Der Architekt und Freimaurer Oswald Haenel und seine Oberlößnitzer Villa

»Denken, was wahr, und fühlen, was schön, und wollen, was gut ist: Darin erkennet der Geist das Ziel des vernünftigen Lebens.« Diese Weisheit Platos hatte sich der Architekt Oswald Haenel zur Lebensmaxime erkoren, und sie ließ er auch an prominenter Stelle an der Fassade seiner von ihm selbst im Stile des malerischen Späthistorismus entworfenen Villa Weinbergstraße 40 in Oberlößnitz anbringen. Spaziergängern dürften jedoch eher die aufwendigen Malereien ins Auge fallen, wenn sie durch das grüne Holztor auf den erhabenen Bau blicken – die Granatäpfel über den Säulen des Balkons, die Siegesgöttin mit dem Spruchband und der »Zeremonienmeister« am Turmzimmer. Dass darin auch eine Botschaft steckt, erschließt sich nicht auf den ersten Blick.

Als Haenel die Villa 1894/95 durch die Firma Gebrüder Ziller errichten ließ, verfügte er bereits über fast drei Jahrzehnte Berufserfahrung. Am 12. September 1842 als Sohn des Königlich Sächsischen Oberlandbaumeisters Karl Moritz Haenel in Dresden geboren, hatte Oswald Johann Samuel Haenel nach dem Besuch der Gebhardt’schen Privatschule und der Neustädter Realschule 1860 ein Studium der Architektur aufgenommen. Bis 1863 lernte er am Königlich Sächsischen Polytechnikum Dresden und sammelte 1864/65 als Mitarbeiter im Architekturbüro Giese & Schreiber erste Erfahrungen in der Praxis. Von 1865 bis 1869 setzte er sein Studium an der Dresdner Kunstakademie im Atelier des Semper-Nachfolgers Georg Herrmann Nikolai fort und unternahm im Anschluss ausgedehnte Studienreisen u.a. nach Oberitalien, wo er offensichtlich nachhaltige Inspiration fand; auch sein Oberlößnitzer Domizil lässt noch den Einfluss der italienischen Villenarchitektur erkennen.

1871 gründete Oswald Haenel mit seinem ehemaligen Kommilitonen Bruno Adam ein eigenes Architekturbüro. Haenel übernahm dabei hauptsächlich künstlerische Aufgaben, Adam die geschäftlichen. Von den zahlreichen in der Zeit dieser Zusammenarbeit entstandenen Bauten sind leider nur wenige erhalten geblieben, darunter der 1875/76 ausgeführte Neubau des Großenhainer Rathauses, der Haenels Ruf als hervorragender Vertreter der deutschen Neorenaissance begründete. In Dresden entwarfen Haenel & Adam u.a. die im Zweiten Weltkrieg zerstörte komplette Bebauung am Sachsenplatz einschließlich der festungsartigen Jägerkaserne (1879/81). Nach der Trennung von Adam 1883 machte sich Haenel dann – von gelegentlichen Großprojekten wie dem Neubau der Königlichen Brand-Versicherungskammer am Dresdner Palaisplatz (1899) abgesehen – vor allem als Villenarchitekt einen Namen. Einige meisterhafte Beispiele dafür finden sich auch in der Lößnitz, darunter neben seiner eigenen die Fabrikantenvillen Clara-Zetkin-Straße 15 (1899, für Georg Gebler) und Schillerstraße 18 (1900/01, für August Koebig).

Von den zahlreichen Mitgliedschaften Oswald Haenels in Vereinen und Verbindungen sind einige von besonderer Bedeutung. Zu erwähnen ist seine Mitgliedschaft in der Freischlagenden Studentenverbindung »Polyhymnia« Dresden; für seinen Corpsbruder Fabrikdirektor Dr. Albin Jentzsch entwarf Haenel 1898/1899 die Villa Goethestraße 34 in Radebeul. Daneben war Haenel Mitglied im Dresdner Architekten-Verein, dessen Vorsitz er von 1896 bis 1898 innehatte, sowie der Dresdner und der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft. Am interessantesten jedoch ist seine Zugehörigkeit zur Dresdner Freimaurerloge »Zum Goldenen Apfel«. Am 4. November 1892 als Lehrling aufgenommen, bestand Oswald Haenel bereits 1893 die Gesellenprüfung, wobei er seine Ordensbrüder mit einem Vortrag über »den Architekten in seiner Beziehung zum Freimaurertum« beeindruckte. 1895 schließlich fand Haenels Meisterweihe statt; seine mit diversen Logensymbolen versehene Oberlößnitzer Villa stellte dabei mit großer Wahrscheinlichkeit sein Meisterstück dar.

