Mehrgenerationenkomödie

Zur Premiere vom „Nackten Wahnsinn“ am 2./3. Februar in den Landesbühnen

Szene mit Dörte Dreger, Holger Uwe Thews, Sandra Maria Huimann, Anke Teickner, Sophie Lüpfert

Szene mit Dörte Dreger, Holger Uwe Thews, Sandra Maria Huimann, Anke Teickner, Sophie Lüpfert

Es gibt nicht viele kommerziell erfolgreiche Theaterstücke, deren Handlung darin besteht, dass sie de facto keine Handlung haben. In denen – gestatten Sie mir diesen Kalauer – Schauspieler als Schauspieler schauspielern. In denen das Publikum mit – Entschuldigung – Unterhaltungen unterhalten wird, für die es das Eintrittsgeld zurückfordern könnte, wenn – ja wenn es sich nicht um eine bewusst herbeigeführte Dekonstruktion dessen handeln würde, was eine professionelle Theaterproduktion ausmacht. „Der nackte Wahnsinn“ des Engländers Michael Frayn (1982 enstanden, in Radebeul jedoch in einer Neufassung von Ursula Lyn aus dem Jahr 2000 aufgeführt) ist eine jener Komödien, die seit drei Jahrzehnten landauf landab von Intendanten und Schauspieldirektoren als niederschwelliges Angebot aufs Programm gesetzt wird (aktuell ist dieses Stück u.a. auch in Göttingen, Kassel, Potsdam, Paderborn und Wiesbaden zu sehen), damit auch einmal eine komplette Großfamilie von Kindern bis zu Urgroßeltern gemeinsam Amüsement und Pläsier erfahren können. Allenfalls unterscheiden sich die Generationen darin, worüber und in welcher Lautstärke sie lachen, so wie es auch anlässlich der Premiere (Inszenierung: Stefan Wolfram) im nicht ganz ausverkauften Saal im Radebeuler Stammhaus der Landesbühnen zu beobachten und zu hören war. Kinder bis einschließlich Grundschulalter bejubeln die Geschwindigkeit der Abläufe, die vielen Tollpatschigkeiten und Slapstick-Einlagen (von denen sie nicht immer wissen, ob sie aus Versehen passieren oder nur gekonnt gespielt werden) und freuen sich, wenn sie im Verlauf des Abends bemerken, dass ihnen bestimmte lustige Szenen bekannt vorkommen. Jugendliche schmunzeln darüber zwar auch noch, sie können aber bereits den Witz belachen, der aus der Überlagerung von zwei Inhaltsebenen entsteht. Denn zum einen nehmen sie an einer Probe und zwei Aufführungen einer englischen Provinztheatertruppe teil, die mit dem Stück „Nackte Tatsachen“ so bedeutende Bühnen wie jene in Weston-super-Mare und Ashton-under-Lyne beehrt (die Orte gibt es wirklich!). Zum anderen ist ihnen klar, dass die auftretenden Personen in Wirklichkeit Schauspielerinnen und Schauspieler sind (Anke Teickner, Sophie Lüpfert, Sandra Maria Huimann, Dörte Dreger, Michael Berndt, Holger Uwe Thews, Michael Heuser, Matthias Henkel und David Müller), die nicht nur die ihnen zugedachten Rollen und Funktionen der Inszenierung von „Nackte Tatsachen“ ausfüllen, sondern nebenbei und zunehmend mehr als Privatpersonen (Dotty Otley, Brooke Ashton, Belinda Blair, Poppy Norton-Taylor, Garry Lejeune, Frederick Fellowes, Selsdon Mowbray, Lloyd Dallas und Tim Allgood) in Erscheinung treten. Erwachsene Theaterbesucher schließlich goutieren mit stillerem Behagen die Ränkeschmiede und Eifersuchtsdramen innerhalb der „englischen“ Schauspieltruppe, die im zweiten und dritten Teil der Aufführung einen bisweilen komischen, bisweilen tragikomischen, in jedem Fall aber amüsanten Subtext zu den „Nackten Tatsachen“ formulieren, die ja auch weiterhin aufgeführt werden, wenngleich recht schnell die Grenze von „Aufführung“ zur „Farce“ überschritten wird.
Das Bühnenbild (Ella Späte) orientiert sich an den Vorgaben des Autors, weshalb eine gewisse Austauschbarkeit nicht nur unvermeidbar, sondern sogar zwingend nötig ist. Einige langjährige Theaterbesucher werden denn auch eine große Ähnlichkeit mit dem Bühnenbild vom Februar 2000 festgestellt haben, als der „Nackte Wahnsinn“ erstmalig in Radebeul zu sehen war (von der damaligen Inszenierung ist nur Michael Henkel auch dieses Mal als Akteur vertreten, sowie Ella Späte, die damals die Kostüme besorgte). Den Akteuren auf der Bühne bzw. im Regiesessel inmitten des Publikums (Matthias Henkel spielt Lloyd Dallas, den Regisseur der „Nackten Tatsachen“) werden eine immense Konzentrationsfähigkeit und darstellerische Professionalität abverlangt, damit die Summe aus gespieltem schauspielerischen Dilettantismus von Dotty und Co. und den ihnen zugedachten Bewegungsmustern und Laufwegen am Ende auch wirklich einen Wahnsinnsspaß ergibt. Dicke Pluszeichen in dieser Gleichung haben meiner Wahrnehmung nach Sophie Lüpfert, Anke Teickner und Michael Berndt gesetzt, dessen körperliche Präsenz und stimmliche Intensität mich zum wiederholten Mal beeindruckten.
Es ist zu vermuten, dass die Landesbühnen mit dieser vom Premierenpublikum frohgelaunt beklatschten Produktion sowohl im Stammhaus (nächste Aufführungen am 21.3., 7.4., 1.5.) als auch auf ihren Gastspielreisen (Erfurt, 30.3.) für Freude sorgen werden; es also besser machen als Lloyds Compagnie, deren Tournee durch die britische Provinzbühnen mit den „Nackten Tatsachen“ in einem künstlerischen Desaster endete.

Bertram Kazmirowski

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