Hoffnung 2.1
Ulrike weint.
Patenkind Tobias hat zur Schuleinführung einen lange gehegten Wunsch erfüllt bekommen: Er hält nun eine dieser nervigen grellbunten Kalaschnikows aus Kunststoff in seinen immer noch zarten Händen, die bezeichnender Weise auf den schönen Namen „nerv“ (was, damits nicht so auffällt, „nörf“ gesprochen wird) hören und für die seelische Gesundheit der Heranwachsenden angeblich so unerläßlich sind.
Wie bitte? frage ich staunend, was hat denn ein Schießeisen mit „seelischer“ Gesundheit zu tun?!
Der Besitz eines solchen Gerätes, erklärt die plötzlich geduldige Ulrike und wischt sich die Tränen aus den Augen, schützt vor psychischen Schäden. Hast du noch nichts davon gelesen? Die Zeitungen – sie wühlt im Altpapier – sind voll von tiefgründigen Forschungsergebnissen profunder Kinderpsychologen, die eindeutig nachweisen, daß die Verweigerung derartiger Dinge durch „Erziehungsberechtigte“ zu bleibenden und schwerwiegenden seelischen Beeinträchtigungen führt. Die Hochrüstung in unseren Kinderzimmern dient demnach der Persönlichkeitsbildung!
Sind auch Frauen unter den „Experten“? frage ich lachend.
Experten sind immer Männer, sagt sie schnippisch, aber bestimmt gibt’s auch infizierte Expertinnen. Es gibt ja auch Soldatinnen – manchmal sind eben Frauen auch nur Männer, fügt sie lachend hinzu.
Zurück zu dir, wende ich ein, worin siehst du nun den konkreten Grund für deine Tränen, wenn das alles so gesund ist?
Tränen brauchen keinen Grund, sie drängen von selbst ans Licht, wenns an der Zeit ist. Bis jetzt ist das alles ja tatsächlich noch harmlos: Er schießt nur seine bisher so heißgeliebten Playmobilmänneln vom Fensterbrett, wobei er glücklicherweise meistens nicht mal trifft. Ich stelle mir nur vor, wie das weitergeht … ich sehe da schon Blutspuren im Kinderzimmer…
Ich weiß schon, sage ich solidarisch, wenn eins erstmal in die Fänge der Waffenlobby geraten ist, ist der Weg zum Amoklauf nur noch kurz – Amerika läßt grüßen.
Ulrike blickt mich dankbar an: Es ist so selten, daß wir in einem Feindbild übereinstimmen. Dennoch wage ich einen Einwand: Siehs doch einfach mal so: Wenn der Junge auf die Weise seelisch gestärkt und tatsächlich erwachsen werden kann, ist er später vielleicht erhaben über die infantilen Waffenspielereien der Uniformträger. Wer sein Mütchen am Spielzeug kühlt, braucht dann (was freilich eine wirtschaftspolitische Katastrophe wäre) möglicherweise keine Rüstungsindustrie mehr…
Ulrike schließt die Augen und läßt die langersehnte Septembersonne auf sich wirken. Das klingt viel zu schön, um wahr werden zu können, sagt sie dann …
Thomas Gerlach