Weinfesttraditionen an Saale und Unstrut

Die nicht nur im Wortsinn schwergewichtigste Neuerscheinung des Buchmarktes zur mitteldeutschen Weinbaugeschichte war im vergangenen Jahr der großformatige Band „Weinkultur an Saale und Unstrut“ des Historikers Wieland Führ. Der Autor, 1953 in Herrnhut geboren und seit 1991 in Naumburg ansässig, beleuchtet darin die Geschichte des traditionsreichen Winzerfestes in Freyburg an der Unstrut, das am 8. Oktober 1933 erstmals als öffentliches Volksfest gefeiert wurde und seitdem, mit Ausnahme der Jahre 1939 bis 1946, 1981 und der coronabedingten Zwangspause 2020/21, den festlichen Jahreshöhepunkt der Winzer und Weinfreunde unseres benachbarten Anbaugebietes bildet.

Das Einleitungskapitel blickt über den Tellerrand hinaus und zeigt auf, dass die großen jährlichen Wein- und Winzerfeste, wie wir sie heute in allen deutschen Anbaugebieten kennen, eine Erfindung erst des 20. Jahrhunderts sind. Das große „Winzerfest der Weinbaugesellschaft im Königreich Sachsen“ vom 25. Oktober 1840 in der Hoflößnitz bestätigt als eine Ausnahme diese Regel, denn es blieb, anders als damals intendiert, ein singuläres Ereignis. Weiter geht Führ in einem ausführlichen Überblick kenntnisreich auf die Geschichte des Weinanbaues an Saale und Unstrut von den Anfängen im hohen Mittelalter bis zur Gegenwart ein, die bis zur Teilung Sachsens nach dem Wiener Kongress 1815 Teil der sächsischen Weinbaugeschichte war und in ihrem Verlauf immer wieder vorbildlich in Richtung Elbe ausstrahlte.

Nach der verheerenden Reblauskatastophe des späten 19. Jahrhunderts begann der Wiederaufbau mit Pfropfreben auf Amerikanerunterlagen in der preußischen Provinz Sachsen mit staatlicher Unterstützung einige Jahre früher als im Elbtal, und hier wie dort reklamierten die 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialisten die ihnen in den Schoß gefallenen Erfolge dieses neuen Weinbaues für sich und förderten ihn weiter. Mit der Gründung der Winzervereinigung Freyburg/Unstrut eG 1934 und vier Jahre später der Sächsischen Weinbaugenossenschaft (seit 1955 Winzergenossenschaft Meißen) wurden dort wie hier Strukturen geschaffen, die den Fortbestand der Weinkultur nachhaltig sicherten.

Die zentralen Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der Vorbereitung und Durchführung des ersten Freyburger Winzerfestes 1933 als eines aus bürgerlichen, insbesondere Gastwirtskreisen initiierten und vom örtlichen Fremdenverkehrsamt und dem regionalen Weinbauverband mit großem propagandistischem Aufwand organisierten städtischen Volksfestes, dessen Erfolg die Erwartungen übertraf, sowie den in starkem Maße NS-ideologisch vereinnahmten Festen der Jahre 1934 bis 1938, seit 1936 im Rahmen der staatlich verordneten reichsweiten „Weinwerbewochen“ und 1938 schon deutlich durch die heraufziehende Kriegsgefahr überschattet. Bereits 1947 wurde in Freyburg an das Vorbild der 30er Jahre angeknüpft. Zunächst willkommene Abwechslungen in der Tristesse der Nachkriegsjahre, wurden die Feste seit Gründung der DDR zur steten Tradition und durch die staatlicherseits zur Verfügung gestellten Weinkontingente zur seltenen Gelegenheit, sich die schwierigen Zeiten mit heimischem Rebenblut zum Einheitspreis von 1 DM pro Schoppen ein verlängertes Wochenende lang schönzutrinken. Nicht von ungefähr fiel das Winzerfest 1953, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist, besonders opulent aus – panem et circenses.

Bis 1960 boten sich diese zentralen Winzerfeste der DDR zudem als Schaufenster für die offiziellen deutschlandpolitischen Ziele der SED an – „Unstrut und Saale, Mosel und Rhein gehören zusammen wie Wahrheit und Wein“. Unabhängig von ihrer Ventilfunktion und den mit den Zeitläuften wechselnden offiziellen Losungen waren und sind diese Feste immer auch Ausdruck echter Lebensfreude und des Stolzes auf den regionalen Weinbau und seine Erzeugnisse gewesen. Wieland Führ lässt die Umstände und Höhepunkte der Feste zu DDR-Zeiten und seit 1990 Revue passieren und zeichnet dabei stimmungsvolle Zeitbilder. Auch die bereits 1969 an der Unstrut begründete Tradition, im Arbeiter- und Bauernstaat eine Gebietsweinkönigin zu krönen – anfangs bestand die Krone aus geprägter Pappe und Velourspapier – kommt dabei nicht zu kurz.

Neben den lesenswerten Texten besticht der 292 Seiten starke Band im Lexikonformat, dem eine Reproduktion des Winzerfestplakates von 1954 beigegeben ist, vor allem durch die Fülle und hohe Qualität seiner mehr als 900 überwiegend farbigen Abbildungen, die der Autor in jahrelanger Recherchearbeit aus zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen zusammengetragen hat. Sein unternehmerischer Mut, dieses Mammutprojekt in derart gediegener Ausstattung im Selbstverlag zu stemmen (ISBN 978-3-00-070567-0, Preis 49,95 €), lässt ihm uns auch im Elbtal zahlreiche Leser wünschen. Dass es reizvoll wäre, auch die vielfältigen hiesigen Weinfesttraditionen der vergangenen 100 Jahre auf ähnlich breiter Quellenbasis fundiert unter die Lupe zu nehmen, bedarf darüber hinaus kaum der Erwähnung.

Am Samstag, den 8. Oktober – dem 89. Jahrestag des ersten Freyburger Winzerfestes –, ist Wieland Führ im Sächsischen Weinbaumuseum zu Gast und hält um 18 Uhr im Winzersaal der Hoflößnitz einen reich bebilderten Vortrag zum Thema seines Buches. Karten dafür, die auch zum vorherigen Besuch des Museums berechtigen, sind zum Preis von 3 Euro im Besucherzentrum der Hoflößnitz in Radebeul, Knohllweg 37 erhältlich (Tel. 0351.839 83 33).

Frank Andert

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