Gedankensplitter zur Kötzschenbrodaer Schiffsmühle

Wie die Überschrift erahnen lässt, handelt es sich nicht um eine komplette geschichtliche Abhandlung zu diesem Thema, auch nicht um die Biografie eines Schiffsmüllers, der Müller hieß. Aber ein historischer Gegenstand aus meinem täglichen Umfeld inspirierte mich, über beide Themen einen Moment nachzudenken und etwas – quasi als Splitter – niederzuschreiben. Denkbar aber auch, dass diese Vorlage die Gelegenheit für einen anderen Freizeitforscher ist, zu ergänzen und zu vertiefen, also das Thema in die Breite zu entwickeln.

Kötitzer Schiffsmühle, um 1875

Kötitzer Schiffsmühle, um 1875


Seit nunmehr fast 18 Jahren gehe ich täglich da, wo ich wohne, an einer gusseisernen Tafel (Höhe 113cm, Breite 57cm) vorbei. Da sind z.T. stark verwitterte Schriftzeichen darauf, schwer zu lesen, auch wegen von heutiger Sprache abweichender Rechtschreibung. Beim genaueren Betrachten bestätigte sich aber meine Vermutung, dass es sich hierbei um eine gusseiserne Grabplatte von 1825 handeln muss. Eisenguss war seit dem Mittelalter ein stark entwickelter Handwerkszweig, der künstlerische Höhepunkte zur Renaissance (u.a. Ofenplatten) und auch in der ersten Hälfte des 19. Jh. erkennen ließ – die Zahl 1825 passt zum 2. Höhepunkt. Namen und Zeiten der Tafel können aber nicht mit dem Haus, wo ich zur Miete wohne, in Zusammenhang stehen, denn es stand 1825 noch nicht. Ich bin mir dagegen fast sicher, dass diese Gussplatte etwas mit der Forscher- und Sammelleidenschaft von Baumeister Franz Jörissen, Opa Franz, wie seine Freunde ihn nannten, zu tun hat, der viele Jahre hier gewohnt hatte. Es kam immer mal vor, dass Steine, Kreuze oder Platten auf einem Friedhof übrig waren, von da abgegeben und gesammelt wurden oder manchmal auch eine Zweitverwendung erlebten. So sah ich schon Sandsteinstufen in einem unserer Weinberge, die sich beim genaueren Betrachten als ehemalige Grabsteine erwiesen und in einem anderen Fall fand ich einen Schleifstein aus Sandstein mit Resten einer Grabinschrift. Man war offenbar erfinderisch, wenn es um die Zweitnutzung ehemaliger Grabsteine ging.

Doch zurück zu unserer Gussplatte. Die oben erwähnte schlechte Lesbarkeit erwies sich auch als schwer zu fotografieren, weshalb ich hier eine vollständige Abschrift einfüge:

Originalgrabplatte Müller, 2015

Originalgrabplatte Müller, 2015


GRABSTÄTTE
VON CARL FRIEDRICH MÜLLER
BESITZER DES NIEDERN
ERB- BRAU- GAST- GUTHES
UND DER SCHIFF- MÜHLE
STARB D. 4. OCTOBER 1825
MIT 60 JAHR 2. MONAT 24. TAGE.
_______________________

IHN FOLGTE SEINE GATTIN
CHRISTIANA CHARLOTTE
GEBOHRENE ZÄNCKER AUS
RIESA D. 30. JANUAR 1826. 49 JAHR
8. MONAT 3. TAGE ALT.

Beide Schriftblöcke wurden durch eine horizontale, zopfartige Girlande als einziges Schmuckelement getrennt – kein Kreuz oder Engel, kein Herz oder Anker, sehr schlicht. Da die Sterbedaten der Eheleute nur etwa 4 Monate Abstand hatten, genügte wohl eine Platte, die in einem Guss hergestellt werden konnte. Vier Löcher an den Ecken deuten auf eine vertikale Originalanbringung hin, etwa an der Außenwand der alten Kötzschenbrodaer Kirche (die neue Kirche wurde erst 1884/85 errichtet) oder an einer Einfriedungsmauer des alten Gottesackers.

