Meine Schulwege in Radebeul

Gelegentlich waren hier kurze Schilderungen von Schülern und Schülerinnen über ihren aktuellen Schulweg zu lesen gewesen, ich kann mich daran erinnern. Aber wenn ich mein Langzeitgedächtnis bemühe, habe auch ich Erinnerungen an meine Schulwege und die Schulen in den 50er und 60er Jahren – wie war das damals?

Oberlößnitzer Schule, seit 1992 Grundschule Oberlößnitz
Foto: D. Lohse


Lang, lang ist es her, dass ich mit dem Ranzen auf dem Rücken durch die Straßen von Radebeul nacheinander zu drei Schulen gelaufen und später auch gefahren bin. Ich wohnte in der Zeit mit meinen Eltern und meinen Brüdern in der Einsteinstraße, nahe bei der Gaststätte „Zu den Linden“ in Radebeul Ost. Im September 1951 wurde ich in die Oberlößnitzer Grundschule, die später, als dann die Plattenbauschule stand, die „kleine Oberlößnitzer“ hieß, aufgenommen. Von Zuhause war es ein kurzer Weg beim Bäcker Bär (heißt heute Heinze) vorbei in die August-Bebel-Straße und da weiter bis zur Marienstraße, da ein Stück die Hausnummern abwärts bis zur Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße) und diese aufwärts. Läden spielten beim Schulweg damals kaum eine Rolle, man hatte ja wenig Taschengeld. Hier hinderte mich dann bald ein hoher, grüner Bretterzaun, der die Russenkaserne weiträumig eingrenzte, die eigentlich aus besetzten Villen bestand, weiter bis zum Augustusweg zu gelangen – hier durften Deutsche nicht rein. Ich musste also auf der Maxim-Gorki-Straße und der Eduard-Bilz-Straße das Sperrgebiet umgehen. Das Sperrgebiet bestand etwa bis Anfang der 60er Jahre. Am Rondell, einem kaputten Springbrunnen, stieß ich dann endlich auf den Augustusweg und ging da noch ein kleines Stück in westlicher Richtung bis zur Bennostraße, wo die Schule steht. Die Wegstrecke von knapp zwei Km verlief in einem Zickzack-Kurs, war aber für einen Erstklässler gut zu bewältigen. Später, als ich ein paar Freunde in der Klasse gefunden hatte, trafen wir uns in der Goethestraße, was zwei Ecken mehr Weg bedeutete. Einige Namen von Schülern fallen mir noch ein: Carola L., Fritz B. und Dieter M.. Die „kleine Oberlößnitzer“ empfand ich als eine gemütliche Schule, sofern meine Erinnerung stimmt. Der Schule stand Herr Schliedermann als Direktor vor – aus meiner Sicht eine geachtete Persönlichkeit! Unsere Klassenlehrerin für etwa 30 Schüler war Frau Senning gewesen, eine ganz junge Lehrerin. An diese Lehrerin konnten wir uns alle gut gewöhnen, sie hatte fast eine mütterliche Ausstrahlung. Verheiratet hieß sie dann Reichert und sie verließ die Schule. Mathe lehrte Herr Ramm, Erd- und Heimatkunde Herr Olschock. Letzterer war eigentlich Pfarrer gewesen, hatte aber eine Umschulung als Neulehrer durchlaufen. Sein Unterricht war locker und unterhaltsam. Wer Lust hatte, konnte nachmittags in seine AG (Arbeitsgemeinschaft) Heimatgeschichte kommen. Die Teilnahme erstreckte sich über mehrere Altersgruppen und Klassenstufen. Da wurde wohl der Grundstock für meine spätere Tätigkeit gelegt. In diesem Rahmen fanden einmal im Jahr Exkursionen statt – mir fallen gerade noch die Ziele Moritzburg, Großsedlitz und Rochsburg ein. Eine tolle Zeit, kann sich vielleicht außer mir noch jemand an die AG erinnern?

