„Kommt, wir spielen Bundesrepublik!“

Premiere für ein Generationenprojekt an den Landesbühnen Sachsen

Es gibt Forderungen, die – sind sie einmal ausgesprochen – sehr schnell beginnen, eine ganz eigene Dynamik zu entwickeln. Eine dieser Forderungen liest sich so „Krankenhäuser sollten niemals wirtschaftlichen Zwängen unterliegen, sondern immer das Wohl des Patienten im Fokus haben!“ Das liest sich gut, spricht sich gut und bleibt am Ende dennoch nur eine Fiktion. Sprich; die Forderung geht in der Regel an den konkreten Verhältnissen vorbei. Dennoch; dieser Satz beinhaltet eine kleine Kostbarkeit. Nämlich einen – wenn auch noch sehr, sehr leisen – Aufruf zum zivilen Ungehorsam. Dagegen ist der französische Autor und Übersetzer Stéphane Hessel geradezu ein Titan. Mit 93 Jahren verfasste er den leidenschaftlichen Appell „Empört Euch!“ Hessels Ausgangspunkt bildet dabei das künstlerische Werk des Malers Paul Klee in Einheit mit einem, sich daruf beziehenden Kommentar des deutschen Schriftstellers und Philosophen Walter Benjamin.
Stéphane Hessels Essay müsste – sollte – der gegenwärtigen jungen Generation aus dem Herzen sprechen. Und sollte sie zugleich zum Handeln animieren. Das Theater nimmt sich selbst als das geeignete Podium für den Transport solcherart Botschaften ins Volk noch zu wenig wichtig. Allein deshalb richtet sich die aktuelle Inszenierung der Landesbühnen Sachsen vor allem an jene, die am Beginn eines aktiven Lebens stehen. Die aus Trier stammende Autorin und Regisseurin Judith Kriebel führt seit 2006 Regie; begann mit einem Stück von Tschechov, widmete sich dann einem Stück von Elfriede Jelinek und einem von Yasmine Reza. Und immer wieder hatten es ihr dabei die brennend aktuellen Themen angetan. „Empört Euch“ ist nach einem „Anne Frank Projekt“ (2011) bereits ihre zweite Regiearbeit an den Landesbühnen Sachsen. Das besondere daran ist, dass sie professionelle Schauspieler mit Mitgliedern eines Amateurtheaters („Seniorenclub Q 10“) und Studenten der Theaterakademie Sachsen zusammenbringt und sie gemeinsam spielen lässt. Zwischen den verschiedenen Biografien liegen da mitunter Welten. Doch gerade deshalb kratzen die Texte – bzw. kratzt das Spiel der Akteure – nicht nur an der Oberfläche, sondern geht auf geradem Wege direkt unter die Haut.
Das ist das ein Phänomen; das andere liegt in den so extrem unterschiedlichen Biografien der Akteure versteckt. Natürlich hatte der im Westen Deutschlands aufgewachsene junge Mensch kaum Ahnung von dem, was sich im damals anderen Teil Deutschlands abspielte. Die Geschichtsbücher beiderseits verschwiegen tunlichst alles, was nicht in das jeweilige Weltbild passte. Und die STASI war für den westdeutschen Jugendlichen eher so etwas wie ein Witz, während der Ostdeutsche sich aus gutem Grund mit diesem Phänomen äußerst schwer tat. So ist jene Aufforderung einer Hiesigen an einen von Drüben „Komm wir spielen Bundesrepublik!“ auch eher wie ein Hilferuf als eine tatsächliche Aufforderung zum Spiel zu betrachten. Die Gelegenheit bzw. das Bedürfnis, wirkliche und wahrhaftige Wahrheiten auszutauschen, war wohl noch nie so groß wie gerade jetzt.

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»Empört Euch!«,ein Generationsprojekt

Und aus diesem Austausch erwächst letztendlich die Formulierung „Widerstand leisten heißt Neues schaffen!“ Trotz der gefährlich eskalierenden Situation in der Ukraine, trotz der NSA Affäre, trotz des scheinbar unaufhaltsamen Vormarschs der ISIS-Krieger im Irak. All das suggeriert dem Zuschauer; „Empört Euch!“ ist nur eine Bestandsaufnahme mit dem Charakter eines Zwischenberichtes. Und dennoch ist „Empört Euch!“ eine Notwendigkeit.

Wolfgang Zimmermann

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