Glöckner in Coswig?

Ideen, ausgeführte und verschwundene Sgraffito-Arbeiten

Eine kleine Premiere: Ich will in unserem Heft etwas über Coswig schreiben – warum habe ich das in 20 Jahren Vorschauarbeit nicht schon früher getan? Wohl, weil in unserem Blatt normalerweise Coswiger über ihre Stadt berichten. Anderseits kann es nicht schaden, mal über den „Tellerrand“ zu schauen, vielleicht kommt ja dabei etwas Verbindendes heraus. Aber lohnt es sich, über verschwundene Sachen zu reden, also den „Schnee von gestern“? Oder sollte man es doch lieber so sehen, dass es gut ist, jetzt alles zum Thema Glöckner in Coswig aufzuschreiben, ehe sich niemand mehr daran erinnern kann.

Sgraffitos (nicht zu verwechseln mit Graffitis) sind Putzschnitte mit farbiger, meist in Umbra, Hinterlegung an Fassaden, seltener in Innenräumen. Eine Technologie zwischen Handwerk und Kunst, die in erster Linie Laden- und Firmenwerbung dient, aber auch reine Schmuckfunktion haben kann. Solche Putzarbeiten waren für den Dresdner Hermann Glöckner (1889-1987), der als Künstler längst einen internationalen Ruf hatte, nur eine Nebenlinie seines Schaffens. Aber in bestimmten Zeiträumen waren sie für ihn und seine Frau sehr wichtig, ja geradezu lebenswichtig, denn seine Kunst des Konstruktivismus auf Tafelwerken oder seine Plastiken wurden zunächst nur von wenigen verstanden und im 3. Reich sowie über viele Jahre in der DDR ausgegrenzt. Die handwerklich-künstlerischen Arbeiten dagegen waren sehr gefragt. Es fällt auch schwer, in seinen Tafelwerken und den Sgraffitos die gleiche künstlerische Handschrift zu erkennen. Zur Ausbreitung seiner Sgraffitos ist festzustellen: Die meisten Arbeiten dürften in Dresden zu finden, bzw. zu finden gewesen (Kriegsverluste) sein, gefolgt von Orten im nahen Umfeld wie Radebeul1, Coswig, Heidenau und Freital, einzelne Aufträge führten ihn und seine Frau Frieda auch nach Berlin, Finsterwalde und Bad Berka. Leider sind solche Putzschnitte nicht unbegrenzt haltbar oder gültig. Wenn bspw. eine Ladenwerbung von einem Bäcker bestellt und so ausgeführt wurde, aber nach 50 Jahren der Bäcker sein Geschäft schließt und später ein Kurzwarengeschäft öffnet, passt die Ladenwerbung nicht mehr. Anderseits können Putze und Farben altern und abfallen. Einigen Hauseigentümern ist dann vielleicht die Reparatur oder Erneuerung des Putzschnitts zu teuer, Spritzputz wäre ja billiger. Hinzu kommt, dass die Sorge für den Erhalt von Glöckners diesbezüglichen Arbeiten schwer einer passenden Behörde zuzuordnen ist – vielleicht das Kulturamt, die Denkmalschutzbehörde oder das Gewerbeamt? In Radebeul ist es trotz einzelner bedauerlicher Verluste (z.B. Turnerweg) seit 1990 gelungen, die Mehrzahl zu erhalten. In Coswig ging 2007 wohl die letzte Sgraffito-Arbeit an der Fleischerei Bachmann mit dem Abbruch des Hauses verloren. Bei den meisten Coswiger Sgraffitos lässt sich der Zeitpunkt des Verschwindens heute kaum noch genau rekonstruieren. Es wäre aber falsch, in dem Aufsatz eine Schuldzuweisung für den Verlust der Coswiger Sgraffitoarbeiten Glöckners erkennen zu wollen oder die Feststellung zu sehen, in Radebeul hätte man diesbezüglich alles besser gemacht – da spielen auch Zufälle eine Rolle.

