Radebeuler Vor- und NachWENDEerinnerungen

Aus dem Blickwinkel einer ehemaligen Stadtgaleristin – Teil 2

Komplexe Ausstellungsgestaltung »T(R)aumbildung« 1989, Foto: Michael Lange


Über die Beweggründe zur Eröffnung einer städtischen Galerie in Radebeul schrieb der Maler und Grafiker Gunter Herrmann rückblickend im Jahr 2002: „Die Idee zu einer Galerie in Radebeul ist keinen kommunalen Köpfen entsprungen. Sie ist mit der neuen Politik der Ära Honecker in der DDR verbunden.“ Einerseits sollten für die Bildenden Künstler Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten geschaffen werden. Andererseits wollte man die Künstler vor Ort einbinden und unter Kontrolle haben. Als erste kommunale Stadtbezirksgalerie wurde 1974 in Dresden die „Galerie Nord“ eröffnet. Die „Galerie Mitte“ folgte 1979. Im gleichen Jahr startete in Radebeul auf Anregung der „Pirkheimer“, die im Kulturbund verankert waren, der erste Grafikmarkt. Offiziell genehmigte Ausstellungsmöglichkeiten gab es u. a. im Radebeuler Haus der Kunst, im Heimatmuseum Hoflößnitz und in den zahlreichen Kulturhäusern. So genannte „Illegale Ausstellungen“ fanden im Atelier des Kunststudenten Ralf Kehrbach zunächst in Wahnsdorf, später in Lindenau statt.

Als eine Art „Leitgalerie“ für die Künstler des Kreises Dresden-Land wurde die „Kleine Galerie Radebeul“ am 16. Dezember 1982 in den Räumen eines ehemaligen Tapetenladens auf der Ernst-Thälmann-Straße 20 eröffnet. Kaum hatte ich meine Tätigkeit als Leiterin der Galerie im Juni 1984 begonnen, kam es 1985 bereits zum ersten Eklat, hervorgerufen durch Gunter Herrmanns Gemälde „Mahnmal einer Landschaft“, mit dem er auf die Umweltzerstörung durch den Braunkohletagebau aufmerksam machen wollte. Ansonsten wurden in der Radebeuler Galerie zumeist Werke der Malerei, Grafik und Plastik gezeigt, welche der Kunstauffassung vom sozialistischen Realismus weitgehend entsprochen haben. Doch ab Mitte der 1980er Jahre gewannen die Themen und Gestaltungsmittel an Breite und Vielfalt. Dieser Prozess war nicht mehr aufzuhalten und hatte andernorts auch schon früher begonnen.

Auf die vielen Fragen „von unten“ gab es schließlich immer weniger Antworten „von oben“. Ausbürgerungen, Verbote und Schließungen waren letztlich ein Zeichen der Hilf- und Sprachlosigkeit. Zunehmend kam es zu Diskussionen über die gesellschaftlichen Zustände in kirchlichen und kulturellen Räumen, in Betrieben, Kneipen und auf der Straße.

Zur Eröffnung der Ausstellung »Ma(h)lzeit« am 16.9.1987, Foto: Michael Lange


Was an der einen Stelle unterdrückt werden sollte, kam an einer anderen wieder heraus. Kaum meinte man die „politisch-negative Konzentration“ um den Radebeuler Künstler Peter PIT Müller durch den operativen Vorgang „Geschwür“ mit Verhören, Hausdurchsuchung und Überwachung zersetzt zu haben, fanden sich auch schon wieder junge Künstler in variierenden Konstellationen zu Werkstattwochen in Stolpen, Scharfenberg und Rothschönberg zusammen, um gemeinsam zu diskutieren, zu experimentieren und zu gestalten. Die künstlerischen Ergebnisse wurden in der Kleinen Galerie Radebeul“ in den Ausstellungen „Ma(h)lzeit“ 1987, „T(R)aumbildung“ 1989 und „ENEKUNG“ 1990 gezeigt. Mit intermedialen Aktionen sollten alle Sinne angesprochen werden. Malerei, Grafik Fotografie und plastische Objekte mit individueller Symbolik verschmolzen zu Rauminstallationen. In einer Rezension über die Ausstellung „T(R)aumbildung“ schreibt Cornelia Wendt im August 1990: „Es geht um Überlegungen zum eigenen Ich, zur Sicht auf die Dinge der Außenwelt, um die Fähigkeit einer seismographischen Wahrnehmung stündlicher, minütlicher und noch schnellerer Veränderung, um Ruhe und Beziehungssuche inmitten gesellschaftlichem Chaos, hetzendem Aufbruch, rücksichtslosem Zurücklassen und absichtlichem Vergessen.“

