Über die/den Dächer/n von Radebeul

Nein, es ist keine Radebeuler Variante zu dem Film „Über den Dächern von Paris“; wenn Sie das bedauern, sollten Sie rasch weiterblättern. Unsere Stadt hat u.a. einen Vorzug gegenüber vielen Orten, nämlich, dass man sie auch in der 3. Dimension, also von oben, erleben kann. Ob von der Oberlößnitzer Aussicht, dem Spitzhaus, beim Bismarckturm, der Friedensburg (geht leider gerade nicht), dem Wasserturm, Jakobstein, der Wettinshöhe oder dem Zechstein, man schaut in immer wieder anderen Blickwinkeln auf Radebeul und damit natürlich auch auf seine Dächer. Wir erinnern uns an Zeiten, da waren fast alle Dächer grau von Dachpappe oder Preolithschindeln – paradoxerweise hatte da aber die Friedensburg als Gaststätte noch geöffnet, wenn auch der Kaffee nach „Bliemchen“ schmeckte und Alulöffel dabei lagen, aber ich will nicht vom Thema abschweifen.

Blick vom Minckwitzschen Weinberg

Blick vom Minckwitzschen Weinberg


Wie waren unsere Dächer früher, also ganz früher, sagen wir im 18. Jahrhundert? Da waren die Dorfkerne, mit einfachen Bauernhäusern, wenigen Gasthöfen und in einem Falle einer Kirche, noch deutlich durch Feldflure oder Weinberge voneinander abgegrenzt, dazu noch ein paar verstreute Winzer- und Herrenhäuser – keine Wohn- und Geschäftshäuser, keine Mietshäuser und keine Villen. Man deckte damals in Sachsen und auch andernorts stets die Dächer mit am Ort vorhandenem Material: hier Schilf oder Stroh, dazu zunehmend keramische Deckungen, also diverse Formen von Biberschwänzen (kleine, flache Tonziegel). Erstere waren oft mit Schuld an Großbränden in den Dörfern und mussten auch ohne Brände regelmäßig erneuert werden; teurer aber auch sicherer waren da schon die sich allmählich durchsetzenden Ziegeldächer. Im Elbtal gab es viele Tongruben für die Ziegelherstellung, so auch in Kötzschenbrodaer Flur – das ist lange vorbei, heute erinnert daran nur noch die Wegebezeichnung Ziegeleiweg. Für Naturschiefer bestand in Sachsen keine natürliche Grundlage und hohe Transportkosten scheute man, auch Holzschindeldächer wie im Erzgebirge dürften in der Lößnitz nicht typisch gewesen sein.
Dass in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Radebeuler Dachlandschaft dann doch Schiefer auftauchte, hatte verschiedene Gründe. Das erstarkende Bürgertum hatte einen Bedarf an repräsentativem Wohnen, dem durch den Bau von Villen in Gartengrundstücken auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen entsprochen wurde. Bei vielen Villen in Ober- oder Niederlößnitz wurde es nun üblich, diese mit Schiefer zu decken, auch als Zeichen, dass man sich das leisten konnte. Schiefer gab es in Sachsen nicht in abbauwürdiger Menge, so dass er aus Thüringen, dem Rheinland oder von der Mosel geholt werden musste. Die rasante Entwicklung der Wirtschaft und besonders des Verkehrswesens (1. sächs. Eisenbahn 1839) machten diese Transporte von Schiefer nach Radebeul möglich. Schließlich bewirkte auch der Ausbau des europäischen Handels, dass Schiefer sogar aus England oder Spanien hier angeboten wurde. Auch sollen bei Schiefer Reparationsleistungen Frankreichs an Deutschland nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 eine Rolle gespielt haben.
Gleichzeitig bewirkte die industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert auch, dass die Dachziegelindustrie in Sachsen einen Aufschwung nahm, Produktionsmengen wurden gesteigert, Dachziegelformen, -größen und -farben entstanden neu. Außer den bekannten kleineren Biberschwänzen (Plattenziegel) tauchten jetzt diverse, Falzziegel in größeren Formaten und zT. auch glasiert auf dem Markt auf. Andere Formen wie zB. „Mönch und Nonne“ (konkav und konvex verlegte Hohlziegel) setzten sich hier nicht durch und blieben auf andere Regionen beschränkt. Historisch gesehen spielten auch komplette Blechdächer bei uns keine Rolle, jedoch wurde Blech auf Türmen, Gaupen und Dachteilbereichen durchaus eingesetzt.
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Nach 1945 gab es bei den bisher für Radebeuler Dächer üblichen Materialien – ich schätze den Anteil von keramischen Dächern mit 60-70% und den von Schieferdächern mit 30-40% ein – Engpässe, die bis 1989 nie ganz abgebaut wurden. Neue, bzw. Ersatzmaterialien wie Betondachsteine und glasfaserverstärkte Bitumenschindeln dominierten auf dem Markt der DDR. Bei den „Bibern“ bekam man mit viel Glück eine 2. oder 3. Wahl (entspricht Fehlbrand), die gute 1. Wahl wurde exportiert. Schiefer war praktisch nicht mehr zu haben, fast alle Schieferdächer erhielten in dieser Zeit als Ersatz die Bitumenschindeln. Man kriegte zwar die meisten Dächer dicht, doch der ästhetische Eindruck besonders beim Blick von oben litt darunter. Auch bei den damals ca. 300 Denkmalobjekten in Radebeul mussten hinsichtlich einer neuen Dachdeckung oft unbefriedigende Kompromisse gemacht werden, da waren die Siedlerfalzziegel anstelle von Biberschwänzen nicht mal die schlechtesten.
