Man ist schon überrascht, wenn man immer wieder von der Notwendigkeit einer „lebenslangen Bildung“ hört, liest und dazu angehalten wird. Man gewinnt den Eindruck, dass sich große Teile der Gesellschaft dieser „lebenslangen Bildung“ entziehen, denn sonst müsste nicht ständig über sie in den Medien berichtet werden. Es ist sogar von „bildungsfernen Schichten“ in der Bevölkerung die Rede. Da werden extra Anreize geschaffen, Programme entwickelt, Konferenzen abgehalten, um dieses offensichtlich vernachlässigte Gebiet auf die Erfordernisse der Zeit zu bringen. Wer in dieser Republik etwas auf sich hält, wer am Puls des Geschehens sein möchte und gesellschaftliche Anerkennung erreichen will, begründet sein kulturelles wie künstlerisches Tun mit der „kultureller Bildung“.
Gibt es denn ein Leben ohne Bildung? Wohl kaum. Aber Bildung ist eben nicht einfach Bildung. Diese fächert sich auf in… und hier sollte man einen Blick in die Theorie werfen. Offensichtlich aber kann es in diesem Land mit der Bildung nicht weit her sein, wenn seit geraumer Zeit zusätzliche Aktivitäten gefordert werden. Da reibt man sich verwundert die Augen. Ist kulturelle Bildung nicht Bestandteil der Bildung schlechthin? Gibt es „kulturelle Bildung“ oder eben „ästhetische Bildung“ an sich?
Dass der Begriff seit Jahren den Diskurs in der Bundesrepublik mitbestimmt, verdeutlicht doch nur, dass es die bestehenden Bildungsformen bisher nicht vermochten, eine umfassende Bildung für alle Teile der Gesellschaft zu erreichen. Nun kann man durch verstärkte Anstrengungen der sogenannten Träger der „kulturellen Bildung“ versuchen, das Manko auf diesem Gebiet zu beheben. Im Umkehrschluss sagt diese Positionierung, dass eben diese Träger, vornehmlich kulturelle Einrichtungen und Vereine, bisher zu wenig dafür getan hätten. Der logische Schluss der Politik auf diese Erkenntnis scheint zu sein: Wo kulturelle Bildung fehlt, müssen eben die vermeintlichen Produzenten „kultureller Bildung“ stärker in die Pflicht genommen werden. Und so wurde die „kulturelle Bildung“ als Fördertatbestand in die unterschiedlichsten Programme aufgenommen.
Aber entsteht so mehr „kulturelle Bildung“? Wohl eher nicht. Die Folge ist und wird sein, dass in Konzepten und Anträgen stärker der Anteil der kulturellen Bildung an den Maßnahmen hervorgehoben werden wird. Aber das Bild wird nicht wegen der Farben gemalt, sondern wegen des Inhaltes, die dem Maler wichtig sind. Und so bringt auch die Beschäftigung mit Theater zwar kulturelle Bildung hervor, das Ziel aber ist zumeist die Aufführung, die künstlerische Präsentation. Das die hierbei erlangten Fähigkeiten, Fertigkeiten und die Bildung darüber hinaus universell einsetzbar sind und nicht nur für das Theater verwendet werden können, liegt auf der Hand.
Deshalb kann es hier nicht um die kulturelle Bildung an sich gehen, als vielmehr um die Stellung von Kultur und Kunst in der Gesellschaft überhaupt. Der Zugang zu ihnen muss ohne Einschränkungen für alle möglich sein. Er darf nicht am sozialen Status oder an der Erreichbarkeit scheitern. Ja, es ist dem Satz „Kultur für alle“ herausragende Bedeutung zu schenken, der nicht nur einen kostenlosen Zugang zur kulturellen Teilhabe verlangt, sondern auch berücksichtigt, wie gelange ich heutzutage an die Stätten kultureller Angebote.
Wenn die Fahrpreise für den öffentlichen Nahverkehr erhöht und die Gebühren für den Schwimmunterricht für Kinder um 50 Prozent angehoben werden, die Beiträge für den Besuch der Jugendkunstschulen oder den Musikunterricht beständig steigen, muss man sich über den Mangel an kultureller Bildung nicht wundern, andere hindernde Faktoren beiseite gelassen. Die Träger der kulturellen Arbeit können da wenig ausrichten. „Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen.“ formuliert das Sächsische Schulgesetzt vom 26. April 2017. Wie soll dieser Satz mit Leben erfüllt werden, wenn offensichtlich die Schule bei der kulturellen Bildung Hilfe von außen benötigt?
Soll kulturelle Bildung ernst genommen werden, muss sie als Querschnittsaufgabe begriffen werden, die allen Kunstgattungen, kulturellen Bereichen und der Bildung immanent ist und somit ein wesentlicher Bestandteil unsres gesellschaftlichen Lebens sein muss. Kulturelle Bildung, allein auf die Entwicklung der Persönlichkeit und das ästhetische Formverständnis zu begrenzen, wird das Problem nicht lösen. Denn Fragen wir nach den Ursachen dieses Zustandes, werden wir schnell von den Trägern der kulturellen Bildung wegkommen hin zu den Finanzministerien, zur sozialen und ökonomischen Spaltung der Gesellschaft, zu den unterschiedlichen Bildungschancen der Kinder und den eingeschränkten Leistungen des Gesundheitswesens für Menschen mit geringem Einkommen. Wir landen bei der Politik und deren Vision von der Gemeinschaft. Der Neoliberalismus aber auch die weitere Ausdifferenzierung der Gesellschaft verstellt den Blick für das große Ganze und die Gemeinsamkeit. Die aber ist für den Fortbestand der Gesellschaft dringend erforderlich, als deren stabilisierende Kraft auch die kulturelle Bildung wirkt.
Karl Uwe Baum