Ein sehr schwerer Brief

Beschreibung eines Details am Haus Kynast

Es scheint mir, als würde ich mich auf „altes Eisen“ in Radebeul einschießen. In der Augustvorschau letzten Jahres hatte ich im Artikel „Gedankensplitter zur Kötzschenbrodaer Schiffsmühle“ eine gusseiserne Grabplatte von 1825 vorgestellt, heute soll es um einen gusseisernen Brief zum 75. Geburtstag von Ewald Hilger im Jahre 1934 gehen, der sich bis in unsere Tage erhalten hat und mindestens noch eine eiserne Idee habe ich für 2016 vorgesehen.

Das ehemalige Weingut Kynast in Zitzschewig ist wieder im Besitz der Familien Muth, die Nachfahren von Ewald Hilger sind. Erläuterungen zu den verschiedenen Gebäuden und zur Geschichte des Kynast hatte ich bereits in V+R 01/96 unter „Weingut Haus Kynast“ veröffentlicht. Darin wies ich schon an einer Stelle auf diese Eisenplatte von 1934 am Herrenhaus des Kynast hin. Die damalige Aussage, dass Ewald Hilger den Kynast 1927 als Altersruhesitz erwarb, muss ich jetzt revidieren, das geschah bereits 1921.

Haus Kynast Foto: D. Lohse

Haus Kynast
Foto: D. Lohse

Heute weiß kaum noch jemand in Radebeul, wer Ewald Hilger war – ich habe mich ein wenig schlau gemacht. Er stammt nicht von hier, er wurde am 13. Juni 1859 in Essen als Sohn von Ewald Hilger (gleicher Name!) geboren. Essen liegt bekanntlich im Ruhrgebiet und so verwundert es kaum, dass der Vater da Bergbau-, Stahl- und Brauereiunternehmer war. Da ging Ewald jun. zur Schule, danach folgten Studien des Montanwesens in Lausanne, Straßburg, Berlin und Mons. 1876 fragte Hilger von Essen aus im sächsischen Freiberg auch nach Prospekten und dem Lehrplan der Bergakademie an, hatte sich dann aber wohl anders entschieden. Nach einer Stelle als Bergreferendar und erfolgter Assessorenprüfung durfte Ewald Hilger den Titel eines Berginspektors führen. Ab 1892 folgte eine kurze Zeit als Herausgeber des Fachblattes „Der Bergmannsfreund“ in Saarbrücken, aber ein Streit mit der Gewerkschaft ließ ihn schon 1893 als Leiter der Berginspektion Grube Gerhard in Luisenthal und ab 1896 in Zabrze (Oberschlesien) wechseln. Durch seine nationale Gesinnung war er kein Freund der SPD, was ihm bald den Ruf als „Saar-Bismarck“ einbrachte. Fachliche Schwerpunkte für ihn waren auch Arbeits- und Gesundheitsschutz im Bergbau, was damals sicherlich recht fortschrittlich war. Ein verlorener Prozess gegen Karl Krämer (Bergarbeiter u. Gewerkschafter) zwang ihn 1904 / 05 zu einem erneuten Wechsel. Doch er stieg auf der Karriereleiter weiter nach oben und wurde Generaldirektor der Laurahütte in Oberschlesien. Die Leitung dieses Bergbau- und Hüttenunternehmens endete 1922 als das Gebiet durch neue Grenzziehung polnisch wurde. So ging er mit 63 Jahren schon in den Ruhestand. Aber er war von Kötzschenbroda aus noch länger in Gremien wie dem Reichswirtschaftsrat, verschiedenen Aufsichtsräten und im Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eingebunden und tätig.

Ob er in Kötzschenbroda anderweitig in Erscheinung trat, war bisher nicht nachweisbar. Hilger hatte auch eine militärische Laufbahn absolviert und war im 1. Weltkrieg Offizier. Interessant war für mich, dass er 1919 nach der Kapitulation Deutschlands der deutschen Delegation in Versailles angehörte.

Porträt von Ewald Hilger Foto: Bergarchiv Freiberg

Porträt von Ewald Hilger
Foto: Bergarchiv Freiberg

Aufgrund besonderer fachlicher Erfolge führte Hilger den Titel Geheimer Bergrat – ein Titel, der in Monarchien und Fürstentümern üblich war und er war Ehrendoktor der Universität Breslau sowie Ehrensenator der TH Charlottenburg und der Bergakademie Freiberg. Das Diplom als Senator der Bergakademie Freiberg wurde, wie ich mich im dortigen Archiv informieren durfte, unter dem18.01.1929 ausgestellt und am gleichen Tag per Post nach Kötzschenbroda geschickt.

Ewald Hilger war, ein Foto belegt es, ein stattlicher Mann mit guter Ausbildung und hohen Zielen, vielleicht auch mit „Ecken und Kanten“, eine angesehene Persönlichkeit der Wirtschaft im deutschen Kaiserreich. Er starb am 20. August 1934 in Zitzschewig, was damals nach Kötzschenbroda eingemeindet war und wurde mit offizieller Feier in Tolkewitz eingeäschert. Wo sich sein Grab befindet oder befand, konnte ich noch nicht herausfinden. Teile seiner Familie fanden ihre letzte Ruhe auf dem Johannesfriedhof Zitzschewig.

Doch was hat das alles mit einem eisernen Brief zu tun, werden sie fragen. Das kam so: ein Oberer des Wirtschaftsverbandes des Montanwesens hatte die originelle Idee, die Gratulation zu Hilgers 75. Geburtstag auf einer Eisenplatte (H=70cm, B=45cm) festzuhalten – vielleicht war Papier gerade knapp und Eisen gab’s im Ruhrpott genug? Eisen hatte ja aber auch zu seinem Berufsleben gehört!

»Gusseiserner Brief« Foto: D. Lohse

»Gusseiserner Brief«
Foto: D. Lohse

Oberhausen Rhld. den 13. Juni 1934

Herrn Geheimen Bergrat Dr. Ewald Hilger
Haus Kynast, Kötzschenbr.-Zitzschewig

Mein lieber Hilger!
Der knorrigen Eiche, die Sturm und Wetter trotzt, dem allzeit
aufrechten Manne, der keinen Kampf scheut, dem hervorragenden
Bergmann, der Alt und Jung in seinem Beruf Vorbild war und
ist, sendet zur Vollendung des 75. Lebensjahres
Gruß und Handschlag: AD MULTOS ANNOS!
Glückauf!

(Unterschrift unleserlich)

Über dem Schriftteil zeigt die Platte noch eine symbolisch gemeinte Zier, zum Thema passend einen Förderturm, ein Stollenmundloch und ein paar Bäume. Wir wissen nicht, wie die Platte Kötzschenbroda und den Adressaten erreicht hat, wohl kaum als Riesenpostkarte mit utopischer Frankierung (warum fällt mir dabei ein, dass die Post ab 2016 für den Normalbrief 70 Cent verlangen darf?) oder doch eher persönlich übergeben. Das schwere Teil kam jedenfalls im Juni 1934 nach Kötzschenbroda und Ewald Hilger starb im August des gleichen Jahres, so dass ich vermute, dass seine Familie dann die Anbringung der Tafel vorgenommen hat.
Für Auskünfte und Unterstützung bei meiner Recherche danke ich Herrn Klaus Muth, einem Urenkel von Ewald Hilger sowie Herrn Dr. Kaden vom Archiv der Bergakademie Freiberg.

Dietrich Lohse

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