Radebeuler Thaut-Motive einst und jetzt, Teil II

Radierungen von Johannes Thaut und Fotografien von Friedhelm Kratz

Als ich im Juni 1984 die Leitung der Kleinen Galerie in Radebeul-Ost auf der Ernst-Thälmann-Straße 20 (heute Hauptstraße) übernahm, war Johannes Thaut der erste Künstler, mit dem ich eine Personalausstellung realisieren durfte. Die Besucher gaben sich die Klinke in die Hand, denn der Radebeuler Maler und Grafiker war nicht nur für Sammler ein Begriff, deren Erwerbungen wohlverwahrt in Grafik-Schränken ihr Dasein fristeten. Radierungen mit Thaut-Motiven schmückten, liebevoll gerahmt, zahlreiche Wohnzimmerwände. Selbst die Gaststätte vom Klubhaus „Heiterer Blick“ hatte man damit ausgestattet.

Johannes Thaut in seinem Radebeuler Atelier auf der Moritzburger Straße, Aufnahme Mitte der 1970er Jahre, Foto Privatarchiv Thaut

Wenngleich Johannes Thaut im Jahr 1921 in Radebeul geboren wurde, kam er erst über viele mehr oder weniger abenteuerliche Umwege, die ihn bis nach Schweden führten, wieder 1955 nach Radebeul zurück. Geprägt durch seine Biografie, engagierte er sich in der Lößnitzstadt weit über das eigene künstlerische Schaffen hinaus. So gehörte Johannes Thaut zu jenen Künstlern, die den Radebeuler Grafikmarkt mit ins Leben gerufen hatten und sich dafür einsetzten, dass Radebeul eine kommunale Galerie erhielt, in deren Galeriebeirat er bis zu seinem Tode Mitglied war. Erfahrungen und Wissen gab er in den Mal- und Zeichenzirkeln des Arzneimittelwerkes Dresden (AWD) und des VEB Planeta weiter.

Wenige Tage nach seinem 66. Geburtstag verstarb Johannes Thaut am 28. Mai 1987. Die Radebeuler Stadtgalerie würdigte ihn im Jahr 1995 mit einer Gedenkausstellung. Gezeigt wurde ein Querschnitt des Gesamtschaffens, darunter Skizzen, die in Kneipen entstanden sind, Grafiken, Aquarelle und Gemälde mit Motiven unterschiedlichster Art sowie Entwürfe von Wandbildern, welche Johannes Thaut gemeinsam mit den Radebeuler Künstlern Gerold Schwenke und Günter Schmitz gestaltet hatte. Diese vielfältige, wiederum sehr gut besuchte Überblicksschau, sollte schließlich die vorletzte Ausstellung am alten Galeriestandort sein.

Porträtfoto Friedhelm Kratz, Foto Privatarchiv Kratz

Während sich die Galerie nach der Kündigung des Mietvertrages für zwei Jahre im Exil befand, knüpften deren Mitarbeiter bis zur Wiedereröffnung am neuen Standort in Altkötzschenbroda im September 1997 vielgestaltige Kontakte und halfen mit, alternative Ausstellungsmöglichkeiten zu erschließen.

So wurde 1997 (Eröffnung im April) in der „Rathausgalerie“, angeregt durch den “verein für denkmalpflege und neues bauen“, aus Anlass des 10. Todestages von Johannes Thaut die Ausstellung „Thaut-Motive einst und jetzt“ gezeigt. Die Motive der ausgewählten Aquatinta-Radierungen bildeten die Vorlage für die Fotografien von Friedhelm Kratz. Welche Tücken damit verbunden waren, schilderte der Vereinsvorsitzende Thomas Gerlach in seiner Eröffnungsrede. „Die schlichte Undurchführbarkeit einer solchen Idee wurde uns bewußt, da waren die Einladungen schon so gut wie gedruckt. Von dem Wunsche beseelt, dem grafischen Vorbild gerecht zu werden, hat Friedhelm Kratz Fotos geschossen, wie er sie aus sich heraus nie aufnehmen würde.“ Was dem Künstler „nicht in den Kram paßte“, hatte dieser ignoriert, um den Blick freizugeben „auf Dinge, die ihm wichtig waren“. Der Fotograf wiederum konnte nichts weglassen, denn er war an die Realität gebunden.

Spätestens hier stellt sich die Frage: Warum also noch einmal Thaut-Motive?

Gründe gibt es viele. Die Verleihung des Stadtrechtes an Kötzschenbroda und Radebeul vor 100 Jahren bot sich geradezu an. Gemeinsam mit dem Fotografen Friedhelm Kratz wollten wir als Betreiber des Kunsthauses Kötzschenbroda einen Beitrag zum Festprogramm leisten, welcher im Bezug zur Radebeuler Stadtgeschichte steht. Allerdings wurde 2024 ein ähnlicher Denkfehler wie 1997 gemacht. Man hatte sich alles schlichtweg viel zu einfach vorgestellt. Nach nunmehr einem halben Jahrhundert sollten also die einstigen Motive von Johannes Thaut ein zweites Mal fotografisch dokumentiert werden. Doch die Originalgrafiken waren nur noch rudimentär verfügbar. Der zweite Schreck erfolgte dann unmittelbar vor Ort. Doch das können sich die Ausstellungsbesucher selbst anschauen.

