Sascha Schneider – Zum 155. Geburtstag eines vergessenen Visionärs

Der Körperbildner aus St. Petersburg und seine Verbindung zu Radebeul

Am 21. September jährte sich zum 155. Mal der Geburtstag eines Künstlers, dessen Name heute nur noch wenigen geläufig ist – Gelegenheit also, ihn wieder einmal ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Sichtbar erinnert heute noch ein monumentales Wandbild in der Shatterhand-Villa („Der Chodem“), ein schlichtes Grab auf dem Loschwitzer Friedhof und eine Skulptur in Bad Schandau an ihn.
Rudolf Karl Alexander Schneider, der sich später Sascha Schneider nannte, erblickte 1870 in St. Petersburg das Licht der Welt. Schneider war ein Grenzgänger zwischen den Welten. Der kleingewachsene Künstler mit verkrümmtem Rücken – Folge eines Kindheitsunfalls – erschuf athletische Körperbilder von monumentaler Perfektion. Was ihn antrieb, war der Versuch, den menschlichen Körper zum Träger philosophischer Ideen zu erheben.
Die Begegnung mit Karl May
1903 traf der 33-jährige Schneider auf Karl May. Der Radebeuler Schriftsteller war elektrisiert: „Schneider ist der deutsche Michel Angelo“, schrieb May euphorisch an seinen Verleger Ernst Fehsenfeld.
Ab 1904 entwarf Schneider die Umschläge für Mays Spätwerk – „Im Reiche des silbernen Löwen“, „Ardistan und Dschinnistan“. Seine heroischen Figuren gaben Mays inneren Visionen endlich Gestalt.
Doch diese fruchtbare Zusammenarbeit fand ein jäher Ende: Nach Mays Tod 1912 lehnte der Verlag Schneiders Titelbilder ab. Die neuen Verleger empfanden seine symbolistischen, oft homoerotisch anmutenden Darstellungen als zu gewagt für die bürgerliche Leserschaft. So verschwanden Schneiders visionäre Illustrationen aus den Karl-May-Ausgaben.
Das revolutionäre Kraft-Kunst-Institut
1919 gründete Schneider in Dresden das revolutionäre „Kraft-Kunst-Institut“ – eine Synthese aus Atelier und Fitnessstudio, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus war. Hier entwickelte er Methoden, die als Vorläufer des modernen Bodybuildings gelten können. Seine Athleten trainierten nicht nur ihre Muskeln, sondern sollten lebende Kunstwerke werden.
Schneider ließ seine Schüler systematisch Körperübungen praktizieren, um antike Idealmaße zu erreichen. Im Albert-Theater postierten sie als tableaux vivants antiker Statuen. Arnold Schwarzenegger beschrieb 1977 seine Trainingsmethode so, wie Schneider sie 60 Jahre früher praktiziert hatte: sich selbst als Statue visualisieren und durch Training vervollkommnen.
Triumph und Verfolgung
1904 folgte die Berufung als Professor nach Weimar – ein unglaublicher Triumph. Doch 1908 erpresste ihn sein Lebenspartner wegen seiner Homosexualität. Paragraph 175 drohte mit Gefängnis. Schneider floh nach Italien, wo paradoxerweise seine produktivste Schaffensphase begann.
1912 wagte er die Rückkehr und stellte in Dresden aus. Der Skandal in einer prüden Epoche war unausweichlich: Das Albertinum lehnte seine Skulptur „Badende Knaben“ ab – sie rege „zur widernatürlichen Unzucht“ an.
Vermächtnis und Renaissance
Das dauerhafteste Zeugnis seines Schaffens steht heute in Bad Schandau: ein monumentales Glasmosaik in der Brunnenhalle.
Schneiders letzte Jahre waren geprägt von Krankheit. Am 18. August 1927 starb er während einer Schiffsreise bei Swinemünde, die Umstände seines Todes sind nicht ganz eindeutig..
Nach 1945 verschwand Schneider aus dem kulturellen Gedächtnis. Erst seit den 1990er Jahren erlebt er eine Renaissance: 2013 würdigte Weimar ihn als „Ideenmaler & Körperbildner“, 2024 restaurierte das Karl-May-Museum in Radebeul mehrere seiner Monumentalgemälde.
Heute steht Schneider an einer bemerkenswerten Schnittstelle: als Symbolist zwischen Tradition und Moderne, als Körperkünstler zwischen antiker Ästhetik und moderner Fitness-Kultur. Der vergessene Provokateur war auch ein solitärer Visionär.
Für Schneider-Interessierte ist Christiane Starcks umfassende Monografie (Tectum Verlag, 2016) eine sehr gute Wahl. Starck hat jahrelang in Archiven recherchiert und präsentiert auf 480 Seiten ein umfassendes Bild dieses (fast vergessenen) Symbolisten. Für einen ersten Einstieg oder bei begrenztem Budget eignet sich Annelotte Ranges Studie „Zwischen Max Klinger und Karl May“ (Karl-May-Verlag, 1999). Ihre Veröffentlichung bietet mit 164 Bildern und Fotos einen soliden wissenschaftlichen Überblick für nur 10 Euro. Range konzentriert sich besonders auf Schneiders Position zwischen akademischer Tradition und künstlerischer Innovation.

Volker Rönsch

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