Doppelt begabt ist einfach interessant

Ein Besuch beim Schriftsteller und Maler Christian URI Weber

Ich kenne Christian Weber – URI – schon seit etwa 25 Jahren, aber erst eine zufällige (Wieder-)Begegnung im Juni führte uns in einem längeren Gespräch näher zusammen und mündete schließlich sogar in einer Einladung zu ihm nach Hause. Interessanterweise lassen sich die drei Radebeuler Häuser, in denen Weber seit 1984 gewohnt hat bzw. bis heute wohnt, auf einer Gerade anordnen, die den östlichen Rand der Oberlößnitz in Nord-Süd-Richtung schneidet und die sich, weil über die Meißner Straße reichend, bis ins „alte“ Radebeul Richtung Bahnhof Ost erstreckt. Womöglich ist diese beharrliche Verankerung im Osten unserer Stadt auch insgeheim ein Grund dafür, dass Weber seine jüngste und bis in den späten Oktober reichende Ausstellung in der Stadtbibliothek sinnreich mit „Im Osten was Neues“ betitelt hat. Als bildender Künstler ist URI den Radebeulern seit etwa 20 Jahren bekannt, und nicht zuletzt hat auch „Vorschau & Rückblick“ den unterdessen 76 Jahre alt gewordenen studierten Theologen und Psychologen sowie langjährigen Leiter einer kirchlichen Einrichtung in der Oberlausitz vor allem als Maler gewürdigt (vgl. Hefte 8/2008, 12/2008 und 7/2009). Weniger bekannt allerdings sind Webers aktuelle und vor allem auch frühere literarische Ambitionen, die ihn als geistreichen Zeitgenossen und Chronisten der Wendezeit vor 30 Jahren ausweisen. Die Erinnerung an die friedliche Revolution 1989/1990 war für mich auch der eigentliche Anlass gewesen, mich mit dem Künstler zu treffen, aber nicht überraschend streifte unser Gespräch dann doch alle Lebensphasen des einfallsreichen Denkers, der – und das werden wohl die wenigsten vermuten – nach dem Abitur 1962 in Dresden erst einmal eine Lehre als Facharbeiter für Kühlanlagen absolvierte.
Umgeben von eigenen Farbcollagen empfängt mich Christian Weber in seiner Wohnung und heißt mich mit Kaffee und Gebäck im Wohnzimmer willkommen. Ein großes, bodentiefes Fenster gibt den Blick auf den Garten frei und lässt viel Licht herein. „Erleuchtung“ wäre sicherlich ein treffender Begriff, der Webers Motivation für das Schreiben einfängt. Seit seiner Jugendzeit nämlich haben es ihm Aphorismen angetan, also jene pointiert formulierten Gedanken, als deren Vater der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) gilt. Aphorismen stehen für sich, bedürfen keines Kontextes und sind im besten Falle in einem Satz gebannte Erkenntnisse, verschaffen dem Leser somit ein Aha-Erlebnis. Griffbereit liegt neben dem Lehnstuhl im Wohnzimmer ein Zettelblock, auf dem Weber spontane Einfälle notiert, die er nicht selten in den frühen Stunden des Tages hat. Denn zumeist steht er gegen 4 Uhr auf, genießt die ablenkungsfreie Ruhe im Haus, setzt sich hin und schreibt. „Wann die Muse einen küsst, ist nicht absehbar, man braucht Geduld. Deshalb ist es auch ungünstig, wenn mir während des Autofahrens eine Idee für einen Aphorismus kommt. Denn man muss diese eigentlich sofort notieren, sonst ist sie oftmals gleich wieder weg.“ Seit 1999 hat URI insgesamt zehn von ihm selbst illustrierte Bände mit Aphorismen veröffentlicht, davon die Hälfte im eigenen Galerie-Verlag (bis 2007). Wie kam es eigentlich dazu, frage ich, dass er einen Verlag gründete? Weber lacht verschmitzt und holt zur Erklärung zwei Taschenbücher aus den Jahren 1989 und 1990 hervor. „Ich bleibe! Alltag in der DDR“ heißt das erste, in Stuttgart im Frühling 1989 erschienene Werk. Dieses enthält – so merkwürdig es sich auch für die westdeutschen Leser damals anlassen musste – eine sehr persönliche Begründung dafür, eben nicht, wie so viele andere DDR-Intellektuelle, in jener Zeit einen Ausreiseantrag zu stellen. Mit dem Abstand von 30 Jahren lesen sich die mit nüchternem Blick auf die Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus verfassten Notizen noch immer gut, vor allem, wenn man, wie ich, seine eigene Biografie darin teilweise gespiegelt findet. Dieses Buch war erfolgreich, erschien in mehreren Auflagen und wurde sogar ins Französische übersetzt. Ganz so einfach war es im Sommer 1989 allerdings nicht für französische Journalisten, an den in Radebeul lebenden Autor heranzukommen, denn die Stasi saß Weber da längst schon im Nacken. „Wir mussten uns in Ostberlin treffen, hier wäre das nicht gegangen“, erinnert sich Weber. Im zweiten Buch, „Alltag einer friedlichen Revolution. Notizen aus der DDR“, liest man unter dem Datum 18. Dezember folgende Vermerke: „Von Ende September bis Mitte November erreichte mich keine Post mehr aus der BRD und dem Ausland. Offenbar war das Erscheinen meines Buches […] der Grund dafür. […] Die Postsperre von fast sechs Wochen stellte offensichtlich eine Strafe dar.