Geflüchtet ans Paradies

Die Geschichte des Hauses „Maria Rast“ auf der Jägerstraße – Teil 2

Im 1. Teil dieses Beitrages (siehe August-Heft) wurde darüber berichtet, auf welche Weise das prominent oberhalb des sogenannten „Paradieses“ gelegene Anwesen auf der Jägerstraße 3 in Radebeul-Lindenau im Frühling 1945 in den Besitz von Ordensschwestern aus Dresden gelangt war. Der Artikel endete mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Umzug von Kranken und Alten aus der Gaststätte „Weintraube“, für die sich die Schwestern verantwortlich fühlten.

Provinzhaus der Elisabeth-Schwestern, 1967


In der Hauschronik sind die Erinnerungen von Sr. Eustachia an den dramatischen Tag des Einzugs auf die Jägerstraße 3 wie folgt wiedergegeben: Am 8. Juni 1945, am Festtage des Herzens Jesu, begann morgens nach 7 Uhr der Auszug aus der „Weintraube“ die Paradiesstraße entlang bis zur Jägerhofstraße. Auf einem Lastwagen mit Pferdegespann waren verladen: Tische, Stühle, Kochtöpfe, Hausgeräte u.a., soviel man hatte in der Zwischenzeit beschaffen können und der Wagen faßte. […] Bergauf versagte zuerst die Bremse, sodaß der Wagen leicht zurückschob, dann versagten die Pferde und zuletzt der Kutscher, der Halt machte, abladen ließ und einfach heimkehrte […] Auf einem geborgten Handwagen schleppten nun die Schwester mit ihren Begleiterinnen Stück für Stück bergauf ins Heim bis abends 8 Uhr! Todmüde, aber doch froh „heimgefunden“ zu haben. So wurde das Haus auf der Jägerstraße 3, welches auch als Dr. Waschke-Stiftung und „Haus Maria Rast“ (wobei „Rast“ nicht als Nachname zu lesen ist, sondern im Sinne von „Die Rast Marias“) unter den Radebeuler Katholiken bekannt war, zum Altersheim der ehemaligen Dresdner „Franceschi-Rentner“. Das blieb es auch nach deren Versterben für andere Senioren, später vor allem für hochbetagte Ordensfrauen der Grauen Schwestern, die im Joseph-Stift nicht mehr Dienst tun konnten. Was in der Chronik über diesen bewussten 8. Juni 1945 so nüchtern berichtet wird, entpuppt sich bei näherem Bedenken als eine staunenswerte Energieleistung der Ordensfrauen unter unmöglichen Bedingungen! Ein streikendes Pferdefuhrwerk und ein entnervter Kutscher – und das am Fuße der Jägerhofstraße! Man mag es sich ausmalen, wie etwa an der Kreuzung der heutigen Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße/Jägerhofstraße die Gruppe Alter und Kranker an einem warmen Sommertag mit abgeladenem Hausrat steht und die Ordensfrauen überlegen, wie sie die 18 gebrechlichen Menschen und das Umzugsgut den langen Anstieg hinauftransportieren können. Von medizinischer Versorgung und Verpflegung ganz zu schweigen! Erst wenn man dies im Blick hat, wird erklärlich, warum die ganze Aktion mehr als 12 Stunden dauerte und warum in der Hauschronik (durch eine namentlich nicht erschließbare Ordensfrau) vermerkt wurde: An der Stelle, wo dies geschehen ist, ist leider bis heute noch kein Gedenkstein errichtet worden.