Das Kunsthaus Kötzschenbroda gehört zu den temporär Offenen Häusern der Lößnitzstadt. Das heißt, Haus und Garten werden nur zu besonderen Anlässen geöffnet. Das Jubiläumsjahr ist ein solcher Anlass. Aber warum nun dieses Thema? Der Reiz besteht in dessen Brisanz, denn die Begriffe „Heimat“ und „Volkskunst“ sind sehr ambivalent besetzt.

Johannes Thaut »Am Kroatenweg« (Kroatengrund), Aquatintaradierung, 1970er Jahre Repro Karin Baum

Aufnahme von Friedhelm Kratz 1997, neue Tore in der Weinbergsmauer, statt Sandweg Pflaster und Asphalt Foto Friedhelm Kratz

Nichts bleibt, wie es war. Das einzig Beständige ist die Veränderung. Was existiert noch nach 50 Jahren von dem, was die Ausflügler in die einstmals ländlich anmutenden Lößnitzortschaften vor den Toren der Kunstmetropole Dresden angezogen hat? Ist die Bezeichnung „Kulturlandschaft“ pure Nostalgie? Wo gibt es sie noch, die urigen Weinstuben, Ausflugslokale, Bauerngehöfte, Winzerhäuser, Herrenhäuser oder Sandwege? Nimmt die Wärmedämmung den Fassaden die Patina? Werden Schilderwälder, architektonische Dreistigkeiten, Blechlawinen, Werbung von erlesener Penetranz als störend wahrgenommen oder hat man sich schon daran gewöhnt?

Der 35 Jahre jüngere Friedhelm Kratz hat Johannes Thaut nie persönlich kennengelernt. Und doch gibt es Vieles, was beide verbindet. Beide haben sehr praktische Berufe erlernt: Johannes Thaut – Dekorationsmaler, Friedhelm Kratz – Maurer. Das hat sie geprägt. Sowohl der künstlerische Autodidakt als auch der „Hobbyfotograf“ haben zahlreiche, des Darstellens werte Motive unmittelbar vor der Haustür gefunden und damit auch eine Art Zeitdokument geschaffen.

Johannes Thaut, unbezeichnet (Meierei), Aquatintaradierung, 1970er Jahre Repro Karin Baum

Aufnahme von Friedhelm Kratz 2024, ein blickdichter Zaun nimmt die Sicht auf das ehemalige Ausflugslokal und den Gästegarten Foto Friedhelm Kratz

Johannes Thaut war sehr vielseitig. Die mehr oder weniger bekannten Radebeul-Motive stellen nur einen kleinen Ausschnitt des Schaffens dar. Seine enge Beziehung zu den „einfachen“ Menschen drückt sich auch darin aus, dass er als ein „humorvoller Chronist des Alltags“ beschrieben wird. Die künstlerischen Grundlagen hatte er sich in Abendkursen an der Dresdner Kunstakademie und in der privaten Malschule von Otte Sköld in Stockholm erworben.Friedhelm Kratz wurde 1956 in Trebnitz/ Sachsen-Anhalt geboren. Er erlernte den Maurerberuf, weil er großes Interesse am Bauen und Gestalten hatte. Neben der täglichen Arbeit blieb ihm dann noch Zeit zum Fotografieren, zunächst hauptsächlich auf Reisen. Mit dem Umzug nach Radebeul im Jahr 1985 begann er die Reize der Gartenstadt und deren versteckte Schönheiten zu entdecken. Natur und Architektur, Verfallendes und Saniertes bieten ihm ständig neue Motive. Fachlich bildet er sich in Kursen unter Leitung eines erfahrenen Berufsfotografen weiter.

Johannes Thaut »Turmhaus mit Garten«, Aquatintaradierung, 1970Repro Karin Baum

Schon damals löste die Ausstellung mit den Thaut-Motiven Problemdiskussionen aus. Seitdem sind 27 Jahre vergangen. Wiederum hat sich Vieles verändert. Und es stellt sich erneut die Frage: Welche Entwicklung hat die Radebeuler Kulturlandschaft genommen?

Der Schwerpunkt dieser kleinen Ausstellung liegt auf dem Dokumentarischen, was dem Fotografen Friedhelm Kratz nur einen begrenzten Spielraum lies, um eigene Intentionen zu verfolgen. Dessen war er sich von vornherein bewusst und dafür sei ihm auch noch einmal gedankt. Gedankt sei auch dem Ehepaar Günter und Hannelore Thaut, deren Anliegen es war und ist, die Erinnerung an den Radebeuler Maler und Grafiker Johannes Thaut in einem produktiven Sinne lebendig zu erhalten.

Karin (Gerhardt) Baum

Das Kunsthaus Kötzschenbroda ist offen auf Anfrage. Vernissage mit Kaffee, Kuchen und kurzen Reden am 7. April um 16 Uhr, Anmeldung erbeten unter 0160-1038663, info@kunsthaus-koetzschenbroda.de

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