Anhand einer Auflistung der baugebundenen Arbeiten in einem Glöckner-Katalog von 1989 lassen sich folgende in Coswig ehemals geplante oder ausgeführte Sgraffitos nennen:

1935 – 2 Bildfelder an genossenschaftlichen Wohnhausgiebeln
1947 – Bäckerei Karl Richter
1947 – Fleischerei Bachmann
1949 – Adler-Drogerie (1960 noch einmal genannt?)
1949 – Getriebewerk ABUS
1949 – landwirtschaftliche Genossenschaft Coswig
1950 – Sozialversicherungskasse
1959 – Sluka-Federn
1965 – Getriebewerk – Änderung der Schriftzeile

Die Zuordnung einer Schrift im Katalog für Tabak Wiesner (1950/60) nach Coswig ist falsch. Diese Schriftzeile ist in Radebeul-Zitzschewig und trotz Leerstands des Hauses Meißner Straße 443 immer noch deutlich zu erkennen.

Zu den im Katalog genannten Coswiger Putzschriften, bzw. Putzbildern war durch meine Recherchen im Jahre 2012 folgendes festzustellen.

  1. »Mutter«, An der Heide 40

    Die 1941/42 errichteten Genossenschaftshäuser An der Heide 40 (entspricht dem Foto S. 289 des Glöckner-Katalogs von 2010) und Berliner Straße 3 (Motiv Jäger mit Hund?) hatten Putzbilder von Glöckner erhalten. Allerdings belegt der Schriftverkehr in einer in Coswig archivierten Mappe, dass es seit der Antragstellung durch die Spar- und Baugenossenschaft Coswig zwischen dieser und dem Landratsamt in Meißen und später dem Regierungspräsidium Dresden / Bautzen zur Zulässigkeit dieser an Werbung für die Genossenschaft erinnernde Fassadengestaltung Streit gab. Schließlich wurde das mehrere Monate dauernde Wortgefecht mit einem durchaus politisch gemeinten Machtwort (mit Bezug auf einen sogen. Führererlass!) des Regierungspräsidiums vom 10.07.41 beendet. Das berührte Glöckner selbst nicht, so dass hieraus keine Schlüsse auf seine politische Haltung gezogen werden können. Nun wurden Glöckners Entwürfe etwas verkleinert und farblich auf gebrochene Rot- oder Brauntöne reduziert realisiert. Unklar ist aber, ob mehr als die zwei Wandbilder ausgeführt wurden. Zwei ältere Anwohner bestätigten mir hier am 14.02.12, dass bis etwa 1995 an beiden Hausgiebeln je ein derartiges Putzbild noch zu sehen war, die Häuser jedoch 1997 von der Wohnungsgenossenschaft Coswig mit Wärmedämmung und Balkonen versehen worden sind. Der alte Putz sei noch fest gewesen und einfach überbaut worden, d.h., diese Putzbilder könnten möglicherweise im Untergrund nach wie vor vorhanden sein. Der Katalog von 2010 beschreibt noch 2 weitere Putzbilder, die aber bisher nicht zugeordnet werden können. Die Angabe zur Realisierung 1935 im Katalog dürfte auch nicht korrekt sein, denn erst nach Errichtung der Häuser 1942 können diese Sgraffitos angebracht worden sein.
  2. Hermann Glöckner: Fleischerei Bachmann, bis 2007

    Hermann Glöckner: Fleischerei Bachmann (Detail), bis 2007

    Hermann Glöckner: Fleischerei Bachmann (Detail), bis 2007

    Das Haus der Familie Bachmann, Hauptstraße 43, wurde 1888 errichtet und 1935 erweitert sowie modernisiert. Glöckner hat hier 1946 bzw. 1947 gearbeitet. Über dem Eingang der Fleischerei Bachmann2 war ein Putzbild mit zwei Schweinen und zwei Rindern in realistischer Darstellung zu sehen, das jeweils rechts und links über Eck von den Worten„Fleischerei“ flankiert war. Besonders typisch für Glöckners Buchstabenart ist das große „F“ mit senkrechtem Beistrich. Nach Schließung des Ladens wurde durch verschiedene Personen eine Rettung dieser Sgraffitoarbeiten versucht – das Haus war laut Landesamt für Denkmalpflege nicht als Kulturdenkmal erfasst und sollte auch nicht allein wegen Schrift und Bild in die Denkmalliste aufgenommen werden. Eine fachgerechte Abnahme von der Wand erwies sich als technisch zu aufwändig und auch zu teuer. U.a. Herrn Kühl aus Coswig sind die Fotos zu verdanken, die kurz vor dem Abbruch noch gemacht wurden. Man sieht hier, dass diese Glöcknerarbeit noch sehr gut erhalten war.
  3. Hermann Glöckner: Dresdner Straße, bis ca. 1972

