Gedenkblatt für Annette Karnatz 3. Mai 1970 – 3. Mai 2025

Foto: K. (Gerhardt) Baum

Annette Karnatz geb. Hinz, deren Leben an ihrem 55. Geburtstag nach langer Krankheit viel zu früh endete, war es vergönnt, bereits in jungen Jahren eine verantwortungsvolle Position zu bekleiden. Schon während des Studiums an der Fachschule für Archivwesen in Potsdam war ihr Berufsweg ins Stadtarchiv ihrer Heimatstadt Radebeul vorgezeichnet, dessen Leitung sie, gerade 21-jährig, nach dem Studienabschluss 1991 übernahm. Ihre Vorgänger Paul Brüll (1892–1983), der die Akten der Stadt und ihrer Ursprungsgemeinden ab 1958 sicherte, ordnete und durch ein Findbuch erschloss, und Liselotte Schließer (1918–2004), die diese Arbeit ab 1981 fortsetzte und bald begann, das reiche Material in ihren heimatkundlichen Veröffentlichungen zum Sprechen zu bringen, waren jeweils erst im Rentenalter an diese Aufgaben herangetreten (worden). Nun hatte Radebeul erstmals eine einschlägig qualifizierte Archivarin, und diese be- und ergriff die sich bietenden Möglichkeiten beherzt und beharrlich.
Im Zuge der Reorganisation der Verwaltung nach der friedlichen Revolution von 1989 wurde das Stadtarchiv vom Staubfänger zum Sachgebiet im Hauptamt und sah sich gleich in den ersten Nachwendejahren mit einer Fülle neuer Aufgaben konfrontiert. Berge von Schriftgut waren zu sichten und gegebenenfalls zu übernehmen, zahllose Vermögensverhältnisse und Rentenkonten zu klären, Akten zu dekontaminieren und fachgerecht neu zu verpacken und nicht zuletzt auch Archivbenutzer mit tausenderlei Anliegen zu betreuen…
Annette Karnatz setzte sich mit Elan und zunehmendem Erfolg für eine angemessene räumliche, technische und personelle Ausstattung ihres Sachgebiets ein, brachte früh die computergestützte Inventarisierung und Erschließung der Akten und Sammlungen auf den Weg, ebenso die Sicherheitsverfilmung und bald auch die Digitalisierung bedeutender Bestände, etwa der historischen Fotos und – eines ihrer Steckenpferde – der stetig wachsenden Ansichtspostkartensammlung, der sonst kaum noch benutzbaren Karten und Pläne sowie – für die Heimatforschung von immensem Wert – der Lokalpresse von den Anfängen bis in die Gegenwart. Als ich das Radebeuler Stadtarchiv 2003 kennenlernte, war es bereits mustergültig organisiert und ausgestattet und damit vielen Archiven vergleichbarer Mittelstädte um Längen voraus. Mit der Eingliederung des umfangreichen Bauarchivs, einem Komplettumzug von den beengten Räumlichkeiten im »Albertschlösschen« in ein größeres Domizil im »Wasapark« und der Erschließung der aus dem Standesamt übernommenen älteren Personenstandsunterlagen des 19. und 20. Jahrhundert für die immer beliebter werdende genealogische Forschung seien nur einige der seitdem bewältigten Aufgaben angeführt.
Obwohl sie Radebeuls aktenkundige Vergangenheit kannte wie niemand sonst, blieb Frau Karnatz, bald Mutter von zwei Söhnen und neben der Arbeit noch in Fachverbänden aktiv, für eigene Forschungen wenig Zeit. Im Amtsblatt und gelegentlich auch in der ›Vorschau‹ publizierte sie einige Beiträge zu lokalgeschichtlichen Themen. Ein besonderes einschlägiges Herzensprojekt verfolgte sie jedoch über Jahre energisch und bis zum vorzeigbaren Ergebnis: das Stadtlexikon Radebeul, das zuerst 2005 und 2021 schon in 3., überarbeiteter und ergänzter Auflage erschien. Hierbei erwies sie sich einmal mehr als geschickte Organisatorin, brachte Heimatforscher und Geschichtsenthusiasten verschiedener Interessengebiete unter einen – ihren – Hut und legte Wert auf sorgfältige Redaktion und gediegene Aufmachung. Als leicht (auch per BürgerApp) zugängliches, facettenreiches und verlässliches historisches Handbuch für die Lößnitz wird dieses – ihr, wenn man so will, drittes Kind – noch lange wertvoll bleiben.
Wenn das Radebeuler Stadtarchiv in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft am dann wohl endgültigen neuen Standort, im sanierten ehemaligen Laborgebäude von Meda Pharma in der Stadtmitte, wieder in vollem Umfang nutzbar sein wird, werden seine Nutzer wie selbstverständlich davon profitieren, was Annette Karnatz in ihrem gut dreißigjährigen Wirken als Stadtarchivarin geleistet und angestoßen hat. Diejenigen, die sie als vielseitig interessierte, kompetente und immer ansprechbare Fachfrau erlebt haben, werden sie in guter Erinnerung behalten.

Frank Andert

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