Markt 1 in Moritzburg – ein interessantes Haus mit vielen Fragezeichen

Ansicht von der Straße, 2009

Ansicht von der Straße, 2009 Foto: D. Lohse

Während meiner Zeit als Artikelschreiber für Vorschau + Rückblick gab es hin und wieder mal ein Thema, das in der Ablage schmorte. Erst hatte ich einen interessanten Ansatz zu einem historischen Gebäude, sammelte ein paar Stichworte, aber fand schließlich, dass es an einer bestimmten Stelle nicht weiterging. Also erst mal in die Ablage!

Alte Eisengussplatte über dem Eingang Foto: D. Lohse

So geschehen im Falle des Hauses in Moritzburg, Markt 1, das mir schon lange im Vorbeigehen trotz oder eben wegen seiner Schlichtheit gefallen hatte. Ich glaubte, alle Quellen außer den elektronischen sowie Personen befragt zu haben, doch es blieben noch allzu viele Fragen offen. Die Stichwortzettel lagen in diesem Fall vier oder fünf Jahre im Stau. Wenn ich mir das etwa dreihundert Jahre alte Gebäude jetzt noch mal vornehme, riskiere ich, dass ich zeigen werde, was ich alles nicht weiß. Zwangsläufig muss ich Zusammenhänge herstellen und meine Phantasie bemühen.
Der Markt (so die Straßenbezeichnung) in der Mitte von Moritzburg ist eine breitere Straße, parallel und westlich von der Schlossallee. Vom Schlossteich den Markt in südlicher Richtung an „Adams Gasthof“ vorbeilaufend und die Auerstraße querend, finden wir auf der rechten Seite das stattliche Anwesen Markt 1. Es unterscheidet sich von den Eisenberger (so hieß Moritzburg früher) Bauernhöfen insofern, dass ein dominantes, zweigeschossiges, von der Straße zurückgesetztes Hauptgebäude, von zwei einen Hof mit Brunnen bildenden, eingeschossigen Nebengebäuden flankiert und durch eine Mauer mit Tor abgeschlossen wird. Das Hinterland ist ein großer Garten, der in weitläufige Weide- und Wiesenflächen überleitet; sozusagen ein unverbauter Sonnenuntergangsblick! Früher war hier anstelle der Wiese der inzwischen trocken gelegte Pressenteich.

Gartenansicht

Gartenansicht Foto: D. Lohse

Über der Haustür finden wir eine Eisengusstafel mit Grafenkrone, verschlungenen sechs Buchstaben und der Jahreszahl 1700. Man möchte glauben, dass diese Kartusche immer schon zum Haus gehört hat und der Schlüssel sein könnte, mit der Krone und den Buchstaben – JHV SGR – den Erbauer des Hauses benennen zu können. Aber da auch die Jahreszahl 1700 geringfügig von der in Akten genannten Jahreszahl 1706 für die Errichtung des Anwesens abweicht, die Buchstaben bisher nicht zuordenbar waren und Kartuschen in der Barockzeit üblicherweise aus Sandstein oder Stuck bestanden, kann die Sache auch ganz anders gewesen sein. Ich biete mal eine Theorie an: könnte es sein, dass es sich vielleicht um eine gusseiserne Ofenplatte handelt, die mit dem Gebäude und seiner Geschichte nichts gemein hat, von einem aufgegebenen Ofen oder gar aus einem anderen Ort stammt und durch einen Liebhaber solch antiker Dinge etwa im 19. Jh. hier als schmückendes Beiwerk (ich glaube, Spolien nennt man das) angebracht wurde? Dann wäre es kein Wunder, dass sich die Geschichte des Hauses mit seinen unterschiedlichen Eigentümern und Nutzungen bisher so schwer entschlüsseln lässt! Die ehem. schwarze Tafel wurde neuerdings farbig gefasst.
Was erkennen wir am Hauptgebäude noch? Es ist massiv zweigeschossig (Naturstein und / oder Ziegel verputzt) mit zwei x sieben Fensterachsen (Süd- und Westseite davon abweichend) und einem Walmdach darüber ausgestattet – ein stattliches, gut proportioniertes Haus; durchaus als Adelssitz denkbar. Als Vergleich ist das etwas kleinere „Goethes Gartenhaus“ in Weimar vielleicht zu weit hergeholt, aber die Kubatur entspricht zB. auch „Adams Gasthof“ in Moritzburg oder dem „Haus Breitig“ in Radebeul, beide 17. Jahrhundert. Durch die Tatsache, dass das Haus teilunterkellert ist und dass knapp 500m südwestlich vom hier vorgestellten Haus es bis ins späte 19. Jh. auf einem Hügel einen Weinberg gab, könnte man noch eine Parallele zur Lößnitz aufzeigen. Gehörte der Weinberg vielleicht zum Haus Markt 1 und war es zeitweilig auch ein Winzerhaus? Wieder eine Theorie, die noch zu beweisen wäre!
Dass es im Laufe der 300-jährigen Geschichte verschiedene Nutzungen in den Gebäuden gegeben hat, sollte uns nicht wundern, das ist anderen Häusern ähnlich ergangen. Die erste Nutzung war sicher der Wohnsitz einer adligen Familie, ein Herren- und Winzerhaus vielleicht. Da werden Beziehungen zu den benachbarten Wettinern, die ja hier in Moritzburg besonders Jagd betrieben und Feste gefeiert hatten, bestanden haben. Daraus könnte sich eine bestimmte Abhängigkeit und Nutzung für das Schloss ergeben haben – die eine Hälfte der in Moritzburg Befragten, meinen, das Haus sei eine Zeit lang Kadettenschule gewesen, die andere Hälfte spricht vom Pagenhaus. Dr. Andreas Timmler, einer der Moritzburger Ortschronisten, zählt zur ersten Gruppe, ich würde mich eher der Gruppe anschließen, die vom Pagenhaus spricht. Kadetten, also Knaben bzw. junge Männer, die eine höhere Militärlaufbahn anstreben, hätten wohl eine Kaserne für diese Ausbildung gebraucht und eine Kaserne sehe ich in besagtem Haus nicht. Bei bestimmter Betrachtung dieses Streites könnte man sogar beiden Parteien ein bisschen Recht geben. Ein belesener Bekannter erklärte mir neulich, dass die beiden „Berufe“ zusammen gehangen haben. An einer Kadettenschule (eine solche steht in der Dresdner Albertstadt) erfolgte die Grundausbildung für alle, je nach Neigung oder Bedarf wurde ein Teil der Kadetten dann Offizier, ein anderer Teil wurde Page. Das Moritzburger Pagenhaus müssen wir uns also als Unterkunft für im Schloss Dienst tuende Pagen und nicht als Schule vorstellen. Und wem gehörte das Haus zu dem Zeitpunkt und wer betreute diese jungen Leute und bis wann genau? Auch das ist zZ. leider nicht bekannt. Im späten 19. Jahrhundert diente es dann normalen Wohnzwecken, möglicherweise mit etwas Landwirtschaft, denn zumindest in einem der Nebengebäude dürfte ein Stall gewesen sein und auf einem Gemälde von Karl Timmler von 1952 erkennen wir hüttenartige Schweineställe im Garten des ehemaligen Pagenhauses. In Notzeiten, wie eben nach 1945, dürfte das Haus auch durch Umsiedler oder Ausgebombte aus Dresden überbelegt gewesen sein. Namen von wechselnden Eigentümern oder Mietern sind Portmann, Schottin, Noack und Künzelmann (hat den südlichen Teil des Grundstücks erworben und bebaut) bis es um 2000 zum Verkauf des gesamten Anwesens an die Familie des Bildhauers Peter Fiedler kam. In jüngerer Zeit wurde nordwestlich ein weiterer Teil des großen Grundstücks abgetrennt und mit einem Neubau an der Auerstraße bebaut.

