Der Zuckerbauer von Niederlößnitz

Mit der Ansiedlung der chemischen Fabrik von Heyden begann 1875 die große Geschichte der pharmazeutischen Industrie Radebeuls, die sich seit der Wende Schlag auf Schlag ihrem Ende entgegenzuneigen scheint. Die Zeit der Großbetriebe – Heyden und Madaus, später AWD – ist vorbei, aber immerhin gibt es noch einige forschende Unternehmen, aus denen sich ja vielleicht wieder etwas Großes entwickeln kann.

Im Schatten der Großbetriebe existierten in der Lößnitz auch in der Kaiserzeit schon eine Reihe kleinerer chemisch-pharmazeutischer Laboratorien, die zum Teil viel Wind um ihre hoch spezialisierten Produkte machten, man denke nur an das des Apothekers Alwin von Herrmann in Radebeul, der damit warb, mit seiner in kostbaren Flakons vertriebenen Spezialität »Radiotherma« das »beste Zahn- und Mundwasser der Gegenwart« herzustellen. In eine ähnliche Kategorie fällt »Bauer’s Spezial-Institut für Diabetiker«, eine Kombination von Laboratorium und Kuranstalt, das seit 1903 in der einstmals prächtigen Jugendstilvilla Grenzstraße 3 (heute Heinrich-Zille-Straße 84) in Niederlößnitz residierte.

Villa ehem. Grenzstr. 3

Zeitgenössische Ansicht der Villa

Die Therapie der seit dem Altertum bekannten Stoffwechselkrankheit Diabetes steckte damals noch in den Kinderschuhen, und die Diag­nose »zuckerkrank« kam, zumindest bei Typ 1, einem Todesurteil gleich. Seit 1889 war immerhin bekannt, dass das Funktionieren des Zuckerstoffwechsels we­sentlich von einem Wirkstoff der Bauchspeicheldrüse ab­hängt, praktischen Nutzen hatte dies aber noch nicht. So blieb eine strenge Diät die wirksamste Behandlungsmethode, je nach Geldbeutel er­gänzt durch Brunnenkuren und homöopathische Mittel. Wenn damals jemand behauptete, die Zuckerkrankheit wirksam heilen zu können, durfte er sich großer Aufmerksamkeit seitens der nach Hoffnung lechzenden Kranken sicher sein. Genau das tat der Chef des Niederlößnitzer Instituts, Ludwig Bauer, ge­nannt »Zuckerbauer«, indem er das 1899 von ihm auf den Markt gebrachte Antidiabetikum »Djoeat« mit großem Reklameaufwand als »das Chinin des Diabetes« an­pries.

Franz Ludwig Bauer, geboren 1857 im thüringischen Dörfchen Lippersdorf, be­zeichnete sich selbst als »physiologischen Chemiker, Bade- und Kurdirektor«. Sein Ausbildungsgang liegt im Dunkeln, Arzt oder Apotheker war er je­denfalls nicht. Als er sein 1899 in Dresden-Plauen gegründetes Institut im folgenden Jahr nach »Schloss Wettinhöhe« in Zitzschewig verlegte, um dort eine Privatklinik zu eröffnen, wurde ihm das denn auch von der Medizinalbehörde wegen mangelnden ärztlichen Sachverstands untersagt. Sein »Djoeat«, dem er eine »absolut sichere Wirkung« attestierte, ging trotzdem weg wie warme Semmeln, die Zweiliterflasche zum da­mals exorbitanten Preis von 30 Mark (da war das Geld für die große Villa schnell beisammen). Über die Rezeptur teilt Bauer selbst mit, dass es »nur aus heilkräftigen Droguen und Extrakten, die im deutschen Arzneimittelbuch enthalten sind, zusammengesetzt und völlig unschädlich für den menschlichen Or­ganismus« sei. Ein wesentlicher Be­standteil war Jambul, ein Extrakt aus dem ostasiatischen Jambulbaum mit erwiesenermaßen leicht blutzuckersenkender Wirkung. »Heilen« ließ sich Diabetes damit aber definitiv nicht.

In einem Beitrag in der Münchner Zeitschrift für Kur- und Badewesen vom März 1905 heißt es, dass Bauer »durch langjährige Beobachtung und durch ei­ne eigenartige Gewinnung und Verbindung verschiedener Glykoside [Stoffe, die in ihren Molekülen Zuckeranteile enthalten und auch heute vielfach therapeutisch genutzt werden, F.A.] seinem ‚Antidiabeticum’ seine anerkannte vorzügliche Heilwirkung verliehen hat.« Für den Kötzschenbrodaer Arzt Dr. Hermann Rudies, der diesen Artikel 1905 in der örtlichen Zeitung kritisierte, war ein derart nach Bestellung riechendes Lob nichts anderes als »ganz gewöhnliche kurpfuscherische Marktschreierei.« Die Mehrheit der Schulmediziner sah das ähnlich; in der Fachpresse wird Bauer immer wieder als »Kurpfuscher« tituliert, ein Prädikat, gegen das er sich in mehreren Prozessen und Streitschriften zu wehren versuchte. Sein Institut bestand noch bis zum I. Weltkrieg, und seine Spezialarznei, später unter dem Namen »Diamel«, wurde auch nach Bauers Tod 1913 von seinem Sohn weiter vertrieben. Mit der Entdeckung des echten Wundermittels Insulin durch die kanadischen Ärzte Frederick Banting und Charles Best hatte sich das Geschäft Anfang der 20er Jahre dann aber endgültig erledigt.

Frank Andert

[V&R 7/2011, S. 12f.]

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