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Historisches aus Radebeul

Immer wieder bestätigen Sie uns, liebe Vorschau-Leser, wie groß ihr Interesse an heimatgeschichtlichen Themen ist. Von Beginn an haben sich unsere Autoren, allen voran Liselotte Schließer, bemüht, diesem Interesse durch abwechslungsreiche und sachkundige Beiträge zur Radebeuler Geschichte Genüge zu leisten, und das soll auch in Zukunft so bleiben. In diesem Jahr wird ein Schwerpunkt der historischen Rubrik auf der Industriegeschichte Radebeuls liegen, denn so unbestreitbar wichtig Weinbau und Kunst, Adelssitze und Villenarchitektur, Bllz, May, von Schuch und viele(s) andere für die Entwicklung der Lößnitzgemeinden auch waren, der mächtigste Verstädterungsimpuls ging von der Ansiedelung und dem Aufschwung der Industrie seit der Gründerzeit aus. Das Geld, das in der Gartenstadt nördlich der Meißner Straße ausgegeben und investiert werden konnte, wurde zum großen Teil südlich davon verdient. Manches Unternehmen von nationalem, ja Weltrang erlebte in Radebeul seine Blüte, und manche Radebeuler Fabrik mit einstmals Hunderten Beschäftigten ist heute kaum noch dem Namen nach bekannt. Daß sich die Rauchschwaden aus den Fabrlkschornsteinen weitgehend verzogen haben – der eine wird es begrüßen, der andere bedauern. Um einer Stellungnahme zu dieser Frage aus dem Weg zu gehen, begibt sich unser Autor Frank Andert diesmal auf die Spur einer Firma, die vielleicht keine Wohlgerüche ausströmte, wohl aber welche produzierte.

Lilienmilch für die Welt.
Vor 120 Jahren wurde die Feinseifenfabrik Bergmann & Co. gegründet.