Dann kam die Wende und mit ihr ein breites Materialangebot auch für Dachdecker – Biber ja, aber von welcher Firma, welches Format, welche Farbe, mit Glasur oder ohne und zu welchem Preis? Ähnlich war’s beim Schiefer, den konnte man nun aus Deutschland, Spanien oder China beziehen, welcher war wofür richtig?
Hinzu kam 1991 eine neue Denkmalliste für Radebeul, ich glaube es waren anfangs über 4000 Kulturdenkmale. An Dachdeckerfirmen hatte Radebeul zum Glück keinen Mangel, die frühere PGH Empor konnte als Radebeuler Dachdecker GmbH weiter bestehen, hinzu kamen 5 oder 6 kleinere private Firmen. Die meisten Dachdecker konnten mit handwerklichem Geschick den Standard, aber auch spezielle denkmalpflegerische Wünsche erfüllen, wie den Einsatz von Turm- oder Klosterbibern, sowie gelegentlich auch zweifarbige Schieferverlegung. Aber ich erinnere mich auch noch an die Mühen, bis die erste Fledermausgaupe fertig war; in 40 Jahren DDR verlernt man so was schon mal!. Hierbei sollte sich der Dachdecker auf seinen Zimmermann-Kollegen absolut verlassen können. Man musste sich aber auch damit abfinden, dass traditionelle sächsische Hersteller von keramischen Ziegeln wie Kodersdorf bei Görlitz oder Forberge bei Riesa aus unterschiedlichen Gründen schließen mussten – Großbetriebe wie Creaton beherrschten nun den Markt.
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Radebeul hat inzwischen einen recht hohen Prozentsatz sanierter Häuser, darunter eine große Zahl von Denkmalen, aber ebensolche Häuser, die diesem Schutz nicht unterstellt wurden. Das Ergebnis zeigt sich dem Betrachter von oben: eine farbliche Mischung von Dächern in Rot bis Braun (Ziegeldächer), Blau bis Schwarz (Schiefer) und nur noch wenig Grau! Das ist, wie mir auch Besucher Radebeuls bestätigten, immer wieder ein erfreulicher Anblick, viel besser und auch lebensfroher als 1989. Es herrscht keine farbliche Monotonie und ist in der Mischung letzten Endes ein Charakteristikum von Radebeul. Im Stillen war ich auch immer den Hauseigentümern dankbar, die, obwohl sie kein Denkmal hatten, hinsichtlich der Dachdeckung eine fachlich richtige Entscheidung trafen, angeregt durch einen Blick in Großvaters Fotoalbum, dem guten Rat eines Dachdeckermeisters folgend oder durch eigene richtige Entscheidung das Material nach Langlebigkeit und Ästhetik auswählten ohne dabei die Finanzen aus dem Auge zu verlieren. Da in Radebeul bekanntlich nicht nur Millionäre wohnen, wird es aus sozialen Gründen auch künftig ein paar preiswert und auch grau gedeckte Dächer geben.
Im Mittelpunkt standen bei uns natürlich immer die Dächer der Radebeuler Kulturdenkmale. Wichtig war dabei, dass wir bereits im Vorfeld einer solchen Maßnahme ein oder mehrere Gespräche im Dreieck mit Bauherrn, Handwerkern und den Vertretern von Denkmalpflege / Denkmalschutz führen und rechtzeitig die Weichen in die richtige Richtung stellen konnten. Das funktionierte besser als in den Fällen, wo wir als Erstes ein fertiges Angebot vorgelegt bekamen und dann durch Auflagen eine denkmalgerechte Dachdeckung erreichen mussten. Aus der Vielzahl der Fälle erinnere ich mich an die Neudeckung der Roseggerschule, des Berghauses Neufriedstein (beides Radebeuler Dachdecker GmbH) oder die Deckung der Wohnhäuser Blumenstraße 9, zweifarbiger Schiefer (Dachdeckermeister Stefan Zscherpe) sowie Borstraße 19, Rechteck-Doppeldeckung parallel zu First und Traufe. Manchmal standen wir auch vor schwierigen Entscheidungen hinsichtlich des angebotenen Materials: hier war für Altkötzschenbroda 21, Auszugshaus, ein französischer Biber da, der von vornherein eine farblich gealterte Oberfläche hatte oder im Falle der Weinbergstraße 20a ein deutscher Falzbiber, der verlegt so aussah, als wäre es ein altes Spließdach, was es aber natürlich nicht war. Beides wurde ausprobiert, hat sich aber in der Denkmalpflege nicht durchgesetzt. Am authentischsten waren aber die wenigen Fälle, wo Dächer nur denkmalgerecht repariert wurden, d.h., noch brauchbare Biberschwänze wurden wieder verwendet und ggf. ergänzt durch passende andere historische Biber, so geschehen auf der Winzerstraße 83, der Horst-Viedt-Straße 11 und Weinbergstraße 28. Das setzt jedoch das entsprechende Wollen des Bauherrn voraus, denn der Dachdecker wird sich hier hinsichtlich einer Garantie eher bedeckt halten.
Des Öfteren standen wir auch vor der Frage, welche anderen neuen Produkte der Ziegelherstellung können am Denkmal eingesetzt werden? Die Ortgangsteine sind zweifellos eine sinnvolle Erfindung, vor allem, wenn man die Dachfläche heute dämmen möchte. Doch darunter gibt es wuchtige Exemplare und solche, die in der Ansicht schmaler sind. Erstere wurden regelmