Spektakel mit Makel

Nachlese zu „Irrtümer 1 – Familien-Wahn-Sinn“ an den Landesbühnen

Normalerweise schreibe ich in der „Vorschau“ über Theaterproduktionen der Landesbühnen Sachsen mit der Absicht, den Leserinnen und Lesern vermittels meiner Eindrücke über das Erlebte, Gehörte und Gesehene eine Orientierung zu geben, vielleicht auch selbst die besprochene Aufführung anzuschauen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden. An dieser Stelle sehe ich mich heute allerdings ausnahmsweise dazu gezwungen darauf hinzuweisen, dass mein Rückblick auf das Theaterspektakel „Irttümer 1: Familien-Wahn-Sinn“ keine Empfehlung oder Warnung enthalten kann, weil das Projekt, bestehend aus neun (!) verschiedenen Stücken, an fünf Abenden Ende Oktober/Anfang November über die inzwischen fünf verschiedenen Bühnen des Hauses (Großer Saal, Studiobühne P100, Probebühnen P25 und P2010, Theaterkneipe) ging und – wie im Vorfeld per Plakat und Handzettel werbewirksam kundgetan – „dann nie wieder“ kommt.

Seit seinem Amtsantritt vor gut zwei Jahren hat sich Intendant Manuel Schöbel mit Konsequenz und Durchsetzungsstärke daran gemacht, die Landesbühnen inhaltlich und personell neu aufzustellen. Der Aktionsradius wurde erweitert und zahlreiche neue Spielstätten aufgetan (z.B. Schloss Weesenstein, die Gymnasien „Luisenstift“ in Radebeul und jenes in Nossen) und damit gleichzeitig auch die Anzahl der Gastspiele im ländlichen Raum vergrößert (etwa im Erzgebirge und im Leipziger Land); Kooperationen mit externen Partnern wurden eingegangen (jüngst jene mit den Jazztagen Dresden und mit dem britischen York Theatre); neue Formate etabliert („Winterlounge“) und erfreulicherweise die theaterpädagogische Arbeit mit dem Jungen Studio erheblich erweitert. Ganz zu schweigen vom überarbeiteten Internetauftritt, der die vielfältigen Aktivitäten sichtbar macht. Die Landesbühnen sind im Moment so präsent wie selten zuvor, und das ist grundsätzlich auch gut so. Gerade im kulturell gemästeten Dresdner Raum braucht das an der Peripherie gelegene Haus außergewöhnliche Großereignisse und Highlights, die auch das verwöhnte Publikum aus der Landeshauptstadt nach Radebeul locken. Tatsächlich versprach das Konzept der „Irrtümer“ etwas ganz Neues, weil die Zuschauer selbst entscheiden konnten, wie sie den Abend gestalten. Denn alle fünf Sparten waren aufgeboten und präsentierten vom personell aufwändigen Operneinakter Gianni Schicchi (die Elblandphilharmonie musizierte und begleitete 16 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne) bis zum intimen Kammerstück Weizen auf der Autobahn (nur zwei Akteure) viele verschiedene Produktionen mit ihren je eigenen Reizen. Das künstlerische Konzept wurde auf organisatorischer Ebene durch separate Eintrittskarten für die Angebote der drei unterschiedlichen Zeitschienen ergänzt und durch eine originelle Wandgestaltung mit großformatigen Fotos aller in ihren jeweiligen Inszenierungen beteiligten Künstlern im Foyer ästhetisch überformt. Auf den ersten Blick war es also ein stimmiger Ansatz mit schlüssigen Lösungen in der Umsetzung, und ich ging auch durchaus zufrieden und bereichert, wenngleich etwas erschöpft, nach Hause.
Nach viereinhalb (!) intensiven Stunden, in denen ich Adam und Eva (Peter Hacks), Ein Winter unterm Tisch (Roland Topor) und Puccinis Gianni Schicci konsumiert und damit ein Drittel des Gesamtprogramms gesehen hatte, stellte ich mir mit Blick auf den Saisonspielplan 2014/15 allerdings die Frage, ob denn der Gesamtaufwand angesichts der ohnehin vielen anderen noch immer gezeigten Stücke (Übernahmen und andere Premieren) nicht womöglich etwas zu groß sei. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele der für das „Spektakel“-Event erarbeiteten Stücke ein Weiterleben im Repertoire haben und von den zahlreichen Gastspielpartnern gebucht werden, wobei das natürlich schwer vorherzusehen ist. Mich beschlich auf der Nachhausefahrt außerdem die Sorge, ob eine solche, das ganze Hause erfassende Mammutveranstaltung die durch den Theateralltag ohnehin beanspruchten personellen Ressourcen nicht überstrapaziert? Denn zu jeder Produktion gehören nicht nur die Akteure auf der Bühne, sondern auch die vielen dahinter: die Choreographen und Dramaturgen, Ausstatter und Techniker usw. Ganz zu schweigen vom materiellen Aufwand, der überwiegend mit unseren Steuergeldern getrieben werden muss, um so ein Projekt zu stemmen. Der enorm personalintensive Ansatz des Theaterspektakels hat aber noch einen weiteren Malus. Vier der fünf angesetzten Abende lagen in den sächsischen Herbstferien. Wenn man voraussetzen kann, dass wie sonst auch die probenintensivste Phase unmittelbar vor der Premiere am 25.10. lag, dann liegt der Schluss nahe, dass nahezu die ganze Belegschaft gerade dann unter Hochdruck arbeitete, als die Kinder der Mitarbeiter Ferien hatten. Ich bin theaterbegeistert genug um zu erwarten, dass ein Haus wie die Landesbühnen auch in den Ferien Aufführungen anbietet, aber müssen darin wirklich alle Mitarbeiter in diesem Ausmaß einbezogen werden? Die Musiker der Elblandphilharmonie beispielsweise spielten nur eine Stunde – für manche von ihnen war allein der Anfahrtsweg nach Radebeul ebenso lang. Insofern bekommt der programmatische Titel „Familien-Wahn-Sinn“ einen ganz neuen Sinn, denn hinter jedem Künstler und Mitarbeiter steckt ja meistens eine Familie, müssen Menschen in den Tagen vor der Premiere und an den Aufführungsabenden selbst ganz oft auf Mutter oder Vater, Partner oder Partnerin verzichten. Fraglich bleibt überdies, ob sich tatsächlich eine nennenswerte Anzahl der Zuschauer vom Angebot locken ließ, gegen einen um die Hälfte reduzierten Eintrittspreis ein zweites oder drittes Mal wiederzukommen, um sich auch die anderen Produktionen anzuschauen. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit des Publikums diesen einen Abend genoss, aber auch zwei Wahlmöglichkeiten für Aufführungen als ausreichend empfunden hätte. Denn es wurde dann doch richtig spät, und auch Zuschauer können nur begrenzt aufnehmen und verarbeiten.
Dem Vernehmen nach soll es eine Fortsetzung des Theaterspektakels (in der nächsten Spielzeit?) geben. Ein reduziertes Angebot müsste nicht zwangsläufig eine Einbuße an Attraktivität haben, denn auch in der Kunst gilt, dass Masse nicht mit Klasse verwechselt werden sollte und mit Ressourcen jeder Art verantwortungsvoll umgegangen werden muss, damit die Akzeptanz aller Beteiligten für solcherart Kraftakte erhalten bleibt.
Bertram Kazmirowski

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