Eine Glosse

Verdaulich…?

Klar, das neue Jahr ist eigentlich schon fast wieder rum. Die restlichen 334 Tage fallen überhaupt nicht mehr ins Gewicht, zumal mir durch den Wegfall fast aller Vergnügen das Zeitgefühl ohnehin verloren gehen wird. Daran werden auch die Lockerungen nichts ändern. Außer Arbeit, Arbeit, Arbeit und dem vermutlich einen oder anderen kleinen Lockdown, wird es 2022 voraussichtlich keine großen Abwechslungen geben, wenn ich das Interview des Oberbürgermeister Bert Wendsche in der Sächsischen Zeitung vom 31. Dezember letzem Jahres richtig verstanden habe. Kulturelles scheint kaum vorgesehen zu sein. Und die geplanten Großfesten werden ja hauptsächlich für die Touristen veranstaltet. Eines muss man dem OB aber hoch anrechnen: Wenn sich auch der Spaß in Grenzen halten wird, Steuererhöhungen soll es keine geben. Da hört ja freilich auch der Spaß auf. Aber sehr glücklich sah unser Stadtoberhaupt auf dem Foto trotzdem nicht aus. Schließlich haben wir alle doch ein wenig mehr Optimismus dringend nötig. Die 24 Monate im Ausnahmezustand – wenn gleich das nicht jeder so sah – waren doch für die meisten kein Zuckerschlecken. Sicher haben einige schwarze Schafe geglaubt, die Situation für ihre Zwecke ausnutzen zu können, um sich eine „goldene Nase“ zu verdienen. Die letze Wahl hat‘s ihnen dankenswerterweise dann heimgezahlt. Das zeigt, man sollte sich nie allzu sicher fühlen. Ein Ende der „Katastrophe“ ist aber trotzdem noch nicht in Sicht. „Schwarzmalende“ Virologen behaupten sogar, das würde dieses Jahr so weitergehen und sich frühestens 2023 entspannen. Na, Prost Mahlzeit!

Mir liegt schon das vergangene Jahr schwer im Magen. Nein, nicht wegen der Gans, die meine Küchenfee knusprig aus dem Backofen auf den Küchentisch zauberte. Die war köstlich, die Gans… na… und die Fee auch! Was wir aber sonst noch so alles schlucken mussten, war nur schwer verdaulich. Ich will ja nicht schon wieder die alte Leier anstimmen. Aber dieses Hü und Hott, dieses raus aus den und rein in die Kartoffeln ging mir gehörig auf den… – nun möchte ich an dieser Stelle nicht auf das Niveau eines Dieter Nuhr herabsinken. Aber der mündige Leser ahnt ohnehin, was ich hiermit ausdrücken möchte. In Abwandlung eines alten Kalauers könnte man auch formulieren: …in diesen schlechten Zeiten muss ein jeder mitarbeitend denken. Das freilich scheint eine Herausforderung zu sein, die für manche etwas zu plötzlich in ihr Dasein getreten ist. Ich dachte bisher immer, dass Kultur ein essenzieller Bestandteil unseres Lebens sei. Wenn ich mir aber die sechzehn mageren Zeilen unseres Oberbürgermeisters im Interview dazu ansehe, muss ich zugeben, dass ich mich geirrt habe. Da bleibt eigentlich nur noch die Frage, was die Stadtgalerie mit den gesammelten Ziegelsteinen für den ursprünglich geplanten Erweiterungsbau anfangen will, wo der wegen „wichtigerer Vorhaben“ nun endgültig gecancelt sein soll? Andererseits stirbt die Hoffnung zuletzt, aber auch „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren“. Da werden Briefe wohl die Welt nicht bessern, denn „auf Worte kommt‘s nicht an, die Tat macht den Mann“.

Mit dem Schulneubau in Kötzschenbroda wird es noch etwas dauern, war zu erfahren, und über die Bahnhofstraße konnte man kein Sterbenswörtchen lesen. Zumindest aber glänzt der nördliche linke Abschnitt des Fußweges in neuer Pracht. Sogar einen Teil der Seifensteine fanden wieder Verwendung. Da gibt es nun doch wirklich fast nichts zu meckern. Blöd nur, dass die Seifensteine an den Rändern verlegt wurden, so dass sich nun die Rollatorfahrer an den Hauswänden entlang drücken müssen. Dass die „Alte Gärtnerei Radebeul“ an der Hain-, Ecke Kötzschenbroder Straße am Heiligabend allerdings letztmalig geöffnet hatte, stimmt mich schon traurig. Dieses verwinkelte Refugium war mehr als ein gewöhnliches Blumengeschäft. Mit seinem kreativen Ladenbetreiber, den antiken Möbeln, Versatzstücken und Utensilien sowie natürlich den Pflanzen- und Blumenarrangements, war es eher ein gelebter kultureller Treffpunkt für Menschen, die sich nicht zuletzt am Ulis Einfallsreichtum erfreuten.

An der „Alten Gärtnerei“ hätte sicher auch Franz Mehring seine Vergnügen gehabt, der leider am 28. Januar vor 103 Jahren gestorben ist und der immer mal wieder mit seinen Rezensionen und Kritiken ganz Berlin in helle Freude, aber auch große Aufregung versetzen konnte. Den kritischen Blick des Philosophen und Historikers auf die Radebeuler Ereignisse könnten wir heute gut gebrauchen, zumal er sich auch drei Jahre als Leiter der Freien Volksbühne in Berlin betätigt hatte. Seine Abhandlung über das weltverachtende Genie Goethe, der sich auch gern, wenn es ihm beliebte, hinter seinem unbedeutendem Ministerposten im Weimarer Zwergland versteckte, ist auch heute noch lesenswert. Und da Mehring in seiner Betrachtung nicht bei Goethe stehenblieb, sondern auch Schiller einbezog, will ich mit einem Zitat desselben schließen: „Es ist offenbar Verwirrung der Grenzen, wenn man moralische Zwecke in ästhetischen Dingen fordert…“

Euer Motzi.

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