Eine interessante Begegnung, ein Grabmal und das Kunstwerk Neue Peter-Pauls-Kirche in Coswig/Sa. (Teil 1)

Fenster in der Aspis links: Christus wäscht seinen Jüngern die Füße

Fenster in der Aspis links: Christus wäscht seinen Jüngern die Füße

Gedanken über die Architektur und die künstlerische Ausstattung der Coswiger Kirche als Beispiel für ein sakrales Bauwerk aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

Ich erinnere mich an einen grauen, rauen Sonntag-Nachmittag. Trotz des unfreundlichen Wetters setzte meine Frau unseren Jungen in den Sportwagen. Wir schoben die Steinstraße hinauf und den Weg am Talkenberger Hof entlang – unsere kleine Spazier-Runde. Hier kam uns ein auffallend sorgfältig gekleideter alter Herr entgegen. Er war sichtlich erschöpft. Als wir uns begegneten, blieb er stehen, atmete schwer durch und fragte: „Komme ich hier zum Bruno Siegel-Heim?“ Wir bejahten, der Herr ging langsam weiter; wir schauten ihm nach. Am Ende des Weges blieb er nachdenklich stehen. Und als er im Begriff war, in die Wald-Schlucht hinauf zu steigen, statt auf der richtigen Straße zu bleiben, gingen wir ihm nach und fragten, ob es ihm recht wäre, wenn wir ihn zu dem Heim brächten. Es war ihm recht. – Ich hakte ihn am Arm ein. Meine Frau ging, unseren Jungen im Wagen, vor uns her. Unser Junge war lebhaft. Für ihn war der alte Herr interessant, und er versuchte in seinem bescheidenen Kinderwortschatz mit dem freundlichen Mann zu spaßen. Der Herr ging gekonnt auf ihn ein und lobte, dass meine Frau so anregend mit unserem Jungen sprach, bedauerte, dass viele Mütter auf ihre Kinder zu wenig eingingen. Unvermittelt sagte er: „Ich bin ein alter Doktor.“ Dann erzählte er, dass er Arzt sei. Er komme gerade aus Leipzig, um seine Schwester, die nach einer Operation im Bruno Siegel-Heim liege, zu besuchen. Und er drückte sich bewundernd aus über die heutigen Ärzte, die mit modernen Methoden das Leben seiner Schwester erhalten haben. Er war mit dem Autobus aus Leipzig gekommen, doch der Bus hatte in Coswig nicht gehalten. So war er in Radebeul ausgestiegen, und, da ihm das Laufen schwer fiel, gleich am Hang entlang gewandert. Er kenne das Gebiet, er sei ja hier aufgewachsen. Und dann – „Ich bin der Sohn des Pfarrers, unter dessen Amtszeit die neue Kirche hier in Coswig gebaut worden ist. Auf den Fenstern neben dem Altar sind mein Vater und meine Schwestern abgebildet. Der Mann mit dem Bart ist mein Vater.“ Da unser Sohn damals etwa zwei Jahre alt war, muss die Begegnung im Winter 1960/61 gewesen sein. Die neue Coswiger Kirche ist von 1901 bis 1903 errichtet worden.

Fenster in der Aspis rechts: Christus trägt sein Kreuz zur Richtstätte

Fenster in der Aspis rechts: Christus trägt sein Kreuz zur Richtstätte

Auf dem Coswiger Friedhof finden wir an der westlichen Mauer ein monumentales Grabdenkmal, die blassrosa Farbe des Gesteins und die schlichte, strenge, aber zugleich schmuckvolle Gestaltung, verleihen ihm eine freundliche Ausstrahlung. Es ist aus Rochlitzer Quarzporphyrtuff, dem gleichen Gestein, aus dem auch die Portale und die Fenstergewände der neuen Coswiger Kirche gestaltet sind. Im Giebelfeld des Denkmals steht in erhabenen Lettern „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Darunter ist der Stein in drei vertikale Felder geteilt. Das Mittelfeld zeigt ein schlichtes Kreuz, umrankt von blühenden Rosenzweigen. Seinen Fuß umschlingt ein verwittertes Schriftband „Römer 14.7“. (Der Spruch 7 lautet: „Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.“ – Der folgende Spruch 8: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“)

