Erinnerungen an Barbara Plänitz

Am 7. September 2025 verstarb in den frühen Nachmittagsstunden Barbara Plänitz. Sie wurde 72 Jahre alt. Zur Trauerfeier am 24. Oktober bot sich in der Radebeuler Friedenskirche ein ungewöhnliches Bild. Nahezu 300 Menschen waren gekommen, um von der Verstorbenen Abschied zu nehmen. Neben der Familie trauerten auch Freunde, Nachbarn, Kollegen, Tagesmütter, Klassenkameraden, Kommilitonen, Künstler und Kulturschaffende, ja sogar Bürgermeister und Stadträte. Die große Anteilnahme war überwältigend. Und so gestaltete sich die Trauerzeremonie in der Friedenskirche, der Trauerzug, die Grablegung und das anschließende Gedenken in den Räumen der Friedenskirchgemeinde ganz im Sinne der Verstorbenen, die zeitlebens eine offene, zugewandte, kämpferische, energische Persönlichkeit war, aber mitunter auch sehr unnachgiebig sein konnte. Die Pfarrerin Annegret Fischer und Barbaras Nachfolgerin in der Beratungs- und Vermittlungsstelle für Kindertagespflege im Familienzentrum, Britta Schöne, fanden warmherzige Worte. Ihre Enkelkinder hatten die Urne mit heiteren Motiven bemalt und das große Porträtfoto zeigte eine fröhlich lachende Barbara.

Barbara Plänitz und Karl Uwe Baum zur Diskussionsrunde im Bürgertreff auf der Bahnhofstraße, April 2016
Foto: K. (Gerhardt) Baum

Im Nachruf, den der paritätische Wohlfahrtsverband am 2. Oktober veröffentlicht hatte, wurde Barbara Plänitz als eine Pionierin der Kindertagespflege bezeichnet. Und weiter heißt es, dass ihr Vermächtnis daran erinnern möge, „wie wichtig engagiertes kinderorientiertes Denken ist – und wie viel Gutes entstehen kann, wenn Mut, Fachkompetenz und Menschlichkeit Hand in Hand gehen“.

Mir wurde zunehmend bewusst, dass ich viele Facetten von Barbara gar nicht kannte. Trotzdem war es mir ein wichtiges Bedürfnis, mit einem Beitrag in „Vorschau & Rückblick“ an Barbara zu erinnern, was mir aber eben nur aus meiner ganz persönlichen Sicht, so wie ich Barbara wahrgenommen und verstanden habe, möglich ist.

Barbara Helene Keller wurde am 23. November 1952 in Dresden-Loschwitz geboren. Sie war das einzige gemeinsame Kind ihrer Eltern, welche in zweiter Ehe miteinander verheiratet waren. 1954 zog die Familie nach Radebeul ins eigene Haus auf der Käthe-Kollwitz-Straße. Zu ihrer zehn Jahre älteren Halbschwester hatte Barbara zeitlebens eine enge Beziehung. Sie besuchte den Evangelischen Kindergarten auf der Wilhelm-Busch-Straße. Eingeschult wurde sie 1959 in die Polytechnische Oberschule „Martin Andersen Nexö“ (heute Grundschule Niederlößnitz). Das Abitur absolvierte Barbara an der Erweiterten Oberschule Radebeul (heute Gymnasium Luisenstift).

Die Mutter hatte als Krankenschwester nur wenig Zeit. Für den Vater, der 25 Jahre älter als ihre Mutter war, bedeutete die Geburt der Tochter noch einmal ein spätes Lebensglück. Von ihm erfuhr sie viel Zuwendung. Als er starb, war das für die damals Dreizehnjährige ein traumatisches Ereignis.

Ihren späteren Ehemann Christian lernte sie auf einem Ausflug der Jungen Gemeinde kennen. Das junge Paar bekam drei Kinder. Gleichzeitig sanierten sie das Haus und Barbara erwarb an der TU Dresden ihr Diplom in der Fachrichtung Informationsverarbeitung. Danach arbeitete sie u.a. im VEB Kombinat Robotron, war zeitweise Hausfrau und später auch als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis tätig. Der gesellschaftliche Umbruch eröffnete die Möglichkeit zur beruflichen Neuorientierung, eine Chance, die Barbara ergriffen hat. Sie studierte noch einmal und erwarb ihr Diplom als Sozialpädagogin.

