ZEIT-Geist-Fragen 2

Millionärsstädtchen von Villenbesitzern inspiriert?

Wohl selten hat ein Beitrag so stark die Gemüter der Radebeuler erregt wie dieser. Und selten wurde so deutlich benannt, was West von Ost auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer zu unterscheiden scheint. Wie im Märchen (frei nach Aschenbrödel) werden die Reichen ins Töpfchen und in die Armen in Kröpfchen sortiert. Das Leben kann so einfach sein in Radebeul. Denn die Stadt hat etwas, was Deutschland seit langem nicht mehr hat: Eine Mauer, die entlang einer »Demarkationslinie« verläuft und sich Meißner Straße nennt. Sie trennt in unten und oben, in arm und reich, in Ost und West, in alt und neu. Das Leben kann so einfach sein, betrachtet man es von oben herab. Wäre da nicht dieses große Missverständnis: Die reichen Zugezogenen erwarten Dankbarkeit und die armen Eingesessenen verweigern diese. Die Zugezogenen definieren sich über ihren Besitz, die Eingesessenen über ihr maßloses Anspruchsdenken.

Geschrieben in schönster Eroberungsmanier, bedient der Artikel verstaubte Klischees aus der gutbürgerlichen Mottenkiste. Die dünkelhaft überzuckerten Parolen sind derart zugespitzt, dass sie nur als parodistisch polarisierende Kunststückchen begriffen werden können. Der Irrwitz findet sich nicht nur zwischen den Zeilen. Nein, man kann ihn auch schwarz auf weiß nach Hause (pardon, in die eigene Villa) tragen. Da wird behauptet »Die Villen sind das höchste Gut Radebeuls. Sie sind die stillen Herrscher der Stadt.« oder »Wer kein Haus hat, kann auch nicht mitreden.« Aber wer will schon mitreden, wenn das Gespräch keinen Inhalt hat? Und wer will sich schon gern von einem Immobilienmakler als Werbegag bei einer medienwirksamen Verkaufsaktion verwursten lassen?

Doch auch ein Immobilienmakler hat ein weiches Herz und ein feines Gespür für Kultur, was die Saga belegt. »Als er das erste Mal in die Stadt kam, im Winter 1990, war Beck von den Villen bezaubert. […] In seiner Heimat Hamburg war alles schon verteilt. Radebeul, der Osten, lag vor Jens Beck wie eine riesige leere Bühne. Er musste sie nur noch bespielen. […] Wenn sich die alten Eigentümer nur schwer von ihrem Heim lösen können, lässt Beck die Villen für sie malen.« Auch Gussy Hippold, eine Dix-Schülerin, zu deren 100. Geburtstag die Stadt Radebeul im März eine Ausstellung zeigen wird, hätte wohl ihre Freude daran gehabt zu lesen, dass sich in der Villa »Sorgenfrei«, wo sie mit ihrem Mann Jahrzehnte künstlerisch tätig war, die neue Radebeuler Elite zur »Pullerparty« trifft.

»Jens Beck hat zurzeit nur ein Problem: Die Häuser werden knapp. Der Kampf um die letzten Villen von Radebeul hat begonnen.« Und weiter heißt es im Text: »Die schönsten, größten Villen gehören fast alle Zugezogenen aus dem Westen.« Die Antwort der Bürger lautet: Na und? Die Villen wurden aufwendig saniert. Sie prägen das Bild der Stadt. Die Radebeuler – ob Einheimische oder Zugezogene – erfreuen sich beim sonntäglichen Spaziergang daran. Die kulturelle Szene lebt in und außerhalb der Villen, mit und ohne Hausmusik. Und sollte es eine »Demarkationslinie« geben, dann verläuft diese wohl eher in den Köpfen einiger Weniger. Nur gut, das sie nicht sichtbar ist!

Karin Gerhardt

[V&R 2/2010, S. 12f.]

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