»Nun vergiss leises Flehen, süßes Kosen!«

Premiere von Mozarts Oper »Die Hochzeit des Figaro« an den Landesbühnen Sachsen

Manche Erinnerung an vormarktwirtschaftliche Zeiten lohnt durchaus. So hatte vor mehr als 25 Jahren bspw. jeder Produktionsbetrieb (inklusive auch die Theater, die Kulturhäuser und die Kinos) in der damaligen DDR die Stelle eines Sicherheitsinspektors aufzuweisen und auch entsprechend zu besetzen. Arbeitsunfälle sollten dadurch nicht nur vermieden, sondern deren Ursachen bereits im Keim erkannt werden. Diese an sich ganz normale Pflicht eines Unternehmers gegenüber dem Arbeitnehmer wurde mit der deutschen Wiedervereinigung sangund klanglos ausgehebelt. Gäbe es aber bspw. an den Landesbühnen Sachsen einen solchen Sicherheitsmann noch, dann hätte der in der neuen Inszenierung von Mozarts Oper »Die Hochzeit des Figaro« – Premiere war am 12. und 13. Oktober 2013 – reichlich zu tun. Denn innerhalb des Bühnenbildes (Ausstattung: Olga von Wahl) taten sich für die Akteure zahllose Möglichkeiten auf, sich zumindest das eine oder andere Körperteil zu lädieren. Selten zuvor nämlich wurde in einer Operninszenierung soviel gerutscht, geklettert und gestolpert wie in dieser, von Regisseurin Anja Sündermann an den Landesbühnen Sachsen in Szene gesetzten »Commedia per musica«; einem der zwar skandalträchtigsten, aber dennoch wichtigsten und grandiosesten Werke des Musikgenies Wolfgang Amadeus Mozart überhaupt. Als sich der Vorhang zur Premiere am Abend des 12. Oktober hob und den ersten Blick auf das Bühnenbild freigab, konnte man in den Gesichtern der Zuschauer eine breite Palette an Gefühlen und Empfindungen ablesen. Sie reichte von der Neugier über die Skepsis und die Verblüffung bis hin zum Staunen und letztendlich sogar bis zur Fassungslosigkeit. Die Akteure agierten nämlich in einer Art silbern schimmernden Schiffsrumpf und rutschten so in der Reihenfolge ihres Auftritts nach und nach auf die Bühne. Aus dem Schnürboden senkte sich darüber hinaus eine Art Raumschiff als zweite Spielebene herab. Dass all dies per Fernsteuerung durch die Akteure funktionierte, ließ zunächst den Schluss zu, dass das Inszenierungsteam nicht zurück in jenes sehr offene aber zugleich auch so bigotte 16. Jahrhundert führen wollte. In jene Zeit nämlich, in der der Franzose Beaumarchais mit dem »Figaro « ein echtes Skandalstück auf den Literaturmarkt warf, dessen Vertonung sich der junge Heißsporn Mozart nur allzu gern annahm. Der Skandal von einst aber entschärfte sich über die seit der Uraufführung der Oper im Jahre 1786 vergangenen Jahrhunderte eigentlich von selbst. Und wohl auch deshalb dient sich eine Inszenierung der Gegenwart begreiflicherweise nur allzu gern der Moderne an. Der großartigen Musik Mozarts kann das zwar nicht schaden, den optischen Erwartungen des Publikums an ein theatralisches Erlebnis aber allemal. Glücklicherweise konnte die Regie mit einem stimmlich ausgesprochen opulenten Team an Sängerinnen und Sängern sowie einem gut eingesetzten Chor aufwarten. Stephanie Krone als Gräfin Almaviva fiel darunter durch ihre, sowohl in Stimme als auch in der Darstellung sehr anrührende Gestaltung der Rolle auf. Miriam Sabba als Susanna – des Figaros Verlobte – wird vom Grafen Almaviva (Kazuhisa Kurumada) begehrt, der letztendlich aber doch auf das »Recht der ersten Nacht« mit ihr verzichtet. Dafür aber meldet Marcellina (Silke Richter) Ansprüche auf die Hand des Figaro (Paul G. Song) an. Zum Dreh- und Angelpunkt des gemeinschaftlichen Intrigierens wird letzten Endes der gräfliche Page Cherubino (Patrizia Häusermann mit grandiosem Spiel und ebenso grandioser wunderbarer Stimme). Almaviva muss Cherubino als unfreiwilligen Mitwisser seiner Intrige ruhig stellen und verleiht ihm daher eine Offizierstelle. Von Figaro erhält Cherubino eine Art Lehrstunde über standesgemäßes Benehmen, dass er mit der Aufforderung beginnt »Nun vergiss leises Flehn, süßes Kosen…!«; einer jener Ohrwürmer der Oper, die längst Unsterblichkeit erlangt haben. All dies und noch vieles andere mehr aber würde wohl kaum genügen, den eingangs erwähnten Sicherheitsinspektor davon zu überzeugen, doch mal ein Auge zuzudrücken. (Un)-glücklicherweise aber ist diese Spezies längst ausgestorben.

Wolfgang Zimmermann

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