Disko, Diskussionen und dolle Konzerte

Das Weiße Haus in Radebeul

Nicht nur Washington hat es, Radebeul hat es auch. Nur ist es hier nicht Regierungssitz, sondern ein rege genutzter Treffpunkt für die Jugend: Das Weiße Haus in Serkowitz, Kötzschenbrodaer Str. 60. Seit dem Sommer 2006 gehört es offiziell zum Kulturamt der Stadt und bietet Jugendlichen einen Anlaufpunkt für Treffen, Tanzen und kulturelle Aktivitäten nach ihrem Geschmack.

Heilsberg im Atelier

Peter Heilsberg, schon seit fast 20 Jahren „Städtischer Jugendsozialarbeiter“, bündelt hier die Kräfte und organisiert die vielen verschiedenen Aktivitäten. Er wirkt mit seinem langen Haar trotz seiner 42 Jahre locker und lässig wie ein Jugendlicher und wird von den Teenagern, die sich hier schon nachmittags treffen, voll akzeptiert. Einige spielen Tischtennis, andere hängen nur ab, bei gutem Wetter fahren sie draußen mit Skateboards oder Bikes auf dem Gelände, das früher ein LPG-Zentrum war. Aus Sicht der Alten könnte man auch sagen:  Wo zu DDR-Zeiten das Frühgemüsezentrum  war, tummelt sich jetzt Junges Gemüse.

Vor ein paar Jahren – so wollte es das Kulturamt der Stadt – sollten hier in regelmäßigen Abständen (etwa alle zwei Monate) gesellschaftlich relevante Diskussionen stattfinden. „Daher wird es in Zukunft nicht nur ein Ort für Partys und Disco sein“, hatte Kulturamtsleiter Alexander Lange noch Ende August 2006 bei der Übernahme prophezeit. Zu den Diskussionen eingeladen wurden auch Lokalpolitiker. „Doch dieser Ansatz war zu theoretisch und hat sich nicht so bewährt“, meint Peter Heilsberg rückblickend. „Die Themen waren allgemeine gesellschaftliche Themen, nicht jugendspezifisch“. Das Demokratie-Projekt im letzten Jahr sei dagegen sehr gut angenommen worden. Der LAP – Lokale Aktionsplan – mit dem Aufruf zur Vielfalt und Toleranz war mit guten Referenten besetzt, sagt Peter Heilsberg, das habe den Jugendlichen gefallen. Nach dem Alter dieser Zielgruppe gefragt,  sollen 13 – 30-Jährige die Veranstaltungen besucht haben.

Peter Heilsberg hat noch Zeit, die meisten Jugendlichen kommen erst abends spät hierher, so dass er mich durch den Komplex führen kann. Wir fangen im Barnyard-Club an – das heißt übersetzt: Scheunenhof und soll an die frühere landwirtschaftliche Nutzung erinnern. Im Erdgeschoss an der Garderobe warten leere Bügel auf den Ansturm. Der eine Diskoraum ist rot gestrichen und sehr gemütlich, in dem anderen fallen die vielen schwarzen Boxen und Scheinwerfer auf, die von oben die Tanzfläche beschallen und beleuchten. Es riecht nach abgestandenem Bier. „Ja, hier wird auch mal was verschüttet“, gibt Peter Heilsberg zu, „wir machen zwar grob sauber, aber natürlich nicht so gründlich wie in einem Hotel“.

Verein Noteingang im Weißen Haus

Von den beiden Dancefloors geht es die Treppe hoch in das Obergeschoss, das mal Verwaltung war: viele kleinere Zimmer zeugen davon. Hier entstehen gerade Mal-Ateliers – einige Bleistift-Skizzen an der Wand sind schon zu sehen. Auch der Radebeuler Graffiti-Künstler Carsten Lange hat sich hier schon eingemietet. Weitere  Jugendliche können die Räume kostenlos zum Üben nutzen. Im hinteren Bereich läuft gerade die aktuelle Ausstellung mit dem Titel „Zerrüttung“. Allerdings sind die zu dem Thema erstellten Objekte, Gemälde und Zeichnungen nach meinem Empfinden nicht als zusammenhängende Ausstellung erkennbar, was an den Räumlichkeiten und vielleicht auch an der mangelnden Beschriftung liegt. Die jungen Künstler aus Radebeul und Dresden (Johanna Owsian, Georg Bauerfeind, Stefan Rosenkranz und Tina Warmuth) werden vom  Verein „Noteingang“, der auch hier im Weißen Haus seinen Sitz hat, präsentiert.

Die Ausstellung ist noch bis zum 12. Februar in der Jugendgalerie Weißes Haus zu sehen. Mittwochabends nach 19 Uhr, am Wochenende oder nach telefonischer Vereinbarung (0351-795 56 990).

Für manche ist jedoch der Keller das Wichtigste: für Musiker. Denn hier gibt es Probenräume, in denen sich die jungen Leute so richtig austoben können, was zu Hause meist nicht geht. Besonders nutzen das die Musiker von „Muzzy Mystery“ (was soviel heißt wie: nebulöses Geheimnis). Diese Band, die sich Ende November sogar in das Goldene Buch der Stadt eintragen durfte, gilt aktuell als Deutschlands beste Nachwuchsband und wurde im letzten Bundeswettbewerb 2011 dazu gekürt. Mitte Januar spielte Café Jazz hier auf – auch diese Band ist preisgekrönt (s. Artikel von Leonore Schicktanz).

Mittlerweile ist das Weiße Haus in der Szene gut vernetzt. Wer kurzfristig nach Veranstaltungen und Partys sucht, der findet von mehreren Seiten dazu Hinweise im Netz. Beispielsweise von Tech Base Dresden. Das ist nach eigener Darstellung „die Seite von Techno-, Drum & Bass- und Hardcore-Events in Dresden und Umgebung“. Von hier gibt es Empfehlungen für entsprechende Events im Weißen Haus oder eben: „Leider heute keine Party“. Auch die Seite „Livegigs“ weist auf Live-Konzerte hin, gleich mit Links zur Kartenbestellung. Die Eintrittspreise sind günstig, und wie Peter Heilsberg betont, bekommen die Bands voll das eingenommene Geld – ohne Abzüge.

Übrigens: die Stadt Radebeul nennt auf Ihrer Stadtseite den Jugendtreff tatsächlich wie den US-Regierungssitz „White House“, wie den aktuellen Internetseiten zu entnehmen ist. Es ist die offizielle Bezeichnung des Anwesens, sicherlich damals als Zeichen der Annäherung an die „Jugendsprache“ englisch. Aber hier im Weißen Haus sagt das niemand.

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