In einem sehr strengen Winter, es könnte 1952/ 53 gewesen sein, hatten wir Unterricht in einem Ausweichsquartier auf der Gysaestraße (heute Bergblick) und auch im ehem. Bilz-Sanatorium auf der Eduard-Bilz-Straße. War die Heizung der Schule ausgefallen oder fehlte Heizmaterial? Ich weiß es heute nicht mehr. Bis zum Bergblick zu laufen, bedeutete aber eine Verdopplung meines Schulwegs. Beim Abschied morgens hatte Mutter immer betont: geh stets auf dem Fußweg! Aber gegenüber heute war der Verkehr sehr überschaubar, alle Stunden kam mal ein Auto (vielleicht eines mit „Holzvergaser“), ein Pferdefuhrwerk oder jemand mit Handwagen, das war`s. Dann, es war wohl 1955, kam ein amtlicher Brief an die Eltern, der für mich Folgen hatte. Wegen einer offiziellen Schulbezirks-Neueinteilung mussten ein paar Schüler meiner Klasse ab sofort in die Schillerschule Radebeul, Ernst-Thälmann-Straße (heute Hauptstraße) gehen. Da halfen auch die Proteste der Eltern nichts. Der neue Schulweg war mit etwa 1 km zwar kürzer, aber ich konnte mich schwer an die neuen Gesichter und den „großen, grauen Kasten“ gewöhnen und vermisste die „kleine Oberlößnitzer“ mit der Mehrzahl meiner Freunde. Langsam lernte ich die neuen Schüler und auch die Lehrer kennen und konnte mich dann an die Situation gewöhnen. Wenigstens gehörte ich noch eine Zeit lang der AG Heimatgeschichte bei Herrn Olschock an – tröstlich! Der kürzere Schulweg hatte nur eine Tücke, man musste die zunehmend stärker befahrene Stalinstraße, später Wilhelm-Pieck-Straße (heute Meißner Straße) mit Straßenbahnverkehr queren – Ampeln oder Zebrastreifen gab’s damals ja noch nicht. Wenn ich also über die Meißner Straße gegangen war, kam dann die ruhigere Rathenaustraße, der ich bis zur Wichernstraße folgte, dann nach rechts bis zur Hauptstraße und ich hatte die Schule fast erreicht. Von meinen neuen Schulkameraden habe ich mir noch die Namen Eckehard H., Günter Th. und Regine K. gemerkt, sie waren auch ganz nett. Der Direx hier war Herr Streubel, der stolz darauf war, ein Altkommunist zu sein. Er hat aber für einen normalen Betrieb an der Schule gesorgt, an Probleme erinnere ich mich nicht. Mathe gab hier Herr Teubert, der ein Bein etwas nachzog, wohl eine Kriegsverletzung. Sein Unterricht ist mir gut erinnerlich, weil er ein toller Pädagoge war, einen interessanten Unterricht bot und alle in der Klasse erreichte. Anders war es bei Herrn Walter, bei dem wir wohl Geschichte (?) lernen sollten. Er flocht immer mal wieder Kriegserlebnisse ein und hieß heimlich der „Panzerschreck“. Das Kriegsende lag etwa 13 Jahre zurück, da litten einige Menschen noch unter einem Kriegstrauma. Der Biologielehrer, Herr Richter, hatte für uns eine andere Spezialität: die „Pflanze der Woche“. Das war schon auch eine Wissenserweiterung.

Das bis dahin Gelernte reichte 1959 für den Übergang zur Erweiterten Oberschule, dem heutigen Gymnasium. Das ehemals kirchliche Luisenstift in der Straße der Jugend war seit 1870 eine reine Mädchenschule gewesen, bis in den 30er Jahren in der dann staatlichen Schule auch Jungen aufgenommen wurden. Das altehrwürdige Gebäude flößte den Neulingen der 9. Klassen schon etwas Respekt ein. Aber das Schöne war, dass ich hier ein paar alte Bekannte aus der Oberlößnitzer Schule wieder traf, u.a. Gunter St.. Ja, der Schulweg war mit ca. 3 km etwas länger geworden, aber kein Problem für 14- bis 15- jährige Schüler. Von Frühjahr bis Herbst konnte ich die Strecke immer mit dem Rad fahren – wenn`s schnell gehen musste fuhr man die Wilhelm-Pieck-Straße und dann die Paradiesstraße hoch bis an die Schule in Niederlößnitz. Etwas gemütlicher war die alternative Strecke über August-Bebel-Straße, Maxim-Gorki-Straße, Nizzastraße und noch ein Stück die Paradiesstraße bergauf. Wenn der Winter strenger ausfiel, lohnte sich eine Monatskarte und die Fahrt mit der Straßenbahn (ich glaube, es war damals die Linie 15) und einen halben Kilometer laufen bis zur Schule. Meine Klasse hieß 9 B1, was bedeutete, dass wir kein Latein, sondern Englisch als 2. Fremdsprache hatten. Russisch war die Pflicht-Fremdsprache. Und wir hatten einmal im Monat UTP (= Unterrichtstag in der Produktion). Was für uns hieß, dass wir zur LPG Gohlis über die Elbe fahren durften. Das Spannende dabei war die Überfahrt auf der Fähre an der Gohliser Windmühle, die längst den Betrieb eingestellt hat – schade! Mal war das anstrengend, mal interessant und mal langweilig, aber es musste sein. Nartürlich hatte auch diese Schule einen Direktor, das war die ganze Zeit über Herr Tonn – ein meist gestrenger Herrscher mit gelegentlich menschlichen Zügen. Später hatte ich Deutsch bei ihm. Das Fach Chemie lehrte uns Frau Dr. Reimann – noch „alte Schule“! Wenn eine Klassenarbeit geschrieben wurde, kam es schon mal vor, dass sie auch als ältere Lehrerin ihren Stuhl auf’s Katheter hob, um da sitzend aufzupassen, dass keiner spickt. Auch Fritz Thönen blieb mir als prima Lehrer im Fach Musik in Erinnerung, obwohl ich da nicht so glänzte.

