Rechenbeispiel
(für die eine, die gelacht hat)
Das ist das Schöne am Stammplatz, daß du da einfach sein kannst. Je nach Wetter drinnen am Tresen oder draußen am Faß, kannst du reden oder schweigen, ganz, wie dir zu Mute ist – eben: einfach sein. Alle, die darum wissen, denken, ach, da ist er wieder. Und wenn du länger nicht gesehen wurdest, wirst du vermißt. Selbst in der mäßig interessiert klingenden Frage, wo warst du denn so lange, liegt mehr Liebe, als du verdienst zu haben glaubst. Auch das tut gut, zu wissen.
Deine Gänge „ins Dorf“, die mal einfach der Bewegung dienen, aber auch einem höheren Zweck folgen können (heute zum Beispiel warst du im Rechenzentrum zwecks gemeinschaftsfördernden Erwerbs eines neuen Laubbesens), diese Gänge also, die folgerichtig am Stammplatz enden, sind für dich zum Inbegriff von Lebensqualität, Zufriedenheit und Dankbarkeit geworden. Vor allem aber sind sie Quelle der Inspiration:
Plötzlich hörst du da nämlich eine Stimme:
Sag mal, kennst du Al Gore?
Sofort erwacht deine Aufmerksamkeit, die Ohren richten sich nach hinten.
Naja kennen, antwortet eine zweite Stimme, den Namen hab ich schon gehört. War Senator in Tennessee, und zweimal Vize, bei Obama, glaub ich, oder wars Clinton? Warum fragst du?
Ich hab gehört, das wieder die Stimme des ersten, der hat den Rhythmus des Lebens gefunden.
Al Gore?! Quatsch! Präsident wollte er werden, war den meisten seiner Landsleute aber zu grün und also versifft oder umgekehrt.
Doch, doch, das erneut und voller Ernst der erste, ich weiß das genau, der kann dir alles ausrechnen, was du willst.
Freilich, denkst du selbst, die Amerikaner sind berechnend und unberechenbar zugleich – der andere scheint Ähnliches geäußert zu haben:
So meine ich das aber nicht, braust da nämlich der erste auf, der rechnet dir sogar aus, welcher Partner zu dir paßt.
Der Vize?
Genau, Al Gore! Wenn der erst den Rhythmus gefunden hat, weiß er genau, wen du an deiner Seite verträgst. Das spart Umwege.
Ach, sagt der Zweite, ich wäre da vorsichtig, hat der erst dein Geld kassiert, war alles nur wieder eine alternative Wahrheit. Ich kenn doch die Brüder…
Hat der Brüder?
Wer?
Al Gore!
Woher soll ich das wissen?!!
Na, wenn du sie kennst, wie du sagst, – warst du mal drüben?
Nee, nie, hab auch nicht das Bedürfnis dazu. Obwohl – New York könnten wir uns schon noch mal angucken, bevors absäuft … aber sag mal, kannst du dir deine Partnerin nicht selber ausrechnen?
Eben nicht! Dazu fehlt mir der Al-Gore-Rhythmus …
Neugierig geworden verläßt du deinen Hocker in Richtung Toilette, nur um nachher einen unauffälligen Blick auf die Redner werfen zu können. Aber wie du zurückkommst, sind sie verschwunden. Dankbar nimmst du dein zweites Bier in Empfang und überlegst, wieviele und welche Schritte der Algorithmus vorschreiben müßte, um das Gefühl der Dankbarkeit zu errechnen: 101001100011100001121100001110001100101 … in Ewigkeit Amen…
Thomas Gerlach