Die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation erfolgte bei den Radebeuler Künstlern auf sehr unterschiedliche Weise. Während sich auf Horst Hilles Bildern die neureichen DDR-Spießer mit den Insignien Trabi und Datsche schmückten oder die Vertreter der „Turnschuhgeneration“ nicht im Geringsten um den sozialistischen Kleiderkodex scherten, zeigte der Bildhauer Wolf-Eike Kuntsche 1988 in seiner Personalausstellung eine ganz andere Welt. Die war zum Teil surreal und beängstigend. Beispielgebend sei hier u. a. die Bronzearbeit „Großes Finale“ aus dem Jahr 1984 genannt, deren Titel das hintergründig Groteske der kleinplastischen Szenerie natürlich noch gesteigert hat. Zu sehen waren puppenhafte Wesen, die wie fremd gesteuert an Marionettenfäden hingen und einander erbarmungslos niedermetzelten. Ein siebenteiliges Objekt wiederum ließ den Betrachter miterleben, wie sich ein Mensch aus einem ihn einzwängenden durchsichtigen Quader zu befreien versucht. Zurück blieb letztlich das leere Gehäuse. Zu sehen war auch die Serie „Masken der Zivilisation“, welche 1986 in unmittelbarer Reaktion auf die nukleare Katastrophe in Tschernobyl entstand ist. Die Konfrontation mit dem selbstzerstörerischen Wirken der eigenen Gattung erfolgte direkt und schonungslos. Die Theorie von der moralischen Überlegenheit des Sozialismus scheiterte zunehmend an der Realität. Wenig Zurückhaltung in ihrer gesellschaftspolitischen Aussage hatten sich auch der Radebeuler Bildhauer Detlef Reinemer und der Leipziger Grafiker Karl-Georg Hirsch auferlegt. In ihrer gemeinsamen Ausstellung in der Stadtgalerie illustrierten sie 1987 auf makabre Weise die nie enden wollende Geschichte von „Ketzer, Narr und Ruferin“. Das Erstaunliche ist, dass viele Kunstwerke aus jener Zeit bis heute nichts von ihrer Brisanz und Aktualität verloren haben. Vor allem bei den stillen Künstlern, die sich weder ins Rampenlicht gedrängt haben, noch den vermeintlichen Staatskünstlern oder Dissidenten zurechnen lassen, wird die Spurensuche auch in Zukunft Überraschendes zu Tage befördern.

Genres wie Szenografie, Architektur, Fotografie, Keramik und Textilkunst stellten eine inhaltliche Bereicherung dar. Vor allem im Zusammenhang mit der Architektur wurden auch Themen der Stadtentwicklung berührt. So zeigte die Ausstellung „Neues Leben in alten Mauern“ 1986 gelungene Sanierungsbeispiele der 1980er Jahre, welche Maßstäbe setzten und Denkanstöße geben sollten. Untergangsstimmung mischte sich mit Aufbruchstimmung. Man ahnte, dass etwas altes Vertrautes zu Ende geht und andererseits etwas neues Unbekanntes im Entstehen ist.

Das im Rahmen der Ausstellungen durchgeführte Zusatzprogramm war sehr abwechslungsreich. Veranstaltet wurden Konzerte, Lesungen, Figurentheateraufführungen, Performanceaktionen, Vorträge, Filmabende, Auktionen und Kinderfeste. Erleben konnte man u. a. bemerkenswerte Künstler wie den Dichter Heinz Czechowski, den Puppenspieler Gottfried Reinhardt, den Autoperformer Michael Brendel, den Lyriker und Liedermacher Michael Milde sowie die Musiker Joe Sachse, Uwe Kropinski, Friwi Sternberg und Dietmar Diesner.