Gold wert ist ein zartes reines Gesicht, rosiges jugendliches Aussehen, weiße sarnmetweiche Haut und blendend schöner Teint. Alles erzeugt die allein echte Steckenpferd-Lilienmilch-Seite von Bergmann & Co. Radebeul.“ So warb vor hundert Jahren Radebeuls erstes Kosmetikunternehmen für sein Spitzenprodukt. Im Jahr 1885 hatten die Brüder Bruno und Alexander Bergmann auf der Nordstraße 11 in Dresden mit zunächst zwei Mann und drei Mädchen Belegschaft eine kleine Seifenfabrikation gegründet. Die industrielle Feinseifenproduktion war zu diesem Zeitpunkt ein noch junger Industriezweig. Das Prinzip der Seifenherstellung durch das Sieden von Ölen mit Pflanzenasche War zwar bereits den Babyloniern um 2500 v. Ohr. bekannt gewesen, doch wegen des Rohstoffmangeis war Seife bis ins 19. Jahrhundert ein kostbares, parfümierte Toilettenseife gar ein Luxusgut. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, als der Welthandel kostengünstig hochwertige Fettrohstoffe wie Palm- und Kokosfett bereitstellte und Verfahren zur großtechnischen Herstellung von Soda entwickelt waren, wurde Seife erschwinglich und bürgerte sich allgemein als Körperhygiene- und Waschmittel ein. Der Seifenkonsum, für Justus von Liebig „Maßstab für den Wohlstand und die Kultur der Staaten“, nahm rasant zu, was günstige Startbedingungen für entsprechende Firmengründungen schuf- vorausgesetzt, man fand die richtige Mischung aus Grundseife, Farb- und Geruchsstoffen.
Bergmanns Rezeptur der Lilienmilch-Seife, einer „blütenweißen Feinseife“, die, wie es im Radebeuler Tageblatt anerkennend hieß, „auch bei härtestem Wasser einen wunderbar sahnigen Schaum spendete und wegen ihres frischen Duftes allgemein beliebt war“, entwickelte sich zum Erfolgsrezept, oft kopiert und nie erreicht. Die Fama will, dass es bald zum Steckenpferd der guten Dresdner Hausfrau wurde, nur noch Bergmann-Seife zu verlangen, und Bergmann & Co., dieser Wortspielerei wegen, die Schutzmarke „Steckenpferd“ eintragen ließen. Wegen der großen Nachfrage wurde schon 1889 ein Fabrikneubau erforderlich. in Anbetracht der billigen Bodenpreise und der günstigen Verkehrsverhältnisse entschieden sich die Brüder für einen Standort im noch jungen Radebeuler Industriegebiet an der Leipziger, heute Meißner Straße, damals noch eine beschauliche Lindenallee, über der sich die Baumkronen trafen. Etwa zur gleichen Zeit wurde eine erste Zweigfabrik im österreichischen Tetschen eröffnet, weitere Filialbetriebe entstanden 1891 in Zürich, 1910 in Brüssel, 1912 in Holland und 1918 in Warschau.
Der eigentliche Kopf der Firma war Bruno Bergmann (1842-1929), ein „Kaufmann und Arbeiter von seltener Begabung und Ehrenhaftigkeit“, wie es in einem Nachruf heißt. 1892 trat sein Neffe Alfred Bergmann (1864-1928) in die Geschäftsleitung ein, und kurbelte als „Meister der propagandistischen Organisation“ die Werbung des Unternehmens kräftig an. Neben Zeitungsannoncen und Plakaten gab die Firma u.a. eine Fülle von Werbemarken aus, z. B, mit Märchenmotiven, Szenen aus Schillers Dramen oder Abbildungen der schönsten deutschen Burgen und Schlösser. Selbst die Musik wurde in Dienst genommen: um 1905 erschien im Berliner Musikverlag Metropol der dem Radebeuler Unternehmen gewidmete Schlager „Mein Steckenpferd“ von C. Alfredy. Der Aufwand zahlte sich aus; bis zum Weltkrieg schwamm das Steckenpferd auf der Welle der Konjunktur, und mit den ansprechend geprägten Seifenstücken, hierzulande a 50 Pf. in jeder Apotheke und Drogerie zu haben, wurde auch der Name ihres Herkunftsortes über Deutschland hinaus bis nach Ägypten und Indien bekannt. Am 30. Juni 1902 ernannte der sächsische König die Inhaber zu offiziellen Hoflieferanten. Das Stammhaus, heute Hellerstraße 23, musste 1895, 1904 und abermals 1910 erweitert werden. Die Belegschaft, die zum größten Teil aus Dresden kam, wuchs entsprechend. Bei der ersten Fabrikarbeiterzählung 1894 standen im Radebeuler Werk 31 Arbeiter in Lohn und Brot, 1905 waren es schon 75, 1915 fast 100; der Frauenanteil lag immer deutlich über 50 %. Das Betriebsklima war gut, nicht zuletzt, weil nach \/Verladung jeder 100.000. Seifenkiste ein „Kistenfest“ mit Dampferfahrt und Umtrunk winkte. Ab 1914 ging es dann zunächst mit der Seife, später auch mit der Firma bergab; bis 1921 war die Versorgung mit dem für die Lilienmilch erforderlichen Palmöl unterbrochen, der Ersatz ließ viele Wünsche offen. Nach der Enteignung der Werke in Belgien und Holland wurde das Stammwerk ausgebaut
