Vom Begeisterungssog nicht ganz erfasst

Zur Premiere von „Hamlet“ am 18.10.2025

Alexander Wulke, Michael Berndt- Cananá, Julia Rani, Tuan Ly, Moritz Gabriel, Julia Vincze (v. l.) Foto: R. Jungnickel

Wer Shakespeares “Hamlet” auf den Spielplan setzt, weckt beim Publikum Erwartungen und Vorfreude. Erwartungen, weil einerseits die Fallhöhe beträchtlich ist, denn groß ist die Zahl renommierter Darsteller und Regisseure, die sich dieses Stoffes angenommen haben (Ich hörte in Gesprächen am Premierenabend von noch erstaunlich frischen Erinnerungen an den letzten „Hamlet“ am Haus unter Carsten Ramm mit Matthias Henkel in einer seiner größten Rollen in der Spielzeit 1996/97). Andererseits sind die Möglichkeiten zur unverhofften Neu- und Wiederentdeckung wie bei kaum einem anderen Werk immens, denn dieses Stück sei wie ein „Schwamm“, der die „Gegenwart aufsauge“ (wie es im Programmheft heißt), und Gegenwart ist schließlich immer. Vorfreude, weil man als Theaterliebhaber das eine oder andere Zitat aus diesem Stück mit sich herumträgt und nur darauf wartet, bis man beispielsweise den Protagonisten (hier: Michael Berndt-Cananá) am Beginn des 3. Aktes den berühmtesten aller Monologe über das Sein oder Nicht-Sein sprechen hört. Nun also machten sich Intendant Manuel Schöbel (Regie), Johannes Frohnsdorf (Dramaturgie), Ralph Zeger (Bühne) und Sabine Moncys (Kostüme) als maßgebliches Inszenierungsteam an dieses Werk und präsentierten ihre Lesart in einer Textfassung von Erich Fried aus den 1960er Jahren, was zumindest eine überraschende Wahl ist und den kundigen Zuschauer aufmerken lässt. Denn in dieser Textfassung kommen einige der bekanntesten Verse in anderer Form daher, so ist die Welt nicht „aus den Fugen“, sondern „aus dem Leim“, so hat nicht der „Wahnsinn“ Methode, sondern die „Tollheit“. Das Stück entfaltet sich auf einer Bühne, die am Anfang noch für Aufmerksamkeit sorgt: Metallgestelle und Holzelemente im Hintergrund, zu beiden Seiten eine Anzahl an die Antike gemahnende Skulpturen, von denen man allerdings schon bald nicht weiß, wozu sie eigentlich gut sein sollen. Über die gesamte Spieldauer wird sich an dieser Konstellation nichts Wesentliches ändern, womit schon ein Mangel benannt ist. Mag es auch praktisch sein, auf lange Umbaupausen verzichten zu können, so ermüdet es das Auge, auf die immer gleiche Staffage blicken zu müssen, zumal in letzter Zeit multifunktionale Gestelle häufig das Mittel der Wahl zu sein scheinen. Zwar kommt schon im ersten Teil ein mobiler Billardtisch dazu, der geschickt in verschiedener Funktion Verwendung findet, aber mehr Belebung erfährt die Bühne nicht. Deutlich vielgestaltiger werden die Akteure in Schale geworfen, was allerdings nicht unbedingt unmittelbar zur Sinnstiftung beiträgt. Der Bösewicht König Claudius (Grian Duesberg, der für meinen Geschmack mit der Rolle etwas fremdelt) kommt als geleckter Geck mit trumpscher Haarfarbe daher. Seine Frau Gertrude (Sandra Maria Huimann hat vor allem im ersten Teil starke Momente als selbstbewusste Königin) trägt zeitlos elegante Kleider. Polonius (Alexander Wulke interpretiert den höfischen Günstling solide und schnörkellos) wiederum steckt ordensreich dekoriert in einer Armeejacke neueren Zuschnitts. Dessen Tochter Ophelia (Vega Fenske, deren etwas zu harte und dialektal eingefärbte Diktion überrascht) muss sich mit scheinbar willkürlich zusammengesetzten Stoffen und Farben als Girlie der Gen Z präsentieren. Einzig Hamlet und Horatio (Julia Rani überzeugt auf ganzer Linie als