Boden-Schutz in Sachsen – ein Nachgeschmack zum Vortrag im Haus Lotter

»Wir haben die Erde von unseren Eltern nicht geerbt, sondern wir haben sie von unseren Kindern nur geliehen.« – Ein indianisches Sprichwort, das nicht besser zum Thema passen könnte.

Was bleibt, sind Fakten, Daten – nicht viele aus der Fülle des Genannten, diese aber lassen frösteln. Zum Beispiel: Sachsens Bevölkerung ist seit 1992 um 10 % geschrumpft, benötigt jedoch 20 % mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche. Oder: Pro Tag wird in Sachsen die Fläche von durchschnittlich acht Fußballfeldern siedlungswirtschaftlichen Zwecken unterworfen, mit einem Versieglungsgrad von 40 bis 60 %, bundesweit sind es täglich etwa 140 Spielfelder.

Dadurch geht vor allem unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln ein Stück der nicht nachwachsenden Ressource Boden unwiederbringlich verloren! Boden, der Regenwasser zurückhält, Grundwasser neu bildet und vor Hochwasser schützt. Boden, der Schadstoffe abbaut und speichert, der für angenehmes Klima sorgt und nicht zuletzt Lebensraum für unzählige Lebewesen ist. Und Boden als Nahrungsgrundlage, nicht nur für uns Menschen, die auf globale Märkte ausweichen können.

Wir beschränken die Entwicklungsmöglichkeiten künftiger Generationen nicht nur ökologisch, räumlich und ökonomisch. Eine tendenziell ältere und abnehmende Bevölkerung wird die steigenden Kosten für den Unterhalt der geringer ausgelasteten Infrastruktur und den zunehmenden Leerstand aufbringen müssen. Sondern wir prägen deren »Umgangsformen«,  auch mit dem Boden.

Laut Beschluss der Umweltministerkonferenz von 2007 sollen 2020 in Sachsen nur noch zwei Fußballfelder Boden pro Tag verbraucht werden – wohlgemerkt bei weiter schrumpfender Bevölkerung! Gelingen wird dies allerdings nur durch einen wirklich restriktiven Umgang mit Neuausweisung von Bauflächen, denn viele rechtskräftige Bebauungsgebiete sind noch gar nicht »besiedelt«. Höchster Wert ist auf flächensparende und versiegelungsarme Erschließungs- und Siedlungsformen zu legen sowie auf verstärkte Innenentwicklung, also: Bauen im Bestand, Baulücken nutzen, Brachflächen revitalisieren. Dies ermöglicht es auch prosperierenden Regionen wie unserem Elbtal, ihren Beitrag zum Flächesparen zu leisten. Zumal man beim Flächenrecycling zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt – man gewinnt Bauland ohne neuen Flächenverbrauch und man beseitigt Schandflecke.

Bereits vor über 30 Jahren beschrieb Christopher Alexander genau dieses Entwurfs-Muster in »A Pattern Language«, einer Art Bibel der Entwurfslehre unter Architekten, Stadtplanern und Informatikern. Unter Muster 104 »Verbesserung des Bauplatzes« können wir lesen:

»Gebaut werden muss immer auf den schlechtesten Teilen des Grundstückes, nicht auf den besten.

Dieser Gedanke ist wirklich sehr einfach. Aber er ist das genaue Gegenteil von dem, was gewöhnlich geschieht; und es erfordert beträchtliche Willenskraft, ihn durchzuführen. […]

Wir müssen jeden neuen Bauvorgang als eine Gelegenheit betrachten, ein Loch im Kleid zu flicken; jeder Bauvorgang gibt uns die Chance, einen der hässlichsten und am wenigsten gesunden Teile der Umwelt gesünder zu machen – für die ohnedies gesunden und schönen Teile sind keine Maßnahmen nötig. In Wirklichkeit müssen wir uns zwingen, sie in Ruhe zu lassen, so dass unsere Energie wirklich den Stellen zugute kommt, die es brauchen.«

Auch Radebeul ist solch ein Bauplatz. Zwischen 1996 und 2008 wurde hier ein Areal von etwa 175 Fußballfeldern in Verkehrs- und Siedlungsfläche umgewandelt.1 Warum aber befinden sich neue Baugebiete gehäuft an den Ortsrändern – Paulsberg, Weidenweg, Waldstrasse? Warum liegt nach 20 Jahren das NÄHMATAG-Gelände immer noch brach und mindert die Wohnqualität der Umgebung? Hier wäre doch der ideale Standort für Town-Häuser, nicht am Ortsrand! Wo bleiben die »kostengünstigen, flächensparenden und ökologischen Bebauungen« in Nähe der Garten- bzw. Weststrasse, wie sie im Stadtleitbild seit 2002 beschlossen sind? Warum eine Abrundungssatzung für Wahnsdorf, wenn doch drei vorausgegangene Planungen eine Bebauungsgrenze um die historische Ortslage eindeutig ausweisen?

Allerdings hat Radebeul beim Bau der neuen Feuerwache aufs Schönste gezeigt, was in Brachen steckt. Aus diesem Beispiel können wir Kraft und Mut schöpfen.

Nicht zuletzt wird aber jeder Einzelne seinen Beitrag leisten müssen. Wie groß sind Hof und Zufahrt und wie viel muss davon befestigt sein? Welchen Bau von öffentlichen Parkplätzen und Straßen provoziere ich durch mein Fahrverhalten? Mache ich Entscheidungsträgern Mut, unpopulär »Nein« zu sagen bzw. sich an längst gefasste Beschlüsse zu halten?

Es wird dauern, bis der Bodenschutz in den Köpfen der Menschen angekommen ist, so Herr Siemer vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie; man muss immer und immer wieder darauf hinweisen.

Katja Leiteritz

[V&R 5/2010, S. 7-9]

  1. Quelle: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen; Daten vor 1996 liegen nicht, nach 2008 noch nicht vor.
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