Der Charme einer Radebeuler Siedlung der zwanziger Jahre

Foto: D. Lohse

Hier gemeint ist die aus 15 Gebäuden in offener Bebauung, darunter 2 Doppelhäuser, bestehende Siedlung in Niederlößnitz zwischen Dr.-Külz-Straße, Heinrich-Zille-Straße und Winzerstraße.

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Es sind doch ganz normale Wohnhäuser, wo soll denn da der Charme herkommen, fragt sich der Leser. Nun, zunächst durch die städtebauliche Anordnung. Das Areal ist locker mit zwei- oder dreigeschossigen Häusern, letztere etwa in der Mitte gelegen, bebaut. Die Haustypen mit Klinker- oder Natursteinsockeln verputzten Ziegelwänden und roten Walmdächern erscheinen erst mal ähnlich, beim genaueren Hinschauen sieht man dann Differenzierungen. Und sie lassen Platz für kleine Gärten und sonstige Begrünung. Man spürt, dass für die Siedlung menschliche Maßstäbe zugrunde gelegt wurden. Sie hatte ursprünglich einen zentralen, an der H.-Zille-Straße gelegenen Platz als Gemeinschaftsanlage mit Bänken und Großgrün, wo man sich vermutlich gern traf.

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Leider ist davon fast nichts

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übriggeblieben, weil seit den 60er Jahren (?) mehrere Reihen von Typengaragen da gebaut worden sind – jede Familie hatte inzwischen einen PKW, anders als in den 20er Jahren. Einzelne Garagen wurden auch zwischen den Häusern errichtet, was aber die Gärten verkleinerte. Die Bebauung mit Häusern in der 2. bzw. 3. Reihe wird durch Erschließungswege organisiert. Ein gewisser Charme ergibt sich aber auch durch die Verwendung verschiedener Gaupenformen, also kleineren Dachfenstern zur Belüftung und Belichtung der Wäscheböden. Nur wenige Dachräume dienten von Anfang an dem Wohnen, wie z.B. bei der Dr.-Külz-Str. 22. Da sind die Gaupen etwas größer geplant worden. Heute üblich gewordene Dachflächenfenster kannte man in den 20er Jahren noch nicht.
Diese Siedlung entstand seit 1924 durch Initiative der Baugenossenschaft Kötzschenbroda. Zu der Zeit, der erste Weltkrieg und die Inflation waren gerade vorbei, herrschte großer Bedarf an Wohnraum – gebraucht wurden einfache und doch solide gebaute Wohnungen. Balkone, Aufzüge und aufwändige Zierformen (Gründerzeit und Jugendstil waren vorbei) mussten entfallen. Heute würde man wahrscheinlich von sozialem Wohnungsbau sprechen. Das Areal war bis auf die Winzerstraße 27 (Baujahr 1874/76) unbebaut und bis zur Reblaus sicherlich für Garten- oder Weinbau genutzt worden. Von Abbrüchen auf dem Gelände der Baugenossenschaft ist nichts bekannt. Die in Schweizerhausform gebaute Winzerstr. 27, ein Kulturdenkmal, ist innerhalb der Siedlung inzwischen gut integriert. Wie gesagt, schmückendes Beiwerk an den Häusern war, ganz abgesehen von wirtschaftlichen Erwägungen, in der Epoche untypisch geworden. Die wenigen Gestaltungselemente wie Klinkerschäfte und -bänder, „gebrochene“ Fensterstürze (Expressionismus) und Fensterklappläden finden wir über die Siedlung verteilt. Bei einer Sanierung in den 2000er Jahren durften trotz Denkmalschutz Balkone in einheitlicher Form angebaut werden, was den Wohnkomfort erhöhte.
Die Baugenossenschaft Kötzschenbroda wurde 1941 in die GWG Radebeul (Gemeinnützige Wohnungs-Genossenschaft) übergeleitet. Nach 1990 konnten ein paar der Häuser, so Dr.-Külz-Str. 18/20, an Privat veräußert werden. Aktuell wurde 2025 das Wohnhaus der GWG Dr.-Külz-Str. 16 saniert. Als Eckhaus der Siedlung standen diese Arbeiten im besonderen Interesse von Vorbeigehenden. Während der Dachdeckerarbeiten fehlten aus technologischen Gründen für ein paar Tage die Gaupen, wurden aber dann doch genauso mit kleinen Satteldächern wiedererrichtet. Dass beim Bau der Siedlung verschiedene Gaupenformen zur Anwendung kamen, hängt wohl mit der relativ langen Bauzeit (von 1924 bis 1931) und auch mit den verschiedenen Entwerfern und deren „Handschriften“ zusammen. So finden wir hier außer den stehenden Gaupen mit Satteldach auch stehende Gaupen mit Schleppdach, liegende Gaupen mit abgeschrägten Flanken (sogen. Hecht) von unterschiedlicher Länge, Fledermausgaupen und kleine Dreiecksgaupen. Das macht m.E. den Reiz der Siedlung aus, man könnte hier schon von einer „Gaupenlandschaft“ sprechen. Die Baugenossenschaft hatte zunächst den Dresdner Architekten Willy Schubert mit den Entwürfen beauftragt (u.a. Dr.-Külz-Str. 24/26), dann kam noch das Kötzschenbrodaer Architekturbüro Gebr. Kießling (u.a. H.-Zille-Str. 20, 32 u. 34) dazu. Bei einigen Entwürfen gab es Hinweise vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz, die eingearbeitet wurden. Als ausführende Firmen sind hier die Baufirmen Moritz Umlauft, Adolf Neumann (Felix Sommer), Alfred Große und Paul Hentschel zu nennen.
In der Dr.-Külz-Straße 16 konnte ich mit einem langjährigen Mieter sprechen. Er bestätigte mir meine Vermutung, dass man auch heute noch gut in den Genossenschaftshäusern der 20er Jahre wohnen kann. Aber in der nahezu 100 jährigen Standzeit sind ja auch ein paar Verbesserungen eingetreten, so u.a. neue Gasheizungen statt der Kohleöfen und die o.g. Balkone.
Zur beschriebenen Siedlung gehören folgende Adressen: Dr.-Külz-Str. 16, 18/20, 22, 24/26, Heinrich-Zille-Str. 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32, 34 und Winzerstr. 25, 25a und 29. Diese Siedlung und weitere, über Radebeul verstreute Wohnungsstandorte der Genossenschaft bilden sozusagen einen wichtigen Pfeiler des Radebeuler Wohnungswesens. Von der guten städtebaulichen Wirkung und dem Charme kann sich jeder bei einem Spaziergang in Niederlößnitz selbst überzeugen.

Dietrich Lohse

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