Radebeuler Miniaturen

Brandstifter aller Länder …

„Erhebt euch nicht über andere, seid immer freundlich und geduldig. Sucht in Liebe miteinander auszukommen … legt den alten Menschen ab, der sich von seinen selbstsüchtigen Wünschen verlocken läßt…“
Solche ebenso vergeblichen wie zeitlos gültigen Worte schrieb der Apostel Paulus aus der Gefangenschaft in Rom an die Gemeinde in Ephesus. Wußte er, daß runde vierhundert Jahre zuvor ein Mann durch diese Stadt gelaufen war, dem die Ruhmsucht den Verstand geraubt hatte? Kannte er die Ereignisse aus der Nacht jenes 23. Juli?
Ich sehe die Szene lebhaft vor mir:
Längst ist Nacht geworden, aber die Hitze des Tages steckt noch in den Mauern. Leichtfüßig springt er, immer wieder lauschend innehaltend von Ecke zu Ecke durch die ahnungslos schlafende Stadt. Sorgsam ist er darauf bedacht, bei aller Eile nichts von dem Öl zu verschütten, das er in einem Krug bei sich trägt. Er wird es über die Stoffe gießen, sie tränken mit der duftenden Flüssigkeit, auf daß sie umso besser brennen. Er lacht in sich hinein. Der Tempelberg liegt in tiefster Stille. Die Wächter haben sich zurückgezogen. Längst kennt er die Wege, die er gehen muß, findet in tiefster Finsternis zu den Altären mit den Stoffen und Teppichen, die sich für seinen Plan am besten eignen.
Schon ist er vor Ort, schon beginnt er sein Werk. Gierig saugen die ausgetrockneten Stoffe das Öl auf. Er hält kurz inne, ja, mir ist sogar, als verbeuge er sich rasch und entschuldigend vor der großen Göttin, bevor er zum Feuer greift. Dann züngeln die Flammen auf. Zufrieden lächelnd zieht er sich zurück, sein Werk aus sicherer Entfernung zu betrachten: Der Artemistempel, eines der sieben Weltwunder, brennt. Als die Wärter den Brand bemerken, ist es zu spät.
Herostratos, der Brandstifter, wird ergriffen. Er leistet keinen Widerstand. Bei der peinlichen Befragung durch ein Gericht gibt er sein Motiv preis: Unsterblichkeit! Oder, wie der Dichter sagt: Es soll die Spur von meinen Erdentagen …
In ganz Kleinasien wird darauf hin die Nennung dieses Namens mit dem Tode bestraft. Es hat nichts genützt. Heute trägt die übertriebene Geltungssucht als „Herostratos-Syndrom“ seinen Namen. Allen Verboten zum Trotz hat er sein Ziel erreicht.

Danke, Herr Lehrer, sagt Ulrike in die nun entstehende Pause hinein. Trink maln Schluck, damit du wieder zu Stimme kommst. Folgsam greife ich nach meinem Becher.
Nur drei Sätze noch, sage ich dann, die gehören unbedingt dazu: in der gleichen Nacht des Jahres 356 v. Chr. ist, wie die Legende will, im griechischen Pella ein gewisser Alexander geboren worden. Als Sohn des makedonischen Königs Philipp war es ihm bestimmt, selbst König zu werden. Das selbstgesteckte Ziel dieses Königtums war die Weltherrschaft, für die er den Brand des Krieges bis nach Indien hinein getragen hat. Noch heute gilt er darum als „der Große“. Hätte er, sich wie Herostratos, mit ein paar Mauern begnügt, wäre er, wie jener gehenkt worden.
Lorbeer ernten immer nur die Großen Schurken…

Thomas Gerlach

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