Von verschenkten Ziegelsteinen, bunten Friedhöfen und drehbaren Reisetrommeln

Eine Nachbetrachtung zur Jubiläumsausstellung in der Radebeuler Stadtgalerie

Beate Hofmann zur Vernissage mit Cello

Beate Hofmann zur Vernissage mit Cello

Unter dem Motto „Radebeuler Künstler – Heute“ feiert die Stadtgalerie bis zum 3. März ihren 30. Geburtstag mit einer recht ungewöhnlichen Überblicksschau, an der sich 64 Künstler beteiligt haben. Zur festlichen Eröffnung am 1. Februar wurde über das Kunstschaffen in der Lößnitzstadt, aber auch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der städtischen Galerie ausgiebig sinniert. So ging der Kulturamtsleiter Alexander Lange auf deren inner- und außerstädtische Bedeutung ein. Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche überreichte eine rote und eine weiße Rose als symbolische Liebeserklärung, die wohl nicht nur als eine nette Geste zu werten ist, denn Jubiläen wie 35 Jahre Grafikmarkt, 30 Jahre Stadtgalerie, 20 Jahre Städtische Kunstsammlung sprechen für sich. Schließlich dankte wiederum die Galerieleitung der Kommunalpolitik, für ihren verlässlichen Rückenhalt. Und auch den Künstlern wurde herzlich gedankt, denn ohne deren Werke ist selbst die schönste Galerie nur eine leere Hülle. Als Stachel im Fleisch all dieser wunderbaren Dankesworte erinnerte Thomas Gerlach, Hausdichter und preisgekrönter Meister der kunstvollen Rede, mit einem Ziegelstein an zwei weitere Ziegelsteine, welche bereits vor zehn und fünf Jahren vom Radebeuler Oberbürgermeister als Grundsteine für einen künftigen Galerieerweiterungsbau überreicht worden waren.

Thomas Gerlach zur Vernissage mit Ziegelstein

Thomas Gerlach zur Vernissage mit Ziegelstein

Das größte Kompliment an diesem besonderen Abend kam jedoch vom Hauptredner, dem Dresdner Kunstkritiker Heinz Weißflog, der die Feststellung traf „… sowohl im Handwerklichen, in der Themenwahl als auch in der Realisierung ist die Radebeuler Kunst auf der Höhe der Zeit, wenngleich oder gerade deshalb ein kritisches Moment zum Kunstbetrieb, dem Kunstmarkt und dem Mainstream sowie zu aktuellen Fragen immer mitschwingt und sich keine Beschaulichkeit und keine Selbstgefälligkeit eingestellt haben.“

Lieselotte Finke-Poser »Aus dem Pflegeheim – Frau Franz«, 2002, Aquarell

Lieselotte Finke-Poser »Aus dem Pflegeheim – Frau Franz«, 2002, Aquarell

Wie zum Beweis, erschien bereits in der ersten Ausstellungswoche Lieselotte Finke-Poser (87), die derzeit älteste Radebeuler Künstlerin in der Galerie. Interessiert und aufgeschlossen lies sie sich von Exponat zu Exponat durch alle Räume führen, stellte mancherlei Fragen und war hoch erfreut, dass sich die Radebeuler Künstlerschaft sichtlich verjüngt und vervielfacht hat. Zwischen ihr und der jüngsten Künstlerin Maria Wallrabe (28) beträgt der Altersunterschied nahezu sechs Jahrzehnte und ohne dieses Ausstellungsprojekt, hätten beide wohl kaum das aktuelle Schaffen der anderen auf so bewusste Weise wahrgenommen.

Landschaften, Stillleben, figürliche Darstellungen und Zwischenwelten prägen die handverlesene Jubiläumsschau. Die stilistische und inhaltliche Vielfalt ist erstaunlich groß und der Ausstellungszeitraum von vier Wochen erscheint zu kurz, um all die inneren und äußeren Zusammenhänge erfassen zu können. Da hilft auch Nora Herrmanns ironisch gemeinter „Audiokommentar“ nicht viel weiter, zumal die aus der Black Box dringenden Wortcollagen über das, was Kunst ist, in ihrer „intellektuellen Abgehobenheit“ sowieso kein Mensch versteht.

Roswitha Maul, »Bobbycarfahrer«, 2012

Roswitha Maul, »Bobbycarfahrer«, 2012

Ziemlich deutliche Signale werden hingegen im Entree der Galerie durch die Farbe Rot gesetzt. So spaltet auf URI´s Lackbild „Der Einfall“ als roter Keil ein Dreieck von homogenem Grau. Blutrot und fast schon obszön offenbart sich das Fruchtfleisch von Gabriele Reinemers „punica granatum“, auch Liebesapfel genannt. Und in begehrlichem Rot, quasi aus seinem Inneren heraus, leuchtet der fahrbare Untersatz von Roswitha Mauls „Bobbycarfahrer“, denn auch Kinder haben brennende Wünsche.

