Von Fall zu Fall: Die Flucht des Dissidenten

Eine Sonderausstellung im Lügenmuseum

Angeregt durch den Fall der Mauer vor fünfundzwanzig Jahren hat Richard von Gigantikow am 23. Mai im Lügenmuseum eine Sonderausstellung eröffnet. An Hand von Collagen, Lithografien und Objekten, die der Künstler meist gemeinsam mit seinem Freund und Wegbegleiter Albrecht Hillemann geschaffen hat, wird der Weg nachgezeichnet, den Reinhard Zabka zu gehen hatte, um Richard von Gigantikow werden zu können. In dem er die Ausstellung dem Gedenken an die friedliche Revolution widmet, stellt der Betreiber und Kurator sich und sein Museum in eine Reihe mit denjenigen Einrichtungen und Persönlichkeiten (die beginnt beim Bundestag und hört beim Dorfclub noch lange nicht auf), die Jahrestage und andere Äußerlichkeiten nutzen, innere Befindlichkeiten öffentlichkeitswirksam in Ordnung zu bringen. Er zeigt sich damit unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit enger und deutlicher verbunden, als seine Kritiker wahrhaben wollen.

Emma von Hohenbüssow, die legendäre Gründerin des Museums fühlt sich inzwischen auch in dem noch immer weißgekachelten Raum der ehemaligen Fleischverkaufsstelle einigermaßen sicher. Dank ihrer Erfahrung, daß das Ei, dem sie ihre eigene Herkunft verdankt, von jemandem gelegt worden sein mußte, der noch früher da war, konnte sie das für die Ausstellung entscheidende Stichwort geben: Früher da war ziemlich alles ziemlich banal.

Zabkantikow hat das Banale materialisiert. In einer der Collagen vereinigte er schreibmaschinenschriftliche Zeilen zum Bild. Sie stammen aus offiziellen Schreiben diverser Staats- und anderer Räte, mit denen diese auf Einsprüche des Autors gegen die Ablehnung einer Urlaubsreise nach Ungarn reagierten.

Auf diese Weise bewahrt und dokumentiert der Betroffene Erinnerungen an Geschehnisse, von denen selbst die Bundeskanzlerin nicht müde wird zu betonen, daß sie nie vergessen werden dürfen: Erinnerungen an staatliche Willkür und die versuchte Unterdrückung von Individualität und freiem Gedankengut. Er bewahrt sie in puris naturalibus, also in lächerlicher Nacktheit. Damit ist er weit entfernt von jeder ostalgischen Verklärung, die sich nur gar zu gern und allzu rasch in der kabarettistischen Schwebe zwischen Das war nicht alles schlecht und Das war alles nicht schlecht so häuslich eingerichtet hat.

Noch während der Eröffnung wurde offenbar, daß, wie Emma zu Protokoll gab, damals sogar das freie Eierlegen aus Sicherheitsgründen untersagt war.

Doch auch in der Kunst gilt: Jede Aktion ist Re-aktion. Deshalb lag für viele Führungsoffiziere der Schluß nahe, Künstler seien reaktionär, was sie zu höherer Aufmerksamkeit spornte. Dabei kamen ihnen die zahlreichen Malergesellen zu Hilfe, die sich vor allem aufs Anschwärzen verstanden, was sich später an ge-schwärzten Unterlagen nicht mehr vollständig ablesen ließ. Auch dafür bietet die Ausstellung Beispiele.

Hier ist nun ein Hinweis von Kurt Schwitters wichtig: Für die Herren Kunstkritiker füge ich hinzu, daß es selbstverständlich ein weit größeres Können erfordert, aus der künstlerisch nicht geformten Natur ein Kunstwerk auszuschneiden, als aus einem eigenen künstlerischen Gesetz ein Kunstwerk mit beliebigem Material zusammenzubauen. (K. Schwitters: i, ein Manfest)

Auch auf die Gefahr hin, in Widerspruch zu biblischen Geboten zu geraten, ist jedermann aufgerufen, sich nicht nur ein Fest, sondern vor allem selbst ein Bild zu machen. Das ist bis Jahresende zu den Öffnungszeiten möglich, und ich füge hinzu: Es lohnt sich auf jeden Fall.

Thomas Gerlach

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