Klingendes Inseldrama, auch ohne Leitfaden herrlich

Ariadne auf Naxos von Strauss / Hoffmansthal an den Landesbühnen

Opera seria oder Lustspiel? Diese Frage sollte sich nicht ernsthaft auf einer Bühne stellen, es sei denn, der Librettist will es so. Ein willkommener Ansatz für jeweils aktuelle Umarbeitungen wie diese von Annette Jahns.

Ganz offensichtlich hat dies dem gesamten Opernensemble der Landesbühnen großen Spaß gemacht, Intendant und Schauspieldirektor eingeschlossen, Szenografin Ulrike Kunze sowieso. Bei dieser Inszenierung stand die akribische Umsetzung des antiken Stoffes, tiefgründig ins Verhältnis gesetzt mit dem Ernst des Lebens heute, dem Versuch, es leicht zu nehmen, gegenüber.

Im Jahr des Gedenkens an den grausamen Krieg, der später der Erste genannt werden wird, wundert es nicht, im Vorspiel den sehnsüchtig erwarteten Tenor in Soldatenkleidung mit Tornister zu sehen. Eigentlich will er nicht singen, tut es dann doch, denn er muss es nicht für Butterbrot machen wie die Schauspielertruppe des ebenfalls engagierten Straßentheaters.

Ariadne auf Naxos – Premiere am 30. März – Landesbühnen Sachsen mit: Iris Stefanie Maier, Peter Diebschlag, Kazuhisa Kurumada, Stephanie Krone, Hagen Erkrath und Andreas Petzoldt

Ariadne auf Naxos – Premiere am 30. März – Landesbühnen Sachsen mit: Iris Stefanie Maier, Peter Diebschlag, Kazuhisa Kurumada, Stephanie Krone, Hagen Erkrath und Andreas Petzoldt


Sonnendeck und Maschinenraum. Gesellschaftliche Schichten prallen aufeinander, gut und deutlich ausgespielt. Und während man sich noch fragt, wer da mit wem so herrlich plänkelt, wird es ernst: Der junge Komponist der großen Oper, hinreißend gegeben von Patrizia Häusermann, singt an gegen die Verrohung der Sitten, sprich eine gänzlich undenkbare Mixtur aus großer Oper und Straßenunterhaltung. Mit dem Rotstift soll er sein Werk „anpassen“. Sein Lehrer beschwichtigt ihn, bewahrt die Fassung, ganz asiatisch, ganz diplomatisch, seinen Schüler beschützend, wo es geht. So viel Persönlichkeit in einer Nebenrolle überrascht total. Niemand kommt auf die Idee, dass diese ehrwürdige Figur von einem Sänger getragen wird, der vielleicht halb so alt ist wie das Vorbild. Paul Gukhoe Song macht das einfach großartig.

Und dann Zerbinetta. Im Vorspiel ist sie ganz die versierte Mimin, erfahrene Lebenskünstlerin und missverstandene Colombina. Sie schafft es, dem jungen Ernst den Horizont zu weiten, ihm in aller Anmut klarzumachen, dass es da noch etwas anderes gibt als schwere Tragödien. Und lässt durchblicken, dass es in jedem Menschenleben genug Tragisches auszuhalten gilt, sodass ein wenig Tralala darüber gar nicht schaden kann. Ein ganz besonderer Augenblick lässt Zerbinetta und den Komponisten einander erkennen – und den Zuhörer dahinschmelzen. Zwar lässt sie ihren neuen Verehrer letztendlich abblitzen – doch nun ist er verliebt, deshalb kann er alles ertragen, was noch kommt. Was für eine schöne Botschaft des Vorspiels! Hat also doch Sinn, die große Assemblage aus Ernst und Heiter.

