Sachsen dreht am Museumsrad

Heutzutage sind Begriffe dehnbar. Jeder mag unter einer Sache verstehen, was ihm genehm ist. Der Begriff „alternative Fakten“ ist zwar zum Unwort des Jahres erklärt und stellt scheinbar die Welt auf den Kopf, aber man sollte es nicht so verbissen sehen. Alles ist möglich, nichts steht mehr fest: Ist es nun ein Museum oder ist es keins? Woran will man das heute noch festmachen?
Die Sächsische Landesstelle für Museumswesen in Chemnitz und deren Leiterin Katja Margarethe Mieth berufen sich auf die „Ethischen Richtlinien für Museen“ vom Internationalen Museumsrat ICOM und verweigert dem Lügenmuseum in Radebeul die Anerkennung als Museum. Grund: Die Richtlinien werden nicht erfüllt.
Das Vorstandsmitglied der ICOM Deutschland Prof. Dr. Dr. Markus Walz stellt hingegen klar, dass die Richtlinien nur als Handreichungen zu verstehen seien. Liest man dieselben, so ist unschwer zu erkennen dass es sich hierbei um idealtypische Beschreibungen handelt, die auf die tatsächlichen Profile der Einrichtungen herunter zu brechen sind. Wer sie also als Richtschwert benutzt, muss sich fragen lassen, welche „ethischen“ Grundsätze hier hochgehalten werden sollen.
Mit dem Urteil der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen begibt sich die Behörde in auffallende Nähe zu einer schon länger zurückliegenden Bewertung dieses Museums durch die Kulturstiftung Sachsens. Dessen Geschäftsführer schätzte damals ein, dass die Radebeuler Einrichtung keinesfalls zum „Premiumsegment“ der Region zähle und dieser eher Schaden zufügen würde.
Diese Einschätzung war da schon ehrlicher: Das ungewöhnliche Museum, welchem vormals im Bundesland Brandenburg die Anerkennung nicht verwehrt wurde, passt also nicht ins Verständnis des Mainstreams. Mag es daran liegen, dass es zur Entfaltung von Phantasie, zur Schärfung der Sinne, zur Ergründung der Dinge hinter den Erscheinungen, zur Freude an der Kunst und besonders zum Widerspruch anregt? Das Schlimmste aber, was man vermutlich diesem Museum vorwerfen muss ist, keine klaren Aussagen und Positionierungen zu haben. Ein Leitbild sucht man auf seiner Webseite vergebens. Gut, dass es immer wieder Institutionen wie die Landesstelle für Museumswesen und die Kulturstiftung Sachsen gibt, die genau wissen, was der Bevölkerung zugemutet werden kann. Kulturelle Bildung soll schon sein, aber doch nur nach meinem Proporz!
Vielleicht sollten bestimmte Kreise auch einmal darüber nachdenken, ob sie noch auf dem richtigen Dampfer sitzen. Die Welt ist offener und differenzierter geworden. Auch das Verständnis von Kunst und deren Position in der Gesellschaft hat sich gewandelt. Doch der Anspruch an die Kunst aus der Zeit der Aufklärung sitzt tiefer, als man glaubt. Ein Spruch vom „Bayerischen Rundfunk aus den 1990er Jahren scheint sich verfestigt zu haben: „Wir sagen ihnen, was sie hören wollen!“ Und wer nicht hören will, dem entziehen wir die Steuerbefreiung, denn was ein Museum, was kulturelle Bildung ist, bestimmen wir. Ist das Freiheit?!
Ach ja, schon ein Blick ins Besucherbuch dieses Nicht-Museums lohnt sich durchaus und bildet ungemein.

Karl Uwe Baum

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