Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee… (aus „John Maynard“, Theodor Fontane)
Eine heimliche Liebe zur Seefahrt schlummerte wohl schon immer in mir. An die verordnete Reserveübung 1979 bei der Marine denke ich dabei weniger, das war Streß! Doch werfen wir erst mal einen raschen Blick nach Hamburg, wo das klassische „Schiff unter den Häusern“ steht: es ist das sogenannte Chilehaus von Architekt Fritz Höger 1922 entworfen, 1924 fertiggestellt. Ein großer Backsteinbau mit scharfer Spitze wie ein Bug, darin viele Büros. Für ein Bild wollte ich nicht mal rasch nach Hamburg fahren, ich glaube, fast jeder Leser hat schon mal eine Abbildung des Hamburger Chilehauses gesehen. Schauen wir erst mal, dass wir festen Boden unter die Füße kriegen und sehen wir uns dann in Radebeul nach „Schiffen“ um.
Da, wo es in Ober- und Niederlößnitz Straßenzüge gibt, die sich wie in einem Raster rechtwinklig kreuzen, werden wir kaum Häuser mit Bugwelle finden. Aber da, wo dieses schachbrettartige Straßensystem etwa von einer älteren Straße diagonal geschnitten wird, könnten wir auf Häuser mit einer spitzen Ecke, bzw. einer schmalen Front mit schrägen Flanken treffen. Voraussetzung ist also ein spitz zulaufendes, nicht normal rechteckig geschnittenes Grundstück – nicht unbedingt ein Idealfall zur Bebauung. Ein Haus mit Bugwelle könnte auch im Inneren unregelmäßige Grundrisse, also schiefwinklige Räume, zur Folge haben. Solche Räume zu möblieren, ist dann schon eine anspruchsvollere Aufgabe. Wenn in einem Stadtviertel die normal geschnittenen Grundstücke alle bebaut waren, prüften die Bauherren, ob sie mit o.g. Nachteilen zurechtkommen könnten und Investoren bebauten dann schließlich auch diese „Kuchenstücke“. Andere Baumeister ignorierten beim normalen Hausentwurf das spitz zulaufende Grundstück insofern, dass sie das Haus soweit es das Grundstück zuließ, nach hinten versetzten und so nicht in die Spitze kamen und diese nur gärtnerisch gestalteten. Mit guten Entwerfern war es auch möglich, dass auf nicht normal geschnittenen Grundstücken spitze Häuser entstehen konnten, die z.T. sogar stadtbildprägend wirkten und eine gewisse Pracht entfalteten, wie am Platz zwischen August-Bebel-, Karl-Marx- und Einsteinstraße.
In Paris, erinnere ich mich, stehen an einen geometrischen, runden Platz, in den 6 Straßen einmünden dazwischen jeweils 6 Bughäuser, das schafft Radebeul nicht! Die Gestaltung des Albertplatzes ähnelt der Situation vielleicht, jedoch sind die Schmalseiten hier zu breit, die Spitze fehlt und erinnert kaum noch an Schiffe. In der Betrachtung ausschließen möchte ich auch ein Haus der Diakonie (Obere Bergstr. 3), das zwar eine scharfe Hausecke kleiner 90° hat, aber der riesige Baukörper nicht dem hier behandelten Typus entspricht. Die meisten Bughäuser finden wir an der Meißner Straße, ein paar aber auch noch in den angrenzenden Stadtvierteln. In Radebeul bilden Mehrfamilienhäuser mit einem Turm oft einen städtebaulichen Akzent. Die gleiche Rolle kommt im Stadtbild den Bughäusern zu, die ja auch eine turmartige Spitze haben, sie eröffnen meist einen Straßenzug und führen in die Tiefe. Ich betrachte hier eine Häuserart, die m.E. in keinem Lehrbuch erscheint, nicht mit tierischem Ernst, eher mit einem Schmunzeln. So sehe ich darunter Jachten (Zinzendorfstr. 1), Elbdampfer (Meißner Str. 154), Kreuzfahrtschiffe (Schildenstr. 17) und Tanker (Augustusweg 13a). Die meisten der Schiffshäuser sind Denkmalobjekte, es gibt aber auch solche, die nicht unter Denkmalschutz gestellt wurden. Warum davon mehrere als Bäckerläden genutzt wurden und noch werden, wüsste ich auch gern.
Diese städtebauliche Sonderform von Bughäusern ist an keinen Baustil gebunden. Sie tritt in unserer Region aber in der Zeit wirtschaftlicher Expansion, der Gründerzeit und dem Jugendstil von 1870 bis 1910 gehäuft auf. Gegenüber der Masse der Radebeuler Häuser könnte man bei dieser Bauart von Häusern mit einem hohen Wiedererkennungswert sprechen. Es ist zu erkennen, dass zwei Drittel dieser Häuser in Radebeul Ost (näher an der Landeshauptstadt?) zu finden sind und etwa nur ein Drittel in West.
Für die von mir gefundenen Schiffshäuser kann ich für eine 100%ige Erfassung nicht garantieren.
Viel Spaß beim frühlingshaften Schiffshäuserbummel durch Radebeul!
Dietrich Lohse