Radebeuler Miniaturen

Eine Reihe von Feiertagen

Du mußt nicht gleich wieder Goethe zitieren, ruft Sonja, bloß weil bald Weihnachten ist. Die Leute wissen inzwischen, daß du lesen kannst.

Goethe, sag ich, um den geht’s doch gar nicht. Ich geh noch ein Stück weiter zurück: Quintus Horatius Flaccus paßt zwar rein zeitlich zur Weihnacht, hat aber doch eine etwas differenziertere Botschaft: „Genieße den Tag, laß den Wein fließen und frag nicht nach morgen“, heißt es da, grob zusammengefaßt. Leben findet jetzt statt und nicht in vier Wochen.

Aber Weihnachten, wendet Sonja ein, sieh mal, die Kinder …

Ich weiß schon, falle ich ihr unverbesserlich und grob ins Wort, ich weiß schon, du sitzt dann wieder da und weinst über das viele schöne zerfetzte Geschenkpapier, das wir früher immer gebügelt haben, wenn die Reihe von Feiertagen vorüber war…

Sonja wendet sich ab und verläßt schmollend die Küche. Seufzend beende ich den Abwasch und folge ihr mit der Whiskyflasche und zwei Gläsern in den Salon. Komm, wir vertragen uns wieder, sag ich und gieße uns ein. Carpe diem.

Leichtsinniger Weise schalte ich das Nachrichtenradio ein: Ab Montag wird wieder daungelockt und alle Gastwirtschaften sind dicht. Damit wir wie immer Weihnachten feiern können, heißt es. Ich stelle das Radio ab als könnte es etwas dafür und gieße uns nach. Na, dann lock mal schön daun.

Heute ist Mittwoch, sagt Sonja langsam und leise – wir haben noch vier Tage Zeit, genüßlich essen zu gehen und so die örtlichen Wirtschaften zu unterstützen… Und so geschieht es auch:

Donnerstag: Festessen mit italienischen Spaghetti nach Art des Hauses.

Freitag: Festessen mit Hähnchenbrust auf Beilage.

Sonnabend: Festessen mit thüringer Rostbrätel auf Bratkartoffeln

Sonntag: Festessen mit Lammhachse auf Reisnudeln.

Radebeul hat mehr gute Gaststätten als in einer halben Woche zu bewältigen sind, doch ab Montag gibt’s Kneipenfasten unfreiwillig. Da sind wir ganz schön daungelockt.

Komisch, sagt Sonja, daß es für unangenehme Dinge immer fremdländische Begriffe gibt.

Das ist, sag ich, eine ganz spezielle Form von Rassismus: Das Unangenehme, heißt das nämlich, hat nichts mit uns zu tun, das kommt von denen da draußen.

Na, sagt Sonja, jetzt übertreibst du aber.

Ja gern, sage ich, in solchen Fällen übertreibe ich gern, da wird’s klarer. Aber nimms wie du willst, ob die vier Wochen Fasten uns retten und wir Weihnachten wirklich feiern können, weiß heute noch niemand. Wir aber haben die Zeit genutzt und unsere Reihe von Feiertagen gehabt. Außerdem bleibt uns das schöne Gefühl, die örtliche Gastronomie mit unseren bescheidenen Mitteln bis zuletzt unterstützt zu haben.

Thomas Gerlach

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