Heute mögen wir an einen Zufall glauben und lächeln, dass der damalige Betreiber der Schiffsmühle ausgerechnet Müller hieß. Aber es war früher in Deutschland durchaus üblich, dass von der beruflichen Tätigkeit eines Menschen ein Familienname abgeleitet wurde. Bei heute ganz üblichen Namen wie Fleischer, Schuster oder Zimmermann dürfen wir vermuten, dass einer der Vor-Vor-Vorfahren ein solches Handwerk einst ausgeübt hatte. Bei unserem Carl Friedrich Müller klappte es noch mal, er war Müller wie sechs seiner Vorfahren seit der ersten Hälfte des 17. Jh. die alle Müller hießen und als solche tätig waren. Der 1765 geborene C. F. Müller übte das Müllerhandwerk von 1794 bis zu seinem Tod 1825 aus. Auf Betreiben des Sächsischen Finanzministeriums wurde dann die Kötzschenbrodaer Schiffsmühle staatlich, konnte jedoch kurz darauf von seiner Familie für 3000 Taler zurückgekauft werden, mir scheint, ein schlechtes Geschäft! Leider war kein Bild (Portrait) von unserem Müller zu finden, so wie es auch keine Abbildung der Kötzschenbrodaer Schiffsmühle im Archiv gibt. Wir dürfen aber bei den Schiffsmühlen in unserem Raum von einem nahezu einheitlichen Typ ausgehen und ich zeige deshalb als Beispiel die damalige Kötitzer Mühle. Allerdings ist unsere Schiffsmühle auf einem älteren Lageplan dargestellt – sie lag am südlichen Ende des damaligen Elbgässchens (heute verlängerte Bahnhofstraße), ein paar Meter flussauf am rechten Ufer. Verankerungen und Abspannungen mussten die Mühle in der Strömung der Elbe halten. Den Platz im Strom nahm sie von Frühjahr bis Herbst ein, hier wurde geschrotet und gemahlen, solange der Fluss das zuließ. Vorm Winter mussten Schiffsmühlen an oder auf Land gezogen werden, um sie vor Eisgang und anderen Unbilden zu schützen. Der Winterplatz unserer Mühle lag ein paar Meter flussabwärts, wo die Aufmauerung der Have (gelegentlich auch Habe genannt), heute noch ein beliebter Aussichtspunkt an der Elbe, entsprechenden Schutz bot.

Gasthof »Goldener Anker«, 2015

Gasthof »Goldener Anker«, 2015


Ob C. F. Müller auch die Windmühle besaß, die unweit der Schiffsmühle gestanden hatte, ist anzunehmen, wäre aber noch zu beweisen. Es gab zwar einen Mühlenzwang, der die Bauern der Dörfer Kötzschenbroda, Fürstenhain, Naundorf, Lindenau und z.T. auch von Kaditz verpflichtete, hier mahlen zu lassen, doch mit dem Müllerhandwerk konnte man nicht reich werden. Da waren natürliche Ausfallzeiten im Winter, bei Hoch- oder Niedrigwasser, 1845, 1853 und 1863 brannte die Schiffsmühle ab, 1813 wurde sie durch französisches und österreichisches Militär zerstört und Flussregulierungen im späten 18. Jh. führten zur kurzzeitigen Standortänderung ans andere (linke) Elbufer, was sich aber nicht bewährte. Das alles geschah eher ohne das Zutun des Müllers, aber er konnte ja auch krank werden oder sterben! Deshalb war es vorteilhaft, dass C. F. Müller ein „zweites Standbein“, nämlich die Niederschänke in Kötzschenbroda hatte (der Name „Zum Goldenen Anker“ kam erst ab 1860 auf). So konnte er wirtschaftliche Nachteile des Mahlgewerbes ggf. durch Gewinne in der Gastronomie ausgleichen. Der Wiederaufbau des Gaststättengebäudes nach Brand von 1774 dürfte nicht durch C. F. Müller erfolgt sein, wohl aber der Neubau 1798 eines Seitengebäudes des Gasthofs. Die Niederschänke zu seiner Zeit müssen wir uns etwas kleiner vorstellen – der Umfang wurde erst unter Karl Moritz Menzel 1888 deutlich, insbesondere durch den großen Tanzsaal, vergrößert. Der Um- und Neubau des „Goldenen Ankers“ von 1995-99 durch Familie Dross aus München brachte nach diversen Interimsnutzungen, Leerstand und Verfall erfreulicherweise wieder die alte Nutzung als Restaurant und Hotel und eine erneute Vergrößerung des Anwesens hervor.

Dietrich Lohse

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