Guckkästen, Mörder & Prinzessinnen

Laudatio, gehalten zur Vernissage der Ausstellung von Ulrike Kunze am 20. Januar 2012 in der Stadtgalerie Radebeul (Auszug)

…Wir haben uns hier versammelt, um eine Künstlerin zu bewundern, zu ehren und zu loben, deren Kunstwerke hier eigentlich gar nicht vorkommen, auch wenn wir von Stellagen, Blättern, Modellen, Fotografien und Videos umgeben sind, die natürlich – und darum geht’s uns heute hier – als grafische Blätter, als dreidimensionale Versuchsanordnung, als eine antizipierte Inszenierung, als Entwurf eines Kostüms, also als Dokument „von etwas“ ihren höchst eigensinnigen Kunstwert haben. So wie das Theater die vergänglichste aller Kunstformen ist, findet sie doch nur in der einmaligen, unwiederholbaren, unmittelbaren Begegnung zwischen Schauspielern/Sängern/Tänzern mit dem Publikum statt, so ist die Kunst des Bildes von der Bühne, der Bühne als Bild, als bildnerisches Erlebnis die wunderlichste; sie ist eine paradoxe…

Und da haben wir den Urknall dessen, was auch die Bühnen- und Kostümbildkunst und Arbeitsweise von Ulrike Kunze ausmacht: Ist nun Theater schon eine synthetische Kunst, die Gesamtwirkung der Schwesternkünste, von der Brecht/Wilson (im Einladungstext) sprechen, dann findet das Konzept für einen Theaterabend, für die Spezifik einer Interpretation seine erste Erscheinung im Raum.

Und es ist diese Erforschung eines Textes – meist sind es ja trotz aller postdramatischen Entwicklungen noch Texte, die wir aufführen, dramatische Texte, Dramatisierungen von Romanen höchstens – ist mit Ulrike Kunze Schwerstarbeit der schönsten Sorte: Ohne Offenlegen der Dramaturgie, ohne historische und soziale Genauigkeit, ohne ein Herabbrechen der mehr oder weniger starken Welthaltigkeit eines Textes auf eine für uns nachvollziehbare und also inszenierbare Wirklichkeit zieht sie nicht eine Linie auf einem Blatt. Wenn das Durchdenken eine gewisse Sättigung erreicht hat, passiert etwas, von dem wir nicht wissen, was da genau vor sich geht:

  • Sie selbst spricht von Fotos bestimmter Fotografen, die sie anregen
  • Sie ist umgeben von einer großen Sammlung Bildbände, bestimmte Maler befragt sie immer wieder
  • Sie ist geprägt von einem Elternhaus, einem Vater, der – Günter Schmitz –Maler und Grafiker in Radebeul war
  • Sie reist gemeinsam mit ihrem Mann Dietmar Kunze und ihrem Sohn Maximilian – beide auch Künstler, Architekten – als auch mit ihren Freunden und saugt so viel Welt und Kunst als geht in sich hinein
  • Sie mag Symmetrien, sagt sie; sie mag auch das Fernsehen, Filme sowieso
  • Sie macht keine Würfe, sie konstruiert Flächen und baut Räume
  • Sie „kann“ keine Phantasiekostüme für Waldwesen in russischen Märchen, sagt sie


Und dann ist mit einem mal etwas da: Skizzen, kleine szenische Arrangements, vorläufige Papiermodelle, die eine Idee zur Anschauung bringen. Es sind Versuche für Räume, die auf Welt verweisen. (beispielhaft die Wand zu WOYZECK)

Scheinbar unaufwendig entstehen meist sehr viel später die Kostümentwürfe: Bezeichnend hier ein hoher Grad an Realismus, an historischer und sozialer Konkretheit (eben „Phantasiekostüme kann ich nicht“/will sie auch nicht bei allem Genuss an der Handreichung für die spielenden Menschen, bei aller Freude am komplexen Ereignis Theater), aber nie pur, nie Kostümkunde, immer im Heute im Jetzt: Vielleicht durch die Kombinationen von gegenwärtigen Materialien, vielleicht durch eine Silhouette Verweise auf Historisches/Vergangenes, noch vor 10 Jahren historisch zitierende Theaterkostüme (DER GEIZIGE), heute eher strikte Verhaftung in der Gegenwart (DIE ZAUBERFLÖTE); manchmal auch ironisierende Details, die scheinbar Pointen setzen, aber eigentlich eine Sicht auf die zu spielende Figur implizieren, die ein Schauspieler (Sänger/Tänzer) aufzugreifen gut beraten ist.

All das wird, wenn die Entscheidungen gefallen, die wahrscheinlichen Kosten berechnet und genehmigt sind, in einem manufakturellen Prozess in den Werkstätten der Theater unter Ulrike Kunzes Überwachung realisiert, auf der Bühne zusammengesetzt, beleuchtet und mit der unter Probenbedingungen und der kritischen Mitarbeit von ihr (kurz und knapp, bestätigend, fragend, kritisierend, an die frühen konzeptionellen Ansprachen, an den gemeinsamen Ausgangspunkt erinnernd) entstandenen Inszenierung der Regisseure mit den Schauspielern(Sängern/Tänzern), mit den Kostümen, Masken, Requisiten, der Musik, dem Ton zusammengebracht: Hier kommt das Paradoxe wieder herein: jetzt erst und nur jetzt entsteht das Gesamtkunstwerk, das ausschließlich im Augenblick der Vorstellung existiert, das nicht fest gemacht, aufbewahrt, dokumentiert und ausgestellt werden kann, ja das sogar nach jedem Erscheinen zerstört, zerlegt, abgebaut, gelagert werden muss, bis es, aus einem Schattendasein wieder zu neuem Glanz erweckt, hervortreten darf. …

Axel Richter

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