empathischer, kämpferischer Charakter und Freund Hamlets) wirken in ihrem Schwarz stimmig und eins mit ihrer Rolle, was möglicherweise als bewusste Lenkung der Sympathie zu verstehen ist. Dieses Potpourri an Kostümierung kann möglicherweise als Fingerzeig dafür herhalten, dass sich die im Stück verhandelten Themen und Konflikte einer zeitlichen Zuschreibung entziehen und die anfangs erwähnte Dauer-Gegenwart ja alle möglichen Moden und Geschmäcker umfasst. Wer nun aber geglaubt hat, dass die Inszenierung Signale einer frischen Lesart hin auf unsere Gegenwart sendet, der irrt sich. Ob man das nun als angemessenen Verzicht auf verkrampfte Modernisierung sieht oder als verpasste Chance auf Aha-Effekte, das mag von Besucher zu Besucher verschieden sein. Im Ganzen ergibt sich aber das Bild einer unentschlossenen Inszenierung im Hinblick auf die Wahl der Mittel, was den Sog des Stückes abschwächt. Wenn also die Umsetzung des Stückes Fragen aufwirft und auch etwas Enttäuschung produziert, so trägt der Text natürlich noch immer, fesselt der Stoff an sich. Michael Berndt-Cananá ist eine überzeugende Besetzung für diese herausfordernde Rolle. Man nimmt ihm das Changieren zwischen strategisch untersetzter Tatkraft gerade im Teil vor der Pause und zögernder Verstörtheit vor allem nach der Pause ab; man versteht seine existenziell empfundene Verunsicherung angesichts des offenbarten Geheimnisses zum Mord an seinem Vater; man fühlt mit ihm beim Verlust Ophelias. Stark ist Hamlets Wutausbruch im Gespräch mit seiner Mutter, beeindruckend sein finales Fechtduell mit Ophelias Bruder Laertes (Oliver Natterer). Für einen grotesk-heiteren Kontrapunkt in bester shakespearscher Tradition (im Original treten zwei Clowns an dieser Stelle auf) sorgen kurz vor Ende vier Totengräber (Moritz Gabriel, Renat Safiullin, Matthias Avemarg und Alexander Wulke) mit einer an den Barbershop-Gesang erinnernden Nummer nebst Formationstanzeinlage. Ein Totenkopf als Spielobjekt zwischen Hamlet und einem der Totengräber macht danach deutlich, dass sich mit Entsetzen eben doch gut Scherz treiben lässt. Julia Vincze in zwei Rollen (Schauspieler und Fortinbras) sowie Thomas Förster als Priester und Geist von Hamlets Vater und Tuan Ly als Tänzer ergänzen die Riege der Akteure, Berthold und Hubert Brauer sorgen zudem für musikalische Impulse (etwa bei der Begleitung von Ophelias Klagelieder).
Was bleibt von diesem Abend? Ein freundlich-wohlgefälliger, aber keineswegs euphorischer Applaus nach gut drei Stunden Spielzeit und damit die Erkenntnis, dass eine starke Textvorlage Ansprüche produziert, die erst einmal eingelöst werden wollen. Die Anerkennung dafür, dass sich die Landesbühnen redlich und kreativ bemühen, ihrem Publikum jenseits der eigentlichen Inszenierung noch einen thematischen Mehrwert zu liefern, denn die Angebote im Glasfoyer laden zum Mitmachen (z.B. Gestaltung eines eigenen Geistes mit KI, Einladung zum Formulieren von Assoziationen zum Sein und Nichtsein) und Mitfreuen (im Raum verteilte Leckereien mit morbidem Charme) ein. Und es bleibt der Wunsch, dass Klassikerinszenierungen auch weiterhin fester Bestandteil des Spielplanes der Landesbühnen Sachsen bleiben und damit deren Funktion als Ort der Pflege einer mehr als 2000 Jahre alten Theatertradition weiter gestärkt wird.

Bertram Kazmirowski


Nächste Aufführungen: 1.11. 19.30 Uhr, 2.11. 19 Uhr, 21.11. 19.30 Uhr (jeweils Radebeul), 14.11. 19.30 Uhr Meißen, 23.11. 17 Uhr Großenhain.

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