    Die Firma Sächsische Bettfedernfabrik / Brüder Sluka GmbH & Co. KG, Dresdner Straße 94 verarbeitet Gänsefedern zu Bettfedern. Hier hat Hermann Glöckner 1959 an einer Mauer neben der Einfahrt eine solche Firmenwerbung in Sgraffitotechnik hergestellt. Zu sehen waren bis ca. 1972 drei Gänse, zwei Federn und die Worte „Brüder“ (große Druckbuchstaben) und „Sluka“ (Schreibschrift). Das Jahr des Abbruchs hängt sowohl mit der Verstaatlichung des Betriebes, als auch mit einer notwendigen Verbreiterung der Einfahrt zusammen. Es fand sich im Firmenarchiv noch ein altes Foto mit der Inschrift.
  4. Brauerei (vermutlich von Hermann Glöckner)

    Nicht in den Katalogen aufgeführt ist eine Putzschrift an der Adler-Brauerei / Lößnitz-Quell am Ravensburger Platz. Bei einem Rundgang durch Coswig im Februar 2012 und Vergleichen mit ähnlichen Radebeuler Arbeiten Glöckners vermute ich auch hier, abgesehen von der offenbar erst vor kürzlich geänderten Farbigkeit, Glöckners Handschrift. Da insbesondere der erste Katalog von 1989 ein paar Fehler hat, könnte da bei der Nennung zweier Adler-Drogerien nicht mit einer davon die Adler-Brauerei gemeint sein? Vielleicht kann diese Annahme der Zuschreibung im Nachhinein noch durch gesicherte Quellen bestätigt werden.
  5. Rathaus, Entwurf von 1946

    Glöckner hatte 1949 auch einen Entwurf (Wappen und Schrift) für zwei Seiten des alten Rathauses angefertigt und eingereicht (Unterlagen im Stadtarchiv). Vermutlich kam dieser Entwurf aber aus finanziellen Gründen nicht zur Ausführung. Später entstand dann in einfachster Weise die Putzschrift „Rathaus“, die aber wohl nicht Glöckner zuzuschreiben ist.

Zur Bäckerei Richter – heute Franke – in der Johannesstraße, zur Adlerdrogerie, zum Getriebewerk ABUS, zur landwirtschaftlichen Genossenschaft und zur Sozialversicherungskasse, an deren Fassaden Glöckner ebenfalls gearbeitet haben soll, liegen derzeit keine näheren Erkenntnisse oder Fotos vor. Diese Arbeiten dürften wohl spurlos verschwunden sein. Es könnte aber möglich sein, dass sich noch Coswiger Bürger daran erinnern oder auch selbst ein Foto davon gemacht haben oder ein solches besitzen. Falls das der Fall ist, wird um Kontaktaufnahme mit dem Stadtarchiv Coswig / Rathaus, Frau Hamann (Tel. 03523/66108) oder mit mir als Verfasser gebeten. An der Stelle möchte ich Petra Hamann für ihre Unterstützung im Vorfeld dieses Artikels herzlich danken.

Die Frage, ob Hermann Glöckner in Coswig tätig war, muss klar mit ja beantwortet werden, nur sind im heutigen Stadtbild seine Spuren leider fast verschwunden.

  1. Berichte zu den Radebeuler Arbeiten Glöckners wurden in V+R 05/92 und 02/00 veröffentlicht.
  2. Ein Bericht zur Fleischerei Bachmann findet sich im Coswiger Anzeiger vom 08.03.07
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