1960 wurde ich plötzlich schwer krank und musste an der Schilddrüse operiert werden, was fast ein halbes Jahr Schulausfall bedeutete. Die Folge war, dass ich in die nachfolgende Klasse 10 B1 einstieg und schon wieder neue Schüler kennen lernte. Der Schulweg blieb aber der Gleiche. Ein Bekannter, ein „Schrauber“, hatte ein Dreiertandem gebaut und wir – Christian H., Claus M. und ich – hatten es geborgt, um als Gaudi damit einmal in die Schule zu fahren. Aber das Gaudi kam anders als wir dachten. Auf der Nizzastraße (alles voller Schlaglöcher) fuhren wir rüber auf den Fußweg, der besser war. Die Länge des Rades und der Schwenk von der Straße her bewirkten, dass alle Drei mit der rechten Schulter schmerzhaft einen Holzzaun berührten, der dann umfiel. Am Nachmittag waren wir so zu einer Sonderschicht verpflichtet, bis der Zaun wieder stand. Heute unvorstellbar, weil die Nizzastraße inzwischen in besserem Zustand ist.

Als unsere Klassenlehrerin fungierte Fräulein Schiel, bei der wir Geografie und z.T. Sport hatten. Komisch, damals galt der Begriff „Fräulein“ für’s ganze Leben, wenn man nicht verheiratet war. Wir hatten erfahren, dass sie vor 1945 verlobt gewesen war, der Bräutigam aber aus dem Krieg nicht heim gekommen war, damals leider kein Einzelfall. Wir mochten sie gern und hatten sie auch nach dem Abi immer mal getroffen oder eingeladen. In dieser für mich neuen Klasse hatte ich auch meine Tanzstunden-Dame Renate T. gefunden, man kennt sich heute noch! Unsere 12 B1 erreichte 1964 das Abitur, für viele, auch für mich, die Grundlage für ein Hochschulstudium. Damit wurden die Schulwege gleich viel, viel weiter, was aber hier das Thema meines Artikels sprengen würde.

Dietrich Lohse

PS.: Da ich nicht alle hier erwähnten Schüler fragen konnte, ob deren voller Name genannt werden darf, habe ich jeweils nur ein Kürzel verwendet, auch um eventuellen juristischen Komplikationen aus dem Wege zu gehen.

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Ein Kommentar

  1. Harald Wennerlund
    Veröffentlicht am Mo., 1. Dez.. 2025 um 14:31 | Permanenter Link

    Wieder ein sehr gelungener Beitrag, werte Herr Lohse.
    Besonders der Abschnitt „Schillerschule“ hat Erinnerungen bei mir geweckt. Ich wurde dort 1958 eingeschult. An Direktor Streubel kann ich mich gut erinnern, genauso an Herrn Teubert, bei dem wir neben Mathe auch Chemie hatten. Ein sehr angenehmer Lehrer.
    Nachfolger von Streubel wurde Herr Wermer als Direktor. Er gab auch Geschichtsunterricht und berichtet, dass er an der Panzerschlacht im Kursker Bogen beteiligt war.
    Ev. meinen Sie mit „Panzerschreck“ diesen?
    Einen Herrn Richter hatten wir auch, der war aber Russisch- und Erdkundelehrer. Sicher nicht mit dem genannten identisch. Bio hatten wir bei Frau Schwarze.
    Dann gab es u.a. noch Herrn Hopf! Das ganze Gegenteil von Altkommunist (sagte man!!), etwas brutal. Er gab Sport und auch Erdkunde. Mit ihm sind wir z.B. zum Schwimmunterricht in die Schwimmhalle nach Klotzsche gefahren.
    Soweit meine spontanen Erinnerungen.
    Danke für diesen Beitrag.
    Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für Weihnachten und vor allem ein friedliches neues Jahr 2026!!
    Harald Wennerlund

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