Die Symbolik beginnt schon am Torbogen zur Straße. Dessen Schlussstein ist mit einer umgekehrten, abgebrochenen Säule mit Winkelmaß und Senkblei verziert, die die Umwandlung des rauen in einen behauenen Stein symbolisiert. Die abgebrochene Säule steht in der freimaurerischen Symbolik auch für das Ende, den Tod; durch ihre Umkehrung wird allerdings ein Neubeginn bezeichnet, welchen Haenel in seinem Beitritt zum Freimaurertum sah. Auch die zwei Säulen am südlichen Balkon des Hauses geben Material für Deutungen. Über den Säulen gelegene Fassadenmalereien, schmuckvolle Blüten, Granatäpfel und Ranken, legen nahe, dass es sich um eine Darstellung der Säulen Boas und Jakin des salomonischen Tempels handelt, welche bei Logentreffen sowohl als Zeichen für die geistige Verbundenheit der Freimaurer wie auch für die Polarität des irdischen Lebens stehen. Im Stuck, in den Deckenmalereien und den Bleiglasfenstern des Hauses sind immer wieder Lilien, Rosen, Lorbeer und Akazien zu erkennen, Pflanzen also, die in der freimaurerischen Symbolik für das Wissen um den Schatz der Weisheit stehen, der sich mit Schönheit und Heldentum paart. Die Außenmalereien des Turmzimmers zeigen auf der Südseite einen Zeremonienmeister, welcher traditionell ein Logentreffen von der Südseite aus eröffnet. Auf der Ostseite ließ sich Haenel vermutlich selbst darstellen, als schelmischer Hausgeist mit Architektenmappe unterm Arm. Das sollte möglicherweise Haenels Aufstieg innerhalb seiner Bruderschaft symbolisieren, denn die Meister der Loge nehmen bei den Treffen immer im Osten Platz.

Oswald Haenel bewohnte sein symbolträchtiges Haus, in dem er auch sein Büro unterhielt, nur für gut anderthalb Jahrzehnte. Am 22. Juni 1911 starb er nach langem Leiden in Dresden und wurde auf dem dortigen St.-Pauli-Friedhof beerdigt. Seine Oberlößnitzer Villa, die zu seinen gelungensten Arbeiten zählt, wurde 1912 vom Arzt und Historiker Dr. Walter von Bötticher (1853-1945) erworben (vgl. V&R 12/2003). Die aufwendige und mit viel Liebe fürs Detail durchgeführte Sanierung vor wenigen Jahren, die 2006 mit einem Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege prämiert wurde, hat diesem besonderen Baudenkmal seinen alten Glanz zurückgegeben.

Leonore Schicktanz

Bei Dr. Jens Wiedemann, der mit seiner Familie heute die Villa Weinbergstraße 40 bewohnt, möchte ich mich ganz herzlich dafür bedanken, dass er mir freundlicherweise seine umfangreiche Materialsammlung zu Oswald Haenel zur Verfügung gestellt hat.

[V&R 7/2010, S. 1-3]

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2 Kommentare

  1. Sebastian Schicktanz
    Veröffentlicht am Do, 15. Dez. 2011 um 09:28 | Permanenter Link

    Gut geschrieben! Respekt!

  2. Schmidt
    Veröffentlicht am So, 9. Mrz. 2014 um 12:36 | Permanenter Link

    Ein sehr interessanter Artikel Frau Schicktanz. Man hört viel zu selten etwas über die Hintergründe solcher schönen Villen. Herzlichen Dank auch an Dr. Wiedemann, ohne ihn dieser Artikel sicher nicht zustande gekommen wäre. Wir haben alle etwas dazugelernt und dafür herzlichen Dank.

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