Sprachlos
Also, mal ehrlich: was heutzutage alles so geschrieben und geredet wird, da kann einem mitunter nur übel werden. Hier wird frech vom Himmel herunter gelogen, dass sich die nichtvorhandenen Balken biegen. Man gewinnt den Eindruck, auf dem Rummel vor einer Wahrsagerbude zu stehen oder in eine Touristinfo geraten zu sein, deren Akteure per se die „Welt“ durch eine rosarote Brille sehen.
Erst neulich las ich in einem hiesigen Mitteilungsblatt von „faszinierende[r] Straßenkunst“, von „lebendige[r] Bühne und „abwechslungsreiche[m] Programm“ ohne das auch nur annähernd zu erfahren war, was ich darunter zu verstehen habe. Für wen waren wohl diese blanken Behauptungen bestimmt? Dachte etwa der oder die Autorin, für die Leser reicht das allemal? Da macht‘s den Beitrag auch nicht besser, wenn hinterher das ganze Programm angehängt wurde, dass man auch an anderer Stelle genauer nachlesen konnte. Einige erhellende Worte zum Anliegen und besonders zur inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung hätte man sich aber schon gewünscht. Fehlanzeige!
Da haben schon meine Eltern nur noch mit dem Kopf geschüttelt, als ich sie im jugendlichen Alter von vierzehn Jahren auf ihre Frage, wie es denn im Kino so gewesen sei, mit den nichtssagenden Worten „Na schön“ abgespeist habe. Damals war ich noch dumm. Aber der Mensch ändert sich bekanntlich und manchmal entwickelt er sich auch weiter. Heute kann jeder halbwegs intelligente Oberschüler eine genauere Beschreibung von einer Sachlage zu Papier bringen und hat es nicht nötig, auf allgemeine Floskeln zurückzugreifen, verfügt doch ein durchschnittlicher Erwachsener über einen Wortschatz von 8.000 bis 10.000 Vokabeln. Meistens aber, so scheint es mir, sind die Leute einfach nur zu faul, sich beim Sprechen mehr Mühe zu geben und sie begnügen sich im tagtäglichen Gebrauch der Sprache mit 400 bis 800 Wörtern! Das muss man sich mal vorstellen – 800 Wörter! Das sind gerademal 0,16 Prozent des deutschen Wortschatzes! Das will ich einfach nicht glauben! Das würde ja bedeuten, dass die meisten bei ihrer Entwicklung im Grundschulniveau stecken geblieben sind?! – So einen Text hätte ich meiner Frau nicht durchgehen lassen! Aber ja, ich vergaß, dass die deutsche Pädagogik die „Kritik“ abgewählt hat. Nicht mehr erwünscht! Zu negativ! Es werden nur noch die positiven Aspekte hervorgehoben. Könnte es sein, dass dann…?
Es bedarf schon einer gehörigen Portion an Selbstvertrauen, um diesen Text auf die Menschheit loszulassen. Nun könnte man sinnieren, ob es an der Faulheit der Leute, am unsachgemäßen Gebrauch elektronischer Kommunikationsmittel, an der Vernachlässigung der Schreibschrift, am mangelhaften Bildungswesen oder an allem zusammen liegt, wenn 44 Prozent der Schüler keinen Bock auf den Deutschunterricht haben. Mit der Klassik braucht der Lehrer da gar nicht erst zu kommen. Goethe ist doch schließlich kein Popstar!
Ja, in der Schule sollte man fürs Leben lernen. Freilich wird dort noch zu viel auswendig gepaukt. Aber reicht für dieses jetzige Leben nur der Zeitbezug? Kann man Geisteswissenschaften und die Geschichte einfach abwählen? Kalter Kaffee? Oder ist das alles auch eine Frage der Vermittlung und des Geldbeutels? Seit über einem Jahrzehnt bekommen wir den Lehrermangel in Sachsen nicht in den Griff! Schon lange häufen sich auffällig die Events und inhaltsleeren Aktionen in der Kultur. Erst unlängst flatterte mir eine Einladung ins Haus, die kein Wort zum Anliegen der Veranstaltung enthielt. Ich war regelrecht sprachlos. Da kann man sich nur noch mit einer Glosse wehren, meint
Euer Motzi