“ Weber kommentiert diese Passage 30 Jahre später ganz nüchtern: „Wenn die Wende nicht gekommen wäre, dann hätte man mich wohl nach Bautzen ins Gefängnis gesteckt.“ Als dann im Jahr 1990 das Presse- und Verlagswesen die neu gewonnene Freiheit in der DDR für sich zu nutzten begann, war Weber einer der Ersten, der Nägel mit Köpfen machte. „Ich wollte einen Verlag für meine eigenen Bücher gründen und damit unabhängig von anderen sein. Die Behörden in Dresden waren übrigens ziemlich überfordert mit meinem Ansinnen. Aber ich ließ mich nicht beirren und gründete den Galerie-Verlag auf der August-Bebel-Straße.“ In den 1990er Jahren hatte Weber ein gutes Gespür für den steigenden Bedarf an touristischer Literatur für Dresden und das Elbland. Angesichts der heutigen Fülle an Stadtführern und thematischen Publikationen kann man sich kaum vorstellen, dass es Weber damals gelang, diese Nische fast exklusiv zu besetzen und zum Marktführer zu werden. 1994 erweiterte er seine Aktivitäten und gründete eine Ladengalerie am Meißner Dom, in dem er neben touristischen Artikeln auch Bilder befreundeter Maler wie Horst Hille oder Gunter Herrmann verkaufte. Zwischenzeitlich hatte er in seinem Verlag mehr als zehn Mitarbeiter, die sich in Radebeul, Dresden und Meißen um Produktion und Vertrieb kümmerten. Auf jene Jahre datiert Christian Weber auch die Entstehung des Künstlernamens URI, der sich vom Adjektiv „urig“ ableitet, wie er erklärt. Über Jahrzehnte war seine in der Jugendzeit schon einmal sichtbar gewordene Neigung zum Malen (sein Vater war Dresdner Architekt und Maler) unter familiären und beruflichen Pflichten verdeckt geblieben, bis sie sich schließlich wieder zeigte und Christian Weber als Erwachsener zum Malen zurückkehrte. Von seinen Malerfreunden, besonders der unlängst verstorbenen Gunter Herrmann ist da zu nennen, wurde er nachhaltig in seinen Absichten bestärkt. Inzwischen sind in den zurückliegenden gut zweieinhalb Jahrzehnten mehr als 200 Werke entstanden, von denen die meisten mit Alkydharzlack bemalte Sperrholzplatten sind. Einige davon haben den Weg in Privatsammlungen im In- und Ausland und in Galerien gefunden, vieles liegt aber auch noch wohlverwahrt zu Hause und kann von Interessenten z. B. anlässlich des Radebeuler Grafikmarktes und der Kunstmesse „Neue Art“ in Dresden erworben werden, an denen Weber seit Jahren mitwirkt. Das Malen nimmt den überwiegenden Teil seines Tages ein, erwähnt URI. Andere Senioren mögen gärtnern oder wandern, musizieren oder kochen – er malt eben tagsüber. Seine Werkstatt im Dachboden bekomme ich leider nicht zu sehen, wohl aber einen Aphorismus zu lesen, der diese Verweigerung auf hintersinnige Weise erklärt: „Nimmst du ihm sein Chaos, zerstörst du ihm seine Ordnung.“ Nicht ohne Stolz verweist Weber darauf, dass seine Aphorismen inzwischen auch im deutschsprachigen Ausland Anerkennung finden und einige seiner Geistesblitze etwa auf großformatigen Wandkalendern abgedruckt sind und dabei in ehrenvoller Nachbarschaft zu beispielsweise Oscar Wilde und Karl Kraus stehen. Tatsächlich engagiert sich Weber für die Pflege des Aphorismus und ist in dieser Rolle auch als Gründungsmitglied des Deutschen Aphorismus-Archivs in Hattingen/Ruhr bekannt – als einziger Vertreter aus Ostdeutschland übrigens.
Der Kaffee in meiner weißen Porzellantasse ist kalt geworden, so sehr haben mich Christian Webers Einlassungen zu seinem schriftstellerischen und malerischen Schaffen gefesselt. Eine letzte Frage liegt mir nach all dem Gehörten noch auf dem Herzen. Wenn er sich nun aufgrund altersbedingter Umstände einmal entscheiden müsste – Schreiben oder Malen, wofür würde sein Herz mehr schlagen? URI zögert keine Sekunde: „Für das Schreiben“. Auf dem Nachhauseweg fällt mir dazu ein Gedanke ein, vielleicht ist es ja sogar ein Aphorismus? „Doppelbegabung: auf das eine um des anderen Willen verzichten zu können.“
Bertram Kazmirowski

Tipp: “Im Osten was Neues“. Bilder von Christian Uri Weber. Stadtbibliothek Radebeul. Galeriegespräch und Lesung am 17. September, 19 Uhr, Ausstellung bis 24. Oktober.

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