Historische Ausmalung im Obergeschoss (Reste) Foto: D. Lohse

Das hier ist das richtige Ambiente für eine Künstlerfamilie, aber infolge eines größeren Sanierungsstaus und wegen eigener Wünsche musste erst mal gebaut werden und hat noch nicht aufgehört. Im Zusammenwirken mit dem Denkmalschutz wurden Abrisse von nicht mehr benötigten Anbauten und Zwischenwänden, die im Laufe der Zeit große Räume geteilt hatten, festgelegt. Schwerpunkte der Sanierung waren Dachdeckung mit Biberschwanzziegeln, Freilegen von zugesetzten alten Fensteröffnungen, Aufarbeitung von historischen Fenstern und Neubau von entsprechenden Holzfenstern sowie Abstimmung eines Farbkonzeptes für die Fassaden. Auf besonderen Wunsch von Fiedlers durften die EG-Fenster auf der Gartenseite in der Höhe zu sogenannten französichen Fensten vergrößert werden. Einige Abstimmungspunkte betrafen auch das Innere des Hauses. Im OG wurden Reste einer barocken Ausmalung – Sockelfelder- und Wandfelder mit Girlanden (etwa 1820), auch Deckenstuck und breite

Fiedlers Plastik am Brunnen Foto: D. Lohse

Dielenböden festgestellt, die erhalten werden sollten. Das gleiche traf für wenige überkommene Innentüren zu, verbunden mit dem Wunsch der Denkmalpflege, die festliche Raumfolge der drei großen Räume im OG durch Verbindungstüren (man nennt so eine Abfolge von Räumen „Enfilade“) möglichst wieder erlebbar zu machen. Das Ergebnis dieser Arbeiten am und im Haus ist eine Annäherung an die historische Erscheinung des im Ortsbild des Marktes wichtigen Gebäudes bei gleichzeitigem Erreichen eines neuzeitlichen Komforts für eine junge Familie. Mir scheint, hier wurde ein wirklich passendes Konzept gefunden und baulich umgesetzt, auch für das Ortsbild von Moritzburg sicherlich ein Gewinn!
Und weil oben von mir ein Vergleich zu einem Goethehaus gesucht wurde, hier noch ein zweiter: Im Hof steht ein schöner Ginkgobaum, das hätte auch den „Herrn Rat“ gefreut.
Natürlich würde ich mich freuen, wenn sich Leser fänden, die mir eine oder mehrere mit dem Haus zusammenhängende Fragen oder Theorien beantworten, bestätigen oder widerlegen könnten, ja es sind wirklich viele Fragen offen geblieben.

Dietrich Lohse

Literatur:
„Moritzburg“, H.-G. Hartmann, Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar, 1989
„Landkreis Meißen“, G. Naumann, Kreissparkasse Meißen, 1998
„Ortschronik Moritzburg“, Dr. A. Timmler, Gemeindeverwaltung Moritzburg, 2008

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