1923, als Walter und Curt Bergmann, die Söhne der bisherigen Direktoren, den Betrieb übernahmen, überschritt die Zahl der Beschäftigten zum ersten Mai die 200. Kaum hatte sich die Bergmann & Co, wirtschaftlich erholt, wurde das Radebeuler Werk 1934 durch ein Feuer schwer beschädigt. infolge der Rohstoffbewirtschaftung im zweiten Weltkrieg verschwand die Lilienmilchseife 1939 erneut aus den Regalen und wurde durch sogenannte RlF-Seife ersetzt. Der stark mit Porzellanerde gestreckte, minderwertige Ersatz war eher zum „Peeling“ als zum Waschen geeignet, was die Volksgenossen durch die Umdeutung von RIF (eigentlich „Reichsstelle für industrielle Fettversorgung“) in „Reinlichkeit ist Frevel“ kommentierten. 1945 waren schließlich auch die letzten Filialbetriebe verloren, die Radebeuler Produktion wurde aber schon wenige Tage nach Kriegsende wieder aufgenommen. Die Inhaber blieben in Radebeul, einer von ihnen engagierte sich sogar aktiv beim politischen Neuaufbau, wurde stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher und Kreisverbandsvorsitzender der CDU Dresden-Land. Die unternehmerfeindliche Stimmung veranlasste ihn 1950 aber schließlich doch, die DDR zu verlassen. „Seifen-Bergmann“ ging daraufhin in treuhänderische Verwaltung über und wurde Anfang 1954 mit der Kernseifenfabrik „Raseifa“ zum VEB Steckenpferd vereinigt, zumindest das Logo blieb erhalten. Dass der Name Steckenpferd-Radebeul vier Jahre später DDR-weit aus jeder Zeitung grüßte, lag weniger daran, dass ab dem zweiten Quartal 1954 die Lilienmilch wieder zu schäumen begann, als an einer geschickt inszenierten Wettbewerbskampagne. Zum Dank für die Abschaffung der Lebensmittelkarten wollte die Belegschaft, wie das Oktoberheft der „Vorschau“ 1958 lobend vermerkte, „ihr besonderes Vertrauen zur Regierung und der Partei der Arbeiterklasse“ bekunden und beschloß, wohl in Erinnerung an frühere „Kistenfeste“ auf der Elbe: „Erhöhen wir unseren Exportplan! Steckenpferd-Devisen für einen 10.000-Tonnen-Frachter.“ Im Geiste Adolf Hennekes und der Gebrüder Grimm konnte die Produktion „gemessen an den Zahlen des Privatbetriebes [. . .] auf das 27fache“ gesteigert werden [Fußnote: im April 1959 berichtete die „Vorschau“, die Quartalsproduktion habe 1953 bei elf und 1959 bei 20 t Seite gelegen.] und nicht mehr 5.2, sondern über 70 % gingen in den Export nach 23 Ländern. Im Ergebnis standen allein 1958 rund 100.000 $ Exporterlöse über Plan zu Buche. Aus dieser Initiative formte sich mit regierungsseitiger Starthilfe die „Steckenpferd-Bewegung“, die von über 1.500 DDR-Betrieben aufgegriffen wurde und schon im ersten Jahr Devisen im Gegenwert von 200 Mio. Mark einbrachte. Die Handelsmarine der DDR konnte von diesem Geld fünf gebrauchte Frachter erwerben, von denen einer im Januar 1959 den Namen „Steckenpferd“ bekam. Für den Rest des Geldes wurden 10.000 t Südfrüchte, 2.800 t Kaffee, 750.000 Paar Lederschuhe, 6.800 Motorräder, 5000 Fernsehgeräte und 4.750 Personenkraftwagen eingeführt. Der VEB (K) Steckenpferd Seifen- und Kosmetikwerk, Radebeul 1, so die volle Bezeichnung, erhielt am 23. Februar 1959 den
Orden „Banner der Arbeit“. ln den folgenden Jahren vergrößerte sich die „Steckenpferd-Flotte“ auf neun Schiffe, darunter das FDGB-Traumschiff „Völkerfreundschaft“. Kaum war die „Wanderfahne des Ministeriums für Leichtindustrie“ weitergewandert, nahm das Schicksal des mittlerweile 80lährigen Unternehmens eine seltsame Wendung. Noch 1960 waren im Siebenjahrplan der DDR umfangreiche Baumaßnahmen für eine Erweiterung der Radebeuler Seifenproduktion vorgesehen, die Belegschaft sollte von 279 (1962) auf 600 wachsen. Fünf Jahre später wurde der Plan jedoch grundlegend geändert und die Seifenherstellung ab 1966 schrittweise nach Riesa verlagert. Die umgerüstete Radebeuler Fabrik stellte fortan als Zweigbetrieb des VEB Preßwerk Ottendorf-Okrlila Verpackungen und Baumaterial aus Schaumpolystyrol her. Nach der „Abwicklung“ 1991 wurde der Betrieb von der Schaumaplast Isolierstoffe GmbH aus Reiling übernommen. An die Lilienmilch von einst erinnern nur noch die Werbemarken. Die Wohlgerüche der Kölnisch- und Lavendel-, Gesichts-, Rasier- und Kopfwasser, Frisier- und Hautcremes, der Bade-, Kinder-, Creme- und anderer Seifen „in Einzelstücken oder in schönen Geschenkpackungen“ – nur ein Auszug aus dem ehemals breiten Steckenpferd-Sortiment – sind längst verweht. Die wieder aufgetakelte „Völkerfreundschaft“ kreuzte noch vor wenigen Jahren unter neuem Namen in der Karibik.

Frank Andert

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