Auf der Erfolgswelle!?

Franz Wittenbrinks »Sekretärinnen« an den Landesbühnen

Zwischen das ambitionierte und von der Kritik mit einhelligem Beifall aufgenommene »Umbrüche«-Projekt und die im Frühling folgenden dramatischen Schwergewichte Shakespeare und Brecht platzierten die Landesbühnen mit »Sekretärinnen« einen jener szenischen Liederabende, mit denen das musikalische Multitalent Franz Wittenbrink seit nunmehr 15 Jahren landauf, landab die (Samstag­)Abendunterhaltung deutschsprachiger Bühnen bestimmt. Mittlerweile gibt es wohl allein mehr als ein halbes Hundert »Sekretärinnen«-Inszenierungen, wovon die Mehrzahl zur Freude der Intendanten an der Kasse sehr erfolgreich ist (135 ausverkaufte Vorstellungen am Hamburger Schauspielhaus sprechen für sich). Wahrscheinlich ist es auch genau dieser Aspekt, der diesem Wittenbrinkschen »Musical« (der Deutsche Bühnenverein verweigert diesen Produktionen nicht grundlos die Bezeichnung »Stück«) den Weg auf den Spielplan der Landesbühnen ebnete. Denn die auf 75 Minuten beschränkte, intellektuell gleichermaßen unbelastete und unbelastende, vor allem auch pausen-lose Unterhaltung ermöglicht es dem Theaterfreund, nach Heimkehr noch in Ruhe das Programmheft zu studieren und danach seine Gedanken vom Kunsterlebnis weg und bei einem Glas Wein auf etwas anderes zu lenken. Wittenbrink äußerte einmal mit leicht selbstkritischem Unterton, dass sein Tippsenabend »ja eher einfach – mit klaren Frauentypen – und vielleicht deshalb so erfolgreich« sei. Mit fröhlicher Unkompliziertheit lässt sich sicherlich mancher Zeitgenosse, der sonst lieber den Fernseher einschaltet, in den Theatersaal locken. Für den Moment muss man aber noch abwarten, wie der Zuspruch in Radebeul ausfallen wird, denn von einem großen Erfolg beim Premierenpublikum kann keine Rede sein. Nicht nur, dass – ungewöhnlich genug – eine ganze Anzahl von Sitzen von vornherein leer blieb, auch der Beifall am Ende war freundlich, aber nicht begeistert, und schon gar nicht euphorisch.

v.l.n.r.: Wiebke Adam-Schwarz, Julia Vincze, Anke Teickner, Holger Uwe Thews, Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann (Szenenfoto LBS)

Unter der Regie von Stephan Thiel entfaltet sich auf der als Großraumbüro gestalten Bühne (Ausstattung: Halina Kratochvil) der Arbeitsalltag von sechs Sekretärinnen (Ursula Schucht, Sandra Maria Huimann, Franziska Hoffmann, Wiebke Adam-Schwarz, Anke Teickner, Julia Vincze), deren verschiedene Charaktere erst nach und nach sichtbar werden, was die nüchterne Konformität der Büroarbeit mehr und mehr aufbricht und dieser ein menschliches Antlitz verleiht. Da wird getippt und geflüstert, Kaffee gekocht und genascht, Papier geknüllt und gekeift, gelacht und geraucht. Völlig normal also und eigentlich keiner näheren Betrachtung wert. Eine nacherzählbare Handlung gibt es nicht, stattdessen besteht das Stück in weiten Teilen aus einer Abfolge von 33 mal mehr (z.B. Für mich soll’s rote Rosen regnen, This is a man’s world), mal weniger (z.B. Bei mir bist du scheen, Das Glück ist a Vogerl) bekannter Gassenhauer, die in unterschiedlicher Besetzung (solo, Duett, alle) und souverän von Amadeus Boyde am Klavier begleitet vorgetragen werden. Diese Lieder und Gedichte aber werfen Schlaglichter auf die Eigenarten und Schicksale der Figuren, denen die Ensemblemitglieder ihre Darstellungskunst leihen. Da beweist die eine oder andere Aktrice durchaus bemerkenswerte Stimmqualitäten (Julia Vincze), kann der Regie eine gute Portion inszenatorischer Witz (etwa wenn alle Darstellerinnen zum Shanty »Ein Schiff wird kommen« in einer Art Standbild ein Schiff imitieren, inklusive Möwengeschrei und Wellengeschaukel) bescheinigt werden, vermag auch manches Mal die akustische Choreographie von Büroraumszenen attraktive Akzente zu setzen (so bei der Schreibmaschinensinfonie). Zusammengehalten wird der Büroalltag – und damit gleichermaßen auch der szenische Liederabend – durch die universale Sehnsucht der Frauen nach dem männlichen Prinzip in ihrem Leben, so unterschiedlich dieses für jede einzelne auch ist. Träumt die eine von einem Seemann, legt sich die andere mit Gedanken an Genies von Mozart bis Tolstoi zu Bett. Verzehrt sich die eine nach der großen Liebe, geht die andere mit der ihrigen schon recht routiniert um. Vermag die eine mit glitzerndem Tand die Trennung vom Vater ihres noch ungeborenen Kindes zu kompensieren, scheint die andere viel zu cool, um sich je mit solchen Emotionen überhaupt zu belasten. Herein in den tristen Vollzug der Schreibarbeiten tritt das Maskuline in Gestalt des Büroboten (Holger Uwe Thews mit zwei starken Gesangsnummern), der unter seiner Rolle als Sehnsuchtsobjekt mehr leidet, als dass er sie genießt. Offen bleibt, ob das für die Aussageabsicht des Liederabends eine Rolle spielt oder nicht. Zwar werden einzelne Sekretärinnen durch ein Licht-Ton-Signal für kurze Zeit vom Arbeitsplatz abberufen, aber wer sie ruft und weshalb ist unklar. Diese Leerstelle stört aber nicht sehr, denn der Zuschauer ist sowieso gefragt, sich selbst einen Reim auf die nur angerissenen Biographien der Protagonistinnen zu machen. Und da mag es durchaus ganz unterschiedliche Lesarten geben.

Rein statistisch gesehen hat mehr als jeder Hunderste Deutsche in den letzten 15 Jahren einen Wittenbrink-Abend erlebt, die Gesamtbesucherzahl aller Inszenierungen hat mittlerweile die Millionengrenze überschritten. Den Landesbühnen ist zu wünschen, dass sie an dieser Erfolgsstory teilhaben mögen, wenngleich der Rezensent nicht seine Vorfreude auf die nächsten »richtigen« Theaterpremieren der Spielzeit verhehlen möchte.

Bertram Kazmirowski

[V&R 3/2010, S. 9-11]

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