Die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs ging mit einer sozialen Durchmischung einher. Unsere Wege begannen sich verstärkt zu kreuzen, jedoch ohne dass wir voneinander wussten. Zum Bindeglied wurde Kathrin Wallrabe. Sie war gerade nach Radebeul gezogen. In ihr Tagebuch schrieb sie1986: „Ich bin froh, dass wir auch neue Bekannte haben, durch die Galerie und durch die Gemeinde und uns nicht abkapseln.“

Kathrin engagierte sich sowohl im Galerieinteressenkreis als auch in der Familieninitiative. Da die „Kleine Galerie“, welche sich damals in Radebeul-Ost befand, aus allen Nähten platzte, hatten wir uns erfolgreich um ein Grundstück in Altkötzschenbroda bemüht. Auch die Familieninitiative war auf der Suche nach Räumen. Welche Kettenreaktion mein Hinweis auf das freie Nachbargrundstück auslösen sollte, kann man in Kathrin Wallrabes zweiteiligem Beitrag „30 Jahre „Fami“ in Radebeul – eine Chronik“ (Vorschau & Rückblick, 2020/März, April) nachlesen. Aber ein persönlicher Kontakt zu Barbara Plänitz hatte sich daraus noch immer nicht ergeben.

So bezogen schließlich die Familieninitiative (1994) und die Stadtgalerie (1997) die Grundstücke Altkötzschenbroda 20 und 21. Die kleine Pforte zwischen beiden Anwesen symbolisierte Offenheit und Gemeinschaftssinn.

Vorbereitungstreffen zur 22. Radebeuler Kasperiade in der Stadtgalerie, v.l.n.r. Birgit Schaffer, Karl Uwe Baum, Karin Schröder, Barbara Plänitz, Marion Arnold, Juni 2009
Foto: K. (Gerhardt) Baum

Der Bürgermeister von Moritzburg Jörg Hänisch als Gratulant zur Verabschiedungsfeier von Barbara Plänitz im Familienzentrum, Mai 2018
Foto: K. (Gerhardt) Baum

Diese Pforte sollte sieben Jahre später auch eine ganz praktische Bedeutung erlangen, als die damals herrenlose Radebeuler Kasperiade im Jahr 2004 vom Radebeuler Kulturamt übernommen wurde und in dem benachbarten Familienzentrum in Gestalt von Barbara Plänitz einen Partner für das Figurentheaterfest fand. Barbara hatte dann neun Jahre lang eine entscheidende Rolle als Mittlerin zum Familienzentrum und Koordinatorin der ehrenamtlichen Helfer gespielt. Ehemänner, Kinder und Freunde wurden mobilisiert. Auf Barbara konnte man sich in jeder Hinsicht verlassen.
Nun ließe sich noch Vieles aufzählen, was Barbara Plänitz initiierte oder woran sie mitwirkte. Die evangelischen Hauskreise der Kirche boten dafür einen anregenden Nährboden. Daraus erwuchs beispielsweise der Friedenskreis, in welchem sich Barbara widerständig engagierte. Vor allem aber trug sie über viele Jahre wesentlich zur Profilierung des Familienzentrums bei. Als der Schauspieler Herbert Graedtke, der langjährige Vorsitzende des Fördervereins Internationales Wandertheaterfestival, im Jahr 2024 verstarb, stellte sich Barbara ohne Zögern für diese Funktion zur Verfügung.

Sie engagierte sich u.a. in der IG Jazz und in der AG Kötzschenbroda. Barbara war Mitglied im Schillerverein Weimar-Jena e. V.. Gemeinsam organisierten wir das erste Straßenfest auf der Käthe-Kollwitz-Straße. Auch beteiligte sie sich an „Kunst geht in Gärten“. Viele Erinnerungen verbinden sich mit Ausflügen und Museumsbesuchen.

Barbara Plänitz hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzte sich für alles ein, wovon sie überzeugt war. Sie besaß den Mut, auch unangenehme Dinge anzusprechen. Dass das Lügenmuseum geschlossen werden soll, dass der Bahnhof in Radebeul-West zur Ruine verkommt und dass intakte Gebäude abgerissen werden, dafür hatte sie keinerlei Verständnis. Bewundert habe ich Barbaras Logistik, wie es ihr gelang, ganz ohne Auto bis in die entlegensten Winkel der Lommatzscher Pflege vorzudringen, um „ihre“ Tagesmütter vor Ort aufzusuchen. Die ganze Familie bewegte sich von A nach B zu Fuß, mit Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie war begeistert vom Samstags-Wochenmarkt und unterstützte den lokalen Einzelhandel. „Was willst Du“, meinte sie, „wir haben doch alles vor der Haustür: Fleischer, Bäcker, Apotheke, Drogerie, Reformhaus, Modegeschäft, Bettenhaus, Schmuckgeschäft, Eisdiele, Schuhgeschäft, Uhrmacher, sogar zwei Buchhandlungen und ein Antiquariat.“