Doch dann: die Trauer. Ariadne wurde von Theseus verlassen, ist zutiefst getroffen und wünscht sich nur noch den Tod. Gott Bacchus findet sie und möchte sie zu seiner Göttin machen. Bevor wir das erfahren, brauchen wir viel Geduld und eigentlich einen Ariadnefaden. Die Trauer ist so übermenschlich, dass Ariadne dabei Assistenzen braucht. Auch wenn diese in Gestalt hilfreicher Krankenschwestern daherkommen und wunderschön um sie herum singen – alles hilft nichts, das große Gefühl will nicht weichen. Zerbinetta und die Gaukler bemühen sich redlich, witzig, gelenkig, sogar in Puppenform verschiedener Größe – jedoch genauso vergeblich. Eher verbandeln sich die Straßenkünstler mit den Krankenschwestern, als dass sich die Umsorgte aus ihrer Trauer erhebt.

Ariadne will nur noch eins: Hermes soll sie holen, seine dunkle Hand auf ihre Augen legen und sie in die Unterwelt mitnehmen, wo dann vielleicht der Schmerz seine Gewalt über sie verliert. Sie weiß, dass sie längst aufgehört hat, die Welt und sich selbst zu verstehen. In ihrer unsäglichen Trauer ist die Sängerin Stephanie Krone sehr überzeugend.

Dem jungen Komponisten ist es längst zu viel der Aufmunterungen, er will schnell die leichten Musen entfernen – nicht nötig, sie geben auf. Ein letztes, steinerweichend schönes Terzett der drei „Schwestern“ Najade, Dryade und Echo, wobei Echos junge Stimme (Elena Patsalidoua.G) sich wie ein Schaumkrönchen auf den wunderbaren Gesang von Miriam Sabba und Silke Richter drapiert. Könnte man doch jetzt das ganze Leiden vergessen, klatschen und nach Hause gehen. Aber nein, der Stoff.

Bacchus kommt. Christian S. Malchow in Uniform als Kapitän, erkennt Ariadne nicht und sie nicht ihn. Also Abwehr und vergebliche Liebesmühe – freilich in wunderschönen Tönen ansingend gegen ein tapferes Orchester. Nicht einmal, als er seine Bacchus-Krone aus dem Köfferchen holt, weiß sie etwas mit ihm anzufangen. Trotzdem geht sie mit ihm, weil sie ihn für den Boten aus der Unterwelt hält.

Zum Schluss treffen Rahmenhandlung und Oper wieder zusammen: Ein Feuerwerk bildet den Abschluss des Festes im Fürstenhaus. In der Oper ist es die reine Bedrohung: Bacchus (der Kapitän, der Soldat) schrickt zusammen – für ihn ist es zu nah am Schützengrabendonner. Ariadne sinkt zu Boden, das Ende ist erreicht.

Summa: cum laude. Die Zuschauer behalten in ihrem musikalischen Gedächtnis all die wunderschönen Partien, obwohl sie mit Iris Stefanie Maier als Zerbinetta bei ihrer großen Arie ein wenig mitgelitten haben, freuen sich noch einmal an den zauberhaften Kostümen, der klaren, ästhetischen Bühne und nehmen es gelassen, dass es zu alledem keinen Ariadnefaden gab. Viel begeisterter Applaus und eine tolle Idee zum Schluss: Für das Kabinettstück, diesen Strauss ausgefochten zu haben, dürfen alle Musiker auf die Bühne. Endlich können Radebeuler Opernbesucher sie auch einmal richtig sehen und feiern.

Christine Ruby

P.S.: Wen interessiert, wie glücklich die Zweisamkeit von Bacchus und Ariadne schließlich endet, dem sei die Ausstellung „Dionysos. Rausch und Ekstase“ im Dresdner Schloss empfohlen. Eine Präsentation von Kunstwerken aus der Antike bis zur Gegenwart vermittelt die weitreichende Botschaft des in Radebeul jährlich gefeierten Gottes Bacchus mit dem tröstlichen Aspekt auf sinnliche Freuden.

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Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht am So, 2. Nov. 2014 um 10:21 | Permanenter Link

    Liebe Frau Ruby,

    erst jetzt habe ich Ihre wunderbare rezension im Netz entdeckt! Wie gut Sie alles gesehen haben! Das macjt mir nach den eher schlechten Kritiken in den Tageszeitungen Mut! Haben Sie herzlichen Dank! Wo konnte man diese rezension denn lesen? Nur im Intenet?
    Ihre Annette Jahns

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