Radebeuler Miniaturen

Fliedermann und Rosenmarie

Nein, lila wäre zu simpel. Es ist ein Blau, das ins Rot hineinspielt, mal dunkler, mal heller, ja, es gibt ihn auch ganz weiß, den Flieder.
Laß nur den April vorübergehn mit seinen Launen, dann wirst du sehen können, wie der Fliedermann durch die Gärten wandert. Er kommt meist gegen Abend. Die Luft ist leichter geworden, und es schwingt etwas in ihr, das du nicht benennen kannst. Da weht noch einmal ein milder Hauch über die Köpfe, streicht dir durchs Haar und du spürst, irgendetwas ist anders geworden. Das war der Fliedermann. Du suchst ihn als Biedermann hinter einem leichten Spazierstock, aber – du wirst ihn nicht finden. Längst ist er viele Gärten weiter und nur die Bäume drehen die Köpfe nach ihm um. Aber wenn du am Morgen aus der Tür trittst, wird dir die Duftglocke die Eile nehmen. Tief atmend stehst du da, staunend über das abermalige Wunder. Nun weißt du genau: er ist da gewesen. Mit seinem Zauberstäbchen hat er all die wahrhaftig süßen Kelche – wer wollte sie zählen?! – erblühen lassen, die nun ihr Aroma in den Morgen senden.
Du wirst dich suchend umblicken, die Straße wird leer sein, aber über allen Zäunen grüßen die blauen Köpfe. So ist er überall und nirgends an diesem Morgen, und der Flieder glänzt in der frühen Sonne, und du weißt, es ist Mai. Mit ihm sind die Bienen unterwegs, solch ein Gewimmel … Sobald sich nur ein Stückchen Sonne zeigt, können sie gar nicht schnell genug von Blüte zu Blüte huschen, vor dem nächsten Regen die süße Fracht einzutragen.
Nicht mehr lang hin, da wird der Weg übersät sein mit all den ehemals blauen, nun aber welken Blütenkelchen, die ihre Zeit gehabt haben, wie du irgendwann deine Zeit gehabt haben wirst. Dann kannst du ihn verändert wiedersehen, den Fliedermann: Er lehnt lässig an der Remise, läßt sein Stöckchen kreisen mit einem Lächeln, wie weiland Johannes Heesters, und wartet auf die Rosenmarie.
So war der Mai.
Inzwischen tanzt Ulrike zwischen Bienen und Faltern durchs hüfthohe Gras der blühenden Wiesen. Wenn wir endlich aufhören, uns mit Rasemähergedöns einzumischen ins Wachstum, könnte es wieder häufiger solche Frühlingstage geben.

Thomas Gerlach, Mai 2021

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