Die traditionsreiche „Dresdner Malkultur“, welche Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, lebt bis heute in der Lößnitzstadt fort. So sind vor allem Bilder wie „Stillleben auf dem Balkon“ von Ute Wittig und „Fröhliche Pflanzen“ von Werner Wittig mit ihren fein abgestimmten farbigen Nuancierungen für Kenner ein großer Genuss. Allerdings seien hier beide nur stellvertretend genannt, denn die Radebeuler Künstlerschaft bürgt generell für Anspruch und Qualität.

Neben den Motiven, welche sich in Radebeul und Umgebung reichlich finden lassen und immer wieder in unzähligen Variationen dargestellt werden, beeindrucken in dieser Ausstellung vor allem auch Menschenbilder von bemerkenswerter Reife und Tiefe. Hervorgehoben seien hier zwei Aquarelle von Lieselotte Finke-Poser mit den berührenden Porträts von „Frau Franz“ und „Frau Rolle“, die im Jahr 2002 in einem Radebeuler Pflegeheim entstanden sind. An Paula Modersson-Becker erinnert Friederike Curling-Austs Farbholzschnitt „Mutter und Kind“. Glück empfinden Bärbel Kuntsche beim „Zeichnen auf der Veranda“ und Karen Graf beim „Schmökern“. Peter Grafs Persiflage „Hochzeitsausstatter“ erinnert daran, dass nicht alles für alle käuflich ist. „Verlorenes & Gefundenes zu Hause“ nannte Horst Hille ein kleinformatiges Ölbild, welches er sich selbst zum 70. Geburtstag schenkte. Die detailreiche Lebenslauf-Collage erzählt von Kindheit, Krieg, Vertreibung, Nachkriegszeit und Neubeginn.

Einen spannenden Kontrast zur erdenschweren Lößnitzmalerei setzt die aus Frankreich stammende Künstlerin Sophie Cau mit der Farbe Blau. Ihre Komposition aus Leporellobüchern, Glaswürfeln, Entwürfen und Collagen nennt sie „Légèreté – Leichtigkeit“. Eine Entsprechung hierzu findet sich in Constanze Schüttoffs Installation „blauer horizont“ mit pigmentierten Papieren zwischen Weißglasplatten. Schade, dass sie sich nur mittels Fotodokumentation und einer Materialprobe in die Ausstellung integrieren ließ, da das Original 4,5 x 2,0 Meter misst. Einen weiteren Akzent in Blau setzt Fred Walther mit dem kleinen Gemälde „Fischerkapelle auf Teneriffa“, das durch seine Intensität eine geradezu magische Wirkung entfaltet. Klaus Liebschers Wachsstiftarbeiten „Tag“ und „Nacht“ korrespondieren auf wunderbare Weise mit den ausdrucksstarken Gemälden „Nacht“ von Cordula Schild und „Tägliches“ von Johanna Mittag.

Inmitten der vorwiegend gegenständlichen Darstellungen bilden abstrakte Werke die Ausnahme. So zeichnet Mandy Herrmann zur Zeit Ellipsen, Kreise und Schwünge. Eine künstlerische Auseinandersetzung im konstruktiven Sinne lassen die stereometrischen Objekte von Fritz-Peter Schulze, die Objektcollagekästen von Ju Sobing, die Seidenstickereien von Annerose Schulze, die Filzobjekte von Anna Kuntsche und die keramischen Gefäße von Gerold Schwenke erkennen.

Brisante Themen mit gesellschaftlichem Bezug werden nicht ausgespart. So haben Claus Weidensdorfers grafische Blätter „Einsturz“ und „Aufsteiger“ aus dem Jahr 1989 bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Durch die Übermalungen von 2012 wird deren Wirkung nur noch verstärkt. Und während die Plastik „Trauma“ von Detlef Reinemer wohl als ein Synonym für körperliche und seelische Verletzungen, für hilfloses Ausgeliefertsein in auswegloser Situation aufgefasst werden muss, vermittelt Dieter Beirich mit seinen Gemälden „Bergmorgen“ und „Bergwinter“ die frohe Botschaft von den heilenden Kräften der urgewaltigen Natur. Selbst Karen Koschniks großformatiges Friedhofsbild mit dem makaber anmutenden Titel „Reihe 7“ verliert durch seine Buntheit den Schrecken.

Der begrenzten Ausstellungsfläche ist es geschuldet, dass Druckgrafiken und Künstlerbücher ein wenig zu kurz gekommen sind. In einem gesonderten Projekt soll das nachgeholt werden, denn gerade auch auf diesen Gebieten haben die Radebeuler Besonderes zu bieten.