Die „Kleine Galerie“ entwickelte sich in Radebeul zu einem stark frequentierten, kommunikativen Anlaufpunkt. Folglich wurde permanent von der Staatssicherheit überprüft, ob die Leiterin dieser Einrichtung ihre Sonderstellung nicht für subversive Zwecke missbraucht. Es war ein ständiger Spagat. Dass die Telefone sowohl im dienstlichen als auch privaten Bereich abgehört wurden, war für alle kein Geheimnis – also überlegte man sich ohnehin was man sagte und was nicht. Allerdings wird so mancher Fatalist erst viele Jahre später bei der Einsicht in seine „Akte“ darüber erschrocken sein, was im Falle eines Zugriffs mit ihm geschehen sollte.

Unweit der städtischen Galerie existierte in Radebeul-Ost ein weiterer Ort, der Künstler sowie Kunst- und Kulturinteressierte magisch angezogen hat. Dieser ominöse Jazzkeller, in dem zweifellos sehr spannende Konzerte, Ausstellungen und Lesungen stattgefunden haben, war scheinbar von allen bevormundenden und finanziellen Zwängen befreit. Im Nachhinein fragt man sich, wer wohl mehr von den subkulturell anmutenden Veranstaltungen profitiert haben wird: die „Lauscher“ oder die “Belauschten“?

Im benachbarten Coswig kam es 1985 in der „Börse“ mit dem intermedialen Subkultur-Festival „Intermedia I“ zu einem für damalige Zeiten unerhörten Skandal, der einerseits in die DDR-Kunstgeschichtsschreibung eingegangen ist, andererseits zur Entlassung des damaligen Klubhausleiters Wolfgang Zimmermann führte. Dass selbiger wiederum, seit nunmehr drei Jahrzehnten dem Redaktionskollegium von „Vorschau und Rückblick“ angehört, muss in diesem Beitrag unbedingt Erwähnung finden.

Vor allem im letzten Jahrzehnt der DDR entfaltete sich die Kunst- und Kulturszene sehr facettenreich, nicht zuletzt auch im Zusammenspiel mit Kulturpolitikern, die sich neuen Ideen gegenüber zunehmend aufgeschlossen zeigten. Auch in Radebeul begannen allerlei kulturelle Pflänzchen recht gut zu gedeihen. Ab 1985 organisierte Thilo Schmalfeld, Mitarbeiter des Jugendklubhauses „X. Weltfestspiele“, (nach dem Umzug vom Ledenweg in die ehemalige Sektkellerei Bussard in „Sekte“ umbenannt), gemeinsam mit zahlreichen engagierten Jugendlichen den Radebeuler „Popsommer“. Schon bald herrschten woodstockartige Zustände, denn das Publikum reiste zu den Konzerten in der Elbsporthalle (für diese Zwecke als Tonhalle bezeichnet), in Scharen mit Zelten und Wohnwagen an. Auf der Ernst-Thälmann-Straße in Radebeul-Ost hingegen fand 1987 die erste Kasperiade statt, die Sabine Brendel, eine engagierte Mitarbeiterin des Kreiskabinetts für Kulturarbeit, initiiert hatte. Auch der junge Kreissekretär des Kulturbundes, Peter Kappel, hatte viele Ideen. Und so wanderte der elfte Radebeuler Grafikmarkt im Oktober 1989 mit einem neuen erweiterten Konzept vom Rathaus in die Erweiterte Oberschule „Juri Gagarin“. Ja, es war eine sehr lebendige Zeit. Die Ereignisse begannen sich zu überschlagen. Nur einen Tag nach dem „Mauerfall“, wurde (wie von Hanna Kazmirowski in Heft 11/2019 ausführlich beschrieben) am 10. November 1989 die Wiedergeburt des Monatsheftes „Die Vorschau“ eingeleitet.

Doch schon bald erlebten Künstler als auch Mitarbeiter kultureller Einrichtungen den Systemwechsel als eine existenzielle Bedrohung. Die Förderung von Kunst und Kultur gehörte für Kommunen und Betriebe plötzlich nicht mehr zu den Pflichtaufgaben. Über Jahrzehnte gewachsene Strukturen begannen sich aufzulösen und die Frage stand im Raum: Wie nun weiter in Radebeul mit diesem personal-, raum- und finanzbedürftigem Metier unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen?

Karin (Gerhardt) Baum
Fortsetzung Heft 02/2020

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