Wo einst Kanonen standen. Das „Dichterviertel“ an der Radebeuler Waldstraße

Kaum einer der Mieter oder Eigentümer eines Heimes in der waldnahen Lage des Radebeuler Dichterviertels weiß, was sich vor über 75 Jahren dort befand. Ein Zeitzeugenbericht:

Im Jahre 1942, dem dritten Kriegsjahr des Zweiten Weltkrieges, bekamen einige Häuser in der Nähe der Radebeuler Waldstraße nahe dem Waldrand der ’Jungen Heide’ Einquartierung von Flaksoldaten. Diese errichteten am Waldrand (Junge Heide) südlich der Waldstraße zuerst eine Baracke, die sie dann bezogen. Es entstand eine Flakstellung für sechs schwere Geschütze, mit Befehlsstand, Feuerleitstelle, Munitionsbunker, Wohnbaracken und Küche. Die Stellung wurde von regulären Flaksoldaten besetzt und war feuerbereit. Aber auch personalmäßig unterbesetzt! So wurden zu Flakhilfsdiensten aus Betrieben wehrfähige Männer, die (durch die Kriegswichtigkeit ihrer Arbeit in den Betrieben) nicht eingezogen waren, als so genannte “Flakwehrmänner“ dienstverpflichtet.

Ein schweres Geschütz in der Stellung wird mit einer 8,8 cm Granate geladen Foto: E. Sennewald

Ein schweres Geschütz in der Stellung wird mit einer 8,8 cm Granate geladen
Foto: E. Sennewald

Diese arbeiteten tagsüber in ihren Betrieben und hatten abends in der Flakstellung zu erscheinen. Da zu diesem Zeitpunkt die englischen Flieger fast nur nachts kamen, sollte somit die Feuerbereitschaft zumindest nachts voll gewährleistet sein. Doch immer mehr wehrtüchtige Männer wurden an der Front gebraucht und einberufen. In den Betrieben mussten verstärkt Fremdarbeiter und Kriegsgefangene die Arbeit verrichten. Es dauerte aber nicht lange und dann mussten die heranwachsenden jungen Männer aus den Gymnasien diese Flakwehrmänner ablösen, natürlich auch in Radebeul. Laut Kriegstagebuch des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) ordnete Hitler am 20. September 1942 die Aufstellung einer “Flakmiliz“ aus Jugendlichen an. Ab dem 6. Januar 1943 wurden 15 und 16-jährige Schüler der Gymnasien zum “Kriegshilfseinsatz der deutschen Jugend in der Luftwaffe“ herangezogen.

Einige »unserer« Luftwaffenhelfer vor der Mannschatsbaracke Foto: E. Sennewald

Einige »unserer« Luftwaffenhelfer vor
der Mannschatsbaracke
Foto: E. Sennewald


So auch im Radebeuler Realgymnasium (Hans-Schemm-Oberschule für Jungen) an der Steinbachstraße. Diese Schüler besuchten vormittags in unserem Gymnasium den Unterricht. Bei zu erwartender Gefechtsbereitschaft der Heimatflakbatterie wurde die Schule (vom Befehlsstand Dresden?) benachrichtigt. Nach einem gesonderten Klingelzeichen mussten sich die Luftwaffenhelfer (so der offizielle Begriff, wir Mitschüler sagten: die “Heimatflaxer“) per Fahrrad schnellstens in die Stellung nahe der Waldstraße begeben. Dort waren unsere Mitschüler kaserniert, wo sie in Mannschaftsbaracken schliefen. Für den Dienst als Luftwaffenhelfer bekamen die Heimatflaxer keinen Sold, also keine finanzielle Vergütung. Der Dienst war “ehrenamtliche Pflicht!“
Heimatflakstellung Radebeul Waldstraße bis Anfang Juli 1944 mit sechs Geschützen Bild: E. Sennewald

Heimatflakstellung Radebeul Waldstraße bis Anfang Juli 1944 mit sechs Geschützen
Bild: E. Sennewald


Der Batteriechef der Radebeuler Stellung 217/IV war Major Schmandt. Ihm zur Seite standen als “normale“ Flaksoldaten noch etwa acht bis zehn Unteroffiziere, Feldwebel und Gefreite. Diese und auch der Batteriechef hatten ihre eigene Wohnbaracke. An jedem der schweren Flakgeschütze war der Geschützführer, ein Unteroffizier oder Stabsgefreiter der offiziellen Flaktruppe.

Die Ausbildung machte unseren Mitschülern naturgemäß anfangs Spaß, waren sie doch an der Technik interessiert und begriffen auch die theoretischen Zusammenhänge zwischen der Ortung der einfliegenden Verbände, der Zielerkennung und ihrer Erfassung rasch.

Die Stellung war nicht hermetisch abgegrenzt, es führten unabgesperrte Feldwege im Maisfeld unmittelbar an der Stellung vorbei. Die Luftwaffenhelfer konnten (meist am Wochenende) durch ihre Angehörigen und Freunde besucht werden. Aller vier Wochen kam ein Filmvorführwagen und spielte dann auch Filme, die an und für sich erst ’ab 18 Jahre’ freigegeben waren. Gegenüber der Stellung, auf der Waldstraße, befand sich eine Schwesternschule, deren Schülerinnen für Abwechslung sorgten und natürlich auch gelegentlich ein Ausspähobjekt mittels des Flakfernrohrs waren! Mit diesem doppeläugigen, auf einem stabilen Dreifuß-Stativ montierten Beobachtungsfernrohr konnten Flugzeuge, die in einer Höhe von 15 Kilometern flogen, noch gut erkannt werden. Die Fenster der Schwesternschule waren aber noch nicht einmal einen halben Kilometer entfernt!

Militärisch unterstand die Heimatflak in unserem Dresdner Raum dem Luftgaukommando IV in Dresden (Strehlen). Ab dem 1. Januar 1943 wurde dieser mit dem Luftgau III (Berlin) unter den Namen Luftgau III/IV zusammengelegt. Er umfasste den Raum zwischen Ostsee und Erzgebirge, also etwa das Gebiet der ehemaligen DDR. Der Befehlsstand der Flakuntergruppe für den Raum Dresden befand sich neben der Flakstellung 3./565 in Dresden (Südh.he, Kohlenstraße).

Nachbetrachtung: Zum 13. Februar 1945, als Dresden zerbombt wurde, befand sich nicht ein einziges Flakgeschütz mehr im Dresdner Raum. Alle Geschütze samt den Flakhelfern waren zum Erdkampf an die Oder verlegt worden!

Eberhardt Sennewald

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