Nicht ins Schwarze getroffen

Zur Premiere von „Im Abseits“ am 2./3. März 2013 in den Landesbühnen

Abseits

Vier Jahre nach der wenig erfolgreichen Produktion von „Nach dem Regen“ unternahmen die Landesbühnen jüngst einen zweiten Versuch, ihr Publikum für das Werk des zeitgenössischen katalanischen Dramatikers Sergi Belbel (1963 in Barcelona geboren) aufzuschließen. Es ist jedoch zu befürchten, dass auch dieses Mal der richtige Schlüssel nicht gefunden wurde. Die vergleichsweise geringe Besucherzahl zu den beiden Premierenabenden mag ein Indiz dafür sein, dass sich theaterinteressierte Radebeuler nur ungern auf Stücke einlassen, denen weder die Patina des literarisch-dramatischen Kanons gediegene Klasse verleiht noch der Lack des am Massengeschmack orientierten Boulevardtheaters zu Glanz verhilft. Der Textvorlage von „Im Abseits“, 2011 (!) unter dem Eindruck der in Spanien besonders einschneidenden Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise verfasst, fehlt allerdings sowohl die Originalität und der Witz, um als hintersinniger Kommentar zu einem brennenden Thema durchzugehen, als auch Tiefgang und Strenge, damit es als Aufschrei gegen ein tatsächlich virulentes Problem ernst genommen werden könnte. Aus diesem Grund haben es die fünf beteiligten Akteure schwer, unter der Regie des mit einigen sehenswerten Arbeiten in der Vergangenheit in Erscheinung getretenen und auch in Radebeul bestens bekannten Regisseurs Axel Richter Begeisterung und Anteilnahme bei den Zuschauern zu entfachen. Dass sie es mit Engagement, schauspielerischem Können und Energie trotzdem versuchen, ist ihnen hoch anzurechnen, aber eine auf Meißner Porzellan servierte Currywurst ist eben trotzdem kein Sonntagsbraten. Dabei ist der Grundkonflikt des Stückes nachvollziehbar und für den über den deutschen Tellerrand blickenden Betrachter von Interesse: Das in der bürgerlichen Mitte etablierte und materiell gut gestellte Ehepaar Anna (Julia Vincze) und Pol (Olaf Hörbe) werden durch Gehaltskürzung, schlechter gehende Geschäfte und an Freunde geliehene Ersparnisse unerwartet daran erinnert, dass Wohlstand für Menschen aus ihrer sozialen Schicht keine Selbstverständlichkeit, sondern bisweilen abhängig von äußeren Faktoren ist, die sich ihrem Einfluss weitestgehend entziehen. Kommt zu alledem noch falscher Ehrgeiz – die hochintelligente Tochter Lisa (zum ersten Mal in einer größeren Rolle in Radebeul präsent: Cordula Hanns) soll unbedingt in den USA ein kostenintensives Studium absolvieren, damit die Rendite in Form von gesellschaftlichem Status und finanzieller Unabhängigkeit sich um so sicherer einstellt – und ein unterhalts- und pflegebedürftiger Großvater, der einen südamerikanischen Pfleger hat (Jost Ingolf Kittel bzw. Mario Grünewald), kann sich leicht Frust und Verzweiflung in Wutausbrüchen entladen. Nimmt man die Figuren und ihre jeweilige Situation in den Blick, wird klar, dass sie alle „im Abseits“ sind und Krisen durchleben. Anna, weil sie ihre Selbstachtung an den Erfolg ihrer Tochter geknüpft hat; Pol, weil er von einem Freund ausgenutzt wird, dadurch sein Geld verloren und unter einer überspannten Ehefrau zu leiden hat; Lisa, weil sie mit 18 (noch) keinen eigenen Kompass zu entwickeln vermochte, der ihr für ein selbstbestimmtes Leben Orientierung gibt; Josep, weil er sich überflüssig und durch die eigene Familie ungeliebt fühlt; Ricky, weil er getrennt von der Familie leben muss und nichts dagegen tun kann, dass seine Frau fremd geht und sein Sohn infolge eines Unfalles alle Hoffnungen auf eine Karriere als Profifußballer fahren lassen muss. „Im Abseits“ stehen die Schauspieler auch ganz offensichtlich auf der von Ulrike Kunze kreativ gestalteten Bühne: fünf parallel verlaufende Plastikbahnen markieren für die längste Zeit (des insgesamt nur gut 75 Minuten dauernden Einakters) die Spielfläche jeder Figur und stehen für die je eigene Bahn, auf der sie leben. Zwar reden die Figuren fast immer miteinander, aber nie zueinander, sondern meistens aneinander vorbei.

Die Krux des Stückes ist der unbedingte Vorsatz, einen möglichst aktuellen künstlerischen Beitrag zur Tagespolitik leisten zu wollen. Überdies ist es heikel, spanische Verhältnisse einem vom Kopfe her silbergrau schimmernden Provinzpublikum wie dem Radebeuler zu präsentieren, einem Publikum also, das kaum bis wenig von der im Stück verhandelten Krise betroffen war bzw. ist. Aber auch abgesehen davon habe ich Zweifel, dass diesem Stück langfristig Erfolg beschieden sein wird. Jede gutgemachte Reportage in einer seriösen Wochenzeitung leistet genauere Aufklärungsarbeit über die Hintergründe der globalen Finanzkrise, jede sorgfältig recherchierte Fernsehdokumentation macht persönliche Schicksale deutlicher und den Zuschauer betroffener als „Im Abseits.“

 

Bertram Kazmirowski

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