Einen wachsenden Stellenwert beginnt in Radebeul die Fotografie einzunehmen. So setzte sich Lutz Lippmann intensiv mit dem Thema Tanz und Bewegung auseinander. Gabriele Seitz porträtierte Dresdner und Radebeuler Künstlerinnen in mutiger Totale. Manuel Frolik montierte sein Alter Ego in historische Fotografien, die den Faible des Künstlers für Technik erkennen lassen. Susan Paufler dokumentierte das einstige „AWD-Klubhaus“ als „temporäre Hinterlassenschaft“ des Industriegebietes auf der Gartenstraße in Radebeul-Ost. Auch für Gerald Risch bildet Vergehendes eine Gestaltungsgrundlage. Alte Reklameinschriften an morbiden Hausfassaden werden von ihm fotografisch erfasst, ins Bildkünstlerische übertragen und auf originelle Weise illustrierend interpretiert.

Die Einbeziehung angewandter Bereiche wie Grafikdesign, Kostüm- und Bühnenbild bereichern die Ausstellung auf fruchtbringende Weise. Logos und gebrauchsgrafische Entwürfe von Matthias Kratschmer wie die Radebeuler Bauherrenpreisplakette, die Markierung der Weinwanderwege, allerlei Werbeprospekte für Kneipen-, Museums- und Einkaufsnächte prägen die Ästhetik des städtischen Alltags. Das grafisch wirkende Bühnenbild-Modell in strengem schwarz-weiss-rot, welches Ulrike Kunze für das Theaterstück „Im Abseits“ von Sergi Belbel entwarf, wird erstmals am 2. März zur Premiere in den Landesbühnen Sachsen im Original zu sehen sein. Wem das kuriose Objekt „Eine Lücke im Universum“ vom Installationskünstler Reinhard Zabka gefällt, der sollte sich auf den Weg begeben und dem Lügenmuseum im Serkowitzer Gasthof einen Besuch abstatten. Zu einer sportlichen Entdeckungstour der anderen Art animiert der humorvolle Kurzfilm von SODA „Die Treppe“. Auf ihrer Weltreise im Jahr 2012 kam Maria Wallrabe die Idee, eine drehbare Reisetrommel zu bauen, durch deren ausgesparten Schlitze ein getriebenes Paar zu sehen ist, das ohne Muße hastig von Ort zu Ort eilt, dem als einzige Erinnerung nur ein Fotoalbum bleibt.

Der Ausstellungsrundgang setzt die wache Aufmerksamkeit der Besucher voraus. Überall dort, wo sich Stell- und Hängeflächen für Kunst geboten haben, wurden sie genutzt. Selbst in den Gangbereichen des Kulturamtes fand sich noch Platz für die Porträtfotografien der beteiligten Künstler sowie für ausgewählte Dokumente aus dreißig Jahren Galeriegeschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind eng miteinander verknüpft. Nichts bleibt wie es ist. Und die ausschnittartige Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Radebeuler Kunstschaffens trägt bereits den Keim in sich, aus dem das Neue erwächst.

Karin Gerhardt

Da in diesem Beitrag nicht alle mitwirkenden Künstler Erwähnung finden konnten, seien sie hier noch einmal vollständig aufgezählt:
Dieter Beirich, Brian Curling, Friederike Curling-Aust, Sophie Cau, Lieselotte Finke-Poser, Clara Freier, Manuel Frolik, Dieter Fuchs, Thomas Gerlach, Roland Gräfe, Karen Graf, Peter Graf, Sebastian Hennig, Christiane Herrmann, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Nora Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Eckhard Kempin, Matthias Kistmacher, Birgit Köhler, Karen Koschnick, Matthias Kratschmer, Dorothee Kuhbandner, Anna Kuntsche, Bärbel Kuntsche, Wolf-Eike Kuntsche, Ulrike Kunze, Klaus Liebscher, Lutz Lippmann, Roswita Maul, Johanna Mittag, Peter Pit Müller, Doreen Papperitz, Susan Paufler, Annekatrin Pinkert, Max Manfred Queisser, Detlef Reinemer, Gabriele Reinemer, Markus Retzlaff, Gerald Risch, Cordula Schild, Annerose Schulze, Fritz Peter Schulze, Constanze Schüttoff, Gerold Schwenke, Gabriele Seitz, Ju Sobing, Soda, André Uhlig, Ralf Uhlig, Bärbel Voigt, Stefan Voigt, Maria Wallrabe, Fred Walther, Christian Uri Weber, Claus Weidensdorfer, Franziska Wenzel, Irene Wieland, Ute Wittig, Werner Wittig, Susan Wittwer, Reinhard Zabka

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