Eine Glosse

Kritik unerwünscht!

Krise und Kritik seien zwei unzertrennliche Gesellen stellten die Herausgeber der Edition Theorie und Kritik in ihren 2015 bis 2018 erschienen Werken fest. Dies mag nicht nur für die gesellschaftliche Moderne zutreffen, war es doch in grauer Vorzeit Sitte bei den Oberhäuptern, den Überbringer einer schlechten Nachricht zu köpfen, als hätte man damit das Problem aus der Welt geschafft. Kritiker am System oder an der ausgegebenen Meinung landeten kurze Zeit später gleich auf dem Scheiterhaufen. Galileo Galilei, der italienische Universalwissenschaftler, ist 1633 gerade noch so davongekommen. Anna Maria Braune aus der Nähe von Delitzsch hatte da 1689 weniger Glück. Sie war die letzte Person in Sachsen, die wegen Hexerei verbrannt wurde.
Heute wird man bei einer geübten Kritik etwas zivilisierter behandelt – nämlich wegen der Geschlechtergleichberechtigung in männlicher, weiblicher oder diverser Form. Zerrissen wird man aber auf jeden Fall. Nun will ich damit ja nicht behaupten, dass wir uns seit Beginn der Neuzeit nicht weiterentwickelt hätten. Einerseits haben sich die Methoden enorm verbessert. Daumenschrauben kommen nur noch symbolisch oder in Ausnahmefällen zur Anwendung. Auch sind wir heute dankenswerterweise nicht mehr auf die „feine englische Art“ oder die „Konversationsregeln“ eines Herbert Paul Grice angewiesen, der ja auch schon über 30 Jahre tot ist und den sicher kaum noch einer kennt. Der Philosoph aus Birmingham hatte die sogenannten „Konversationsmaximen“ aufgestellt, die man in dem Satz zusammenfassen könnte: „Sage nur, was informativ, wahr und themenbezogen ist und sage dies klar und deutlich!“. Mit so einem Spruch weiß doch keiner mehr was anzufangen. Und seit wann geht es denn um Inhalte…? Egal zu welchem Sachverhalt ich mich äußere, zunächst erzähle ich von meinen jüngsten Partyerlebnissen. Einfach nur so, für einen lockeren Einstieg. Wichtig ist doch, wie man rüberkommt. Schließlich sollen sich die Leute auch amüsieren. Der Donald Trump hat das schon richtig gemacht, halt nur etwas übertrieben. Diese langweiligen Verwaltungsregeln, Vertragsabschlüsse, Sicherheitsvorschriften, Höflichkeitsfloskeln und sonstigen Vorschriften muss man doch nicht so auf die Goldwaage legen. Wird doch alles nicht so heiß gegessen…
Und wer will denn schon Kritik hören? Alle wollen doch nur gelobt werden. Folgerichtig hat man in der Pädagogik die Kritik längst abgeschafft. Die „Kleinen“ sollen nur noch über ihre Stärken gefördert werden. Richtig! Kann ich auch nicht leiden, wenn man mir immer meine Fehler vorhält. Das macht mich depressiv. Da bekommt man ja einen richtigen Persönlichkeitsknick! Wenn ich dann aggressiv werden sollte, kann ich halt auch nichts dafür.
Das mit der ewigen Kritisiererei ist sowieso erst Ende des 17. Jahrhunderts aufgekommen und aus dem Französischen herüber geschwappt. Da war Sophie von Brandenburg, die Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Christian I., die den sächsischen Kanzler Dr. Nikolaus Krell 1601 wegen politischer Unangepasstheit köpfen ließ, leider schon lange tot. Wer weiß, vielleicht wäre uns sonst so manches erspart geblieben. Als Wissenschaft und Religion noch eine Einheit bildeten, war eh alles besser. Mittlerweile spielt das aber auch schon keine Rolle mehr. Die Wissenschaft und die Vernunft haben eh nicht mehr viel zu sagen, wie das Geschehen um die Pandemie gezeigt hat. Und ob die Flyer für eine Veranstaltung zwei Tage vor dem Termin oder überhaupt nicht kommen, scheint auch egal.
Das hat der olle Immanuel Kant noch anders gesehen. Also, nicht das mit den Flyern, das mit der Vernunft. Die stellt sich ein, wenn Sinnlichkeit und Verstand in Abwägung gebracht und die daraus gewonnenen Erkenntnisse nach Prinzipien geordnet werden. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ urteilte dann auch Kant. Aber Michel Foucault, ein französischer Vertreter des Poststrukturalismus, stellte die Sache auf den Kopf und ließ den Gegenstand der Kritik völlig außer Acht, um stattdessen das System der Kritik in den Fokus zu nehmen. Damit schaltete er zwar jegliche Kritik aus, aber die braucht eh keiner. Besser hätte es Sophie von Brandenburg sicher auch nicht hinbekommen und alles ohne „Köpfe-rollen“.
Mit Foucault betrachtet, verbitte ich mir deshalb jedwede Kritik am meinem Beitrag und verbleibe mit nebulösen Grüßen,

Euer Motzi

 

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