrohr für Kunst und Kultur zu agieren?
Dieses Problem war 1990 als die Vorschau wiederbelebt wurde glücklicherweise keines und wird ja wohl hoffentlich nie wieder zu einem Problem werden, denn zwischen Duckmäusertum und Loyalität besteht für mich ein gravierender Unterschied. Außerdem finde ich, dass meine Beiträge größtenteils fachbezogen und (viel zu) brav sind.

Welchen Wunsch dürften dir der OB, Stadtrat und Verwaltung im Hinblick auf dein Tätigkeitsfeld erfüllen, wenn sie noch auf der Suche nach einem passenden Geschenk für deinen runden Geburtstag sein sollten?
Das wäre eine Bestandsgarantie für Stadtgalerie, Kunstsammlung, Heimatstube und Grafikmarkt.

Wer wird denn später mal tun, was du jetzt noch tust, wenn du es nicht mehr tun darfst? Sprich: Wie geht es weiter, wenn du ein letztes Mal von Amts wegen im Amt gewesen sein wirst?
Nun lass mal die Kirche im Dorf. Die DDR-Zeiten sind längst vorbei, als die Frauen mit 60 in Rente gegangen sind. Regulär bleiben mir noch fünf Jahre und sieben Monate. Da lässt sich noch allerhand in Bewegung setzen. Wer danach was von Amts wegen tun darf, liegt nicht in meiner Hand. Wünschen würde ich mir eine(n) passende(n) Nachfolger(in) mit gleitender Arbeitsübergabe. Unter passend verstehe ich dabei keinen einseitigen Spezialisten, sondern einen agilen „Allrounder“ mit solidem Fachwissen und einem weiten Herz für Radebeuler Kunst und Künstler. Naja, und das Loslassen haben wir ja schon mit der Radebeuler Kasperiade geprobt. Dem neuen Team wünschen wir am neuen Ort einen guten Start. Alles ist Anfang.

Vorletzte Frage: Wie definierst du „Radebeul“?
Das hättest du mich jetzt nicht fragen dürfen, denn eine kurze Antwort wird das ganz bestimmt nicht. Angefangen bei dem Namen „Radebeul“ fände ich es gar nicht schlecht,  Rad und Beil als Symbole für Bewegung und Tatkraft  zu interpretieren. Mit den Deutungsmöglichkeiten des Wortes RAD in unserem Stadtnamen werden sich auch die über dreißig Teilnehmer des diesjährigen Sommerprojektes unter dem Motto „RAD, RAD, RADebeul“ auseinandersetzen.
Aber du willst ja bestimmt meine ganz private Meinung wissen. Radebeul ist für mich so etwas wie ein gutes Kunstwerk. Kaum meint man eine Ebene entschlüsselt zu haben, dringt man auch schon zur nächsten vor und steht wiederum vor neuen Rätseln. Radebeul ist trotz seiner Zerrissenheit eine sehr anmutige Stadt mit Tradition und Seele, was sich auch auf die Bewohner überträgt. Vor allem aber ist Radebeul meine Heimat. Hier bin ich geboren, in den Kindergarten und die Schule gegangen. Die Umzüge fanden immer nur von Häuserecke zu Häuserecke statt. Die Zeit brachte es allerdings mit sich, dass viele Menschen, Geschäfte, Ausflugsgaststätten, die drei Kinos und sechs Kulturhäuser nur noch in meinem Kopf existieren. Doch das ist Vergangenheit. Und da ich bekanntermaßen sehr neugierig bin, interessiert mich natürlich alles, was in unserer Stadt an Neuem entsteht. Um die innerstädtische Kommunikation zu befördern, haben wir solche Veranstaltungsreihen wie „Radebeuler Begegnungen“ und „Basiskultur im Dialog“ ins Leben gerufen. Auch die Aktivitäten zum 75. Stadtgeburtstag trugen zur innerstädtischen Selbsterkenntnis bei. Aber jetzt spricht aus mir ja schon wieder die Amtsperson.

Letzte Frage: In welcher Weise wünschst du deine recht eigenwillige Kleiderordnung – ausschließlich weit geschnittene schwarze Gewandungen – interpretiert zu sehen?
Lieber Bertram, ich wusste bisher noch gar nicht, dass du dich so sehr für Mode interessierst. Um dir aber keine Antwort schuldig zu bleiben, nur so viel zu diesem Thema: Ich habe schlichtweg keine Lust, das einmal als richtig Erkannte (das gilt nur für die Bekleidung!) jeden Tag aufs Neue in Frage zu stellen. Alle meine Kleidungsstücke sind miteinander kombinierbar und in mehrfacher Ausfertigung vorhanden. Den einzigen Luxus bilden die ständig wechselnden Ohrringe sowie hin und wieder, quasi als Sahnehäubchen, ein neckischer Hut.

So das hätte ich geschafft. Nett war´s. Es ist 20.47 Uhr. Den restlichen Abend lassen wir bei einem Glas Wein im Biergarten ausklingen. So viel Zeit muss sein.

Alles Gute und herzliche Glückwünsche zum Jubiläum von allen deinen Mitstreitern der Redaktion von „Vorschau und Rückblick“!
Im Namen von uns allen durfte dich besuchen und interviewen
Bertram Kazmirowski

 

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