Kulturell war sie vielseitig interessiert, ja man kann sagen, dass sie eine „Kulturgroßverbraucherin“ war. Das Spektrum umfasste Schauspiel, Oper, Ballett, Literatur, Klassik, Jazz, Film und Bildende Kunst. So organisierte sie über viele Jahre die Ausstellungen im Café des Familienzentrums und hatte gar ein Premierenanrecht bei den Landesbühnen Sachsen.

Mit Barbara ist für mich ein Stück Heimat verlorengegangen. Sie gehörte zu den Menschen, die noch lesen, Radio hören und Briefe schreiben, die die Kultur nicht nur konsumieren, sondern auch darüber diskutieren wollen, die man spontan besuchen kann und die immer ein offenes Ohr haben. Oft saßen wir zusammen in der Wohnküche mit der gemütlichen Eckbank und der Tür zum Balkon, wo der wilde Wein im Laufe des Jahres vom zarten Grün bis ins weinrot wechselte, das Haus schützend, wie schmückend umhüllte und im Sommer Schatten spendete. Zu den Ritualen gehörte es, den Apfelmus in Strömen aus der „Flotten Lotte“ quellen zu lassen, selbsterfundene Theaterstücke von und mit der Familie und Freunden aufzuführen, gemeinsam und ausgiebig mit den Enkelkindern allerlei Spiele zu spielen, zur Weihnachtszeit mindestens zehn Sorten Kekse zu backen und die Alpenveilchen im Doppelfenster zu drapieren. Sie liebte es, zu besonderen Anlässen in der „guten Stube“ das „gute Geschirr“ für ein Mehrgänge-Menü aufzutragen, selbstverständlich mit weißer Tischdecke, frischen Blumen und Stoffservietten. Sie freute sich, wenn sie anderen eine Freude machen konnte. Sie ließ sich für Neues begeistern und schmiedete immerfort Pläne. Ideenzettel fanden sich in der Wohnung überall. Das Wegschmeißen fiel ihr schwer und was noch funktionierte, wurde be- und erhalten. Barbara war ein Genussmensch. Sie liebte das Bilz-Wellenbad und die Anlage von Schloss Wackerbarth. Oft war sie dort mit den Enkelkindern und hätte wohl gern noch eine Weile erlebt, wie sie aufwachsen.

Als wir am 1. Dezember 2024 mit den Geburtstagsgästen zur Doppel-Feier von Barbara und Christian Plänitz in geselliger Runde zusammensaßen, ahnte keiner, dass sich nur wenige Tage später, alles schlagartig ändern sollte. Der Diagnose Hirntumor folgten eine Operation und die sechswöchige Chemotherapie. Zwischen Hoffen und Bangen vergingen neun Monate. Solange es Barbara möglich war, zeigte sie aufmerksames Interesse an allem, was um sie herum geschah. Am 14. Januar mailte sie mir „Bin gerade nicht so stark, um zu kämpfen.“ Und ich antwortete „Liebe Barbara, Du kämpfst doch gerade sehr, nur diesmal für Dich und das ist wichtig.“

Barbara wurde von der Familie und Freunden liebevoll umsorgt. Die verbindenden Fäden liefen bei der Tochter Margret und ihrem Mann zusammen. Barbara wurde beschenkt mit Zuwendung, Zärtlichkeit und Zeit. Es wurde vorgelesen und gesungen. Doch die Spaziergänge wurden immer kürzer. Mitbringsel wie Blumen, Kuchen, Früchte und sogar gehäkelte Mützen sollten sie sie ein wenig erfreuen. Alle wollten etwas von dem zurückgeben, was sie von Barbara in so reichem Maße empfangen haben.

Auch der Humor spielte im Alltag von Barbara eine wesentliche Rolle. Ihr herzhaftes Lachen werde ich wohl nie vergessen. Erst neulich entdeckte ich eine Karte von ihr, mit folgender Botschaft:

Insbesondere für Dich, liebe Karin:
„Man kann nur
verstehen im Gefühl,
nur gestalten im Gewühl:
darum sind die großen Geister
im Chaos Meister.“

Gerhart Hauptmann

und herzliche Grüße von Barbara

Karin (Gerhardt) Baum

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