Auf der Tafel rechts lesen wir: „Selig sind, die reinen Herzens sind“ – „hier ruhen im Herrn

Arthur Theodor Haymann, Pfarrer in Coswig 1892 –1913, geb. 19. März 1848, gest. 21. Dez. 1926

Helene Margarethe Haymann, Pfarrerswitwe, geb. 28. März 1857, gest. .. Okt. 1927.

Auf der linken Tafel ist eingehauen: „Selig sind die Friedfertigen“ – „hier ruhen im Herrn“

Clementine Königsdörfer, Pfarrerswitwe, geb. 27. Juli 1832, gest. 23. Nov. 1918

Maria Magdalena Haymann, Stationsschwester, * 26. 3. 1895, + 13. 1. 1962

Gertrud Elisabeth Haymann, Fürsorgerin i. R., * 10. 2. 1890, + 11. 7. 1962.

Da ruht Pfarrer Haymann mit seiner Ehefrau und seinen Töchtern, der Pfarrer, unter dessen Amtszeit der Architekt Woldemar Kandler (*1866 – +1929) die Neue Peter-Pauls-Kirche in Coswig von 1901 – 1903 erbaut hat. Die Apsis der Peter-Pauls-Kirche schmücken zwei farbige Glasfenster, die der Dresdner Historienmaler Ludwig Otto (*1850 – +1920) gestaltet und Bruno Urban ausgeführt hat. Sie zeigen die Fußwaschung und die Kreuztragung Christi, Kunstwerke, die Beachtung verdienen. – Unter den dargestellten Personen können wir Pfarrer Haymann und seine Töchter entdecken. Wir können annehmen, dass der Mann mit dem Bart im Zentrum des Bildes der Fußwaschung Pfarrer Haymann ist. Das Bild ist mit den Worten unterschrieben: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut wie ich euch getan habe“ (Johannes 13,15). Wo sind die Töchter? Maria Magdalena war etwa acht und Gertrud Elisabeth zwölf Jahre alt, als das Bild gemalt worden ist. Sie finden wir im Vordergrund des Kreuztragungsbildes in andächtig bewegter Pose. Die Unterschrift dieses Bildes lautet: „Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich u. folge mir“ (Markus 8,34). Wie ernst sie den Auftrag genommen haben, sagt die Inschrift auf dem Grabstein!

Das Grabdenkmal der Familie Haymann war zu seiner Entstehungszeit hochmodern, entsprach dem aktuellen Zeitgeschmack – war moderne Kunst im wahrsten Sinne. Die Kunstrichtung: später Jugendstil oder Purismus – eine der Kunstrichtungen, die von den Wissenschaftlern unter Stilkunst zusammengefasst werden. Das ist jener turbulente Abschnitt in der Kunstgeschichte, der den Impressionismus ablöste und den Expressionismus vorbereitete, zeitlich eingegrenzt etwa von den Jahreszahlen 1895 und 1920. Die erste Beisetzung auf dieser Stelle war 1918, 8 Jahre vor der Beisetzung von Pfarrer Haymann. Man kann annehmen, dass Pfarrer Haymann auf die Gestaltung des Grabmales persönlich Einfluss genommen hat. Damit weist ihn sein Grabmal als einen modernen kunstsinnigen Mann aus. Mit Sicherheit oblag ihm auch beim Bau der Neuen Kirche in Coswig die theologische und geistliche Betreuung der Gestaltung. Vergleicht man beide Bauwerke, so kann man erkennen, wie sich in den 15 Jahren, die seit der Weihe der Neuen Kirche vergangen waren, sein/der Kunstgeschmack gewandelt hatte.

(Fortsetzung im nächsten Heft)

Prof. .i. R. Dr. habil. S. Grunert

 

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