So paradiesisch auch die Lage an sich war – mit freiem Blick über das Elbtal –, so unpraktisch war das Haus auf der Jägerstraße für den täglichen Betrieb als Pflegeeinrichtung. Keine nahegelegenen Einkaufsmöglichkeiten, keinerlei Nahverkehr und das Fehlen eigener Fahrzeuge, Mangel an Brennmaterial, kein Telefon, und Ärzte und das Krankenhaus recht weit entfernt. Hinzu kam für das katholisch geführte Haus auch noch der Umstand, dass die katholische Kapelle auf der Borstraße zu weit entfernt war, als dass eine Teilnahme an Gottesdiensten für die Ordensfrauen und die Bewohner in Reichweite gewesen wäre. Umso wichtiger war es, dass am 28. September 1945, drei Tage vor der juristischen Übergabe des Erbgrundstückes, ein Raum im Haus als Kapelle geweiht werden konnte, in der in den Jahrzehnten danach durch die Pfarrer der Radebeuler und Pieschener katholischen Kirchen auch regelmäßig Gottesdienste gefeiert wurden (siehe Foto aus einem Gemeindeblatt vom Mai 1981). In den Jahren 1970/71 erfolgte ein großer Umbau des Hauses, bei dem Bäder und Toiletten eingebaut und die Mansarden aufgestockt wurden, was dem Haus ein ganz anderes Aussehen verlieh. Die spätere Oberin Sr. Roberta beschrieb im Rückblick die Verhältnisse nach dem Umbau zur DDR-Zeit so: Später gab es viele Erschwernisse mit der Wasserversorgung, der Druck reichte nicht bis auf den Berg. So mußte oft mitten in der Nacht das Wasser für den kommenden Tag eingefüllt werden. Nach der Wende, zu Beginn der 90ger Jahre, wurde mit Hilfe des „Aufschwung Ost“ die Zentralheizung von Kohle auf Erdgas umgestellt und für das ganze Hause neue Fenster angeschafft.

1997


Nur noch acht Schwestern bildeten 1992 den Konvent in Radebeul, die ein Altenpflegeheim mit elf Plätzen betreuten. Am 3. September 1995 wurde anlässlich des 50. Jahrestages des Bestehens unter Anwesenheit des damaligen und Radebeul stets verbunden gewesenen Weihbischofs Georg Weinhold eine Hausfeier gestaltet. Was für ein Zufall, dass im gleichen Jahr auch das damals schon bedeutende Krankenhaus St. Joseph-Stift sein 100-jähriges Jubiläum feierte.

2025


Die Geschichte des Hauses „Maria Rast“ bis zur Auflösung durch die Kongregation am 21. Januar 2000 ist schnell erzählt. Weil das Heim ab dem Jahr 2000 nicht mehr in den Bedarfsplan des Freistaates Sachsen für Altenpflegeheime aufgenommen wurde, fiel die finanzielle Basis zum Weiterbetrieb des Hauses weg. Zuletzt waren noch vier Graue Schwestern im Haus, die sich um die wenigen verbliebenen Bewohner kümmerten. Es ist als eine schicksalhaft-glückliche Fügung zu bezeichnen, dass just in dieser Zeit das neue Caritas-Altenpflegeheim St. Michael auf der Friedrichstraße in Dresden eröffnet wurde, ganz in der Nähe, wo bis 1945 der Franceschi-Stift beheimatet gewesen war. Einige der letzten Bewohner des Radebeuler Hauses nahmen nun genau dort Quartier, womit in gewisser Weise das kriegsbedingt entstandene Radebeuler Konvent der Grauen Schwestern wieder an ihren Ursprungsort zurückkehrte und sich nach genau 55 Jahren der Kreis schloss.
Ob die heutigen Bewohner des Anwesens auf der Jägerstraße 3 die Geschichte des Hauses kennen, weiß ich nicht. Oft ist es ja auch gut und für den Alltag unerlässlich, wenn man den Hauch der Geschichte eines bestimmten Ortes nicht ständig im Nacken spürt. Wenn ich mir etwas wünschen würde, dann dies: Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, vielleicht einmal ganz bewusst die Jägerhofstraße hinauflaufen und dabei an die tapferen Ordensfrauen denken, die unter erbarmungswürdigen Umständen an einem Sommertag 1945 18 Alten und Kranken in einem Kraftakt das Ankommen in ihrem neuen Zuhause ermöglicht hatten.

Bertram Kazmirowski

Mein Dank gilt dem Provinzhaus der Schwestern der Heiligen Elisabeth in Berlin, namentlich Sr. Edith und Sr. Bernadette für die freundliche Unterstützung. Ebenso danke ich Frau Leidhold vom Stadtarchiv Radebeul, Herrn Dr. Borgmann, Herrn Kuhbandner, Herrn Helfricht und Dietrich Lohse für die unkomplizierte Hilfe bei der Beschaffung von Bildmaterial. Verwendete Quellen:
https://www.bistum-dresden-meissen.de/static/archiv/archiv-2010/150-jahre-elisabethschwestern-in-dresden.html
https://www.stadtwikidd.de/wiki/K%C3%A4ufferstra%C3%9Fe
https://de.wikipedia.org/wiki/Kongregation_der_Schwestern_von_der_hl._Elisabeth
https://www.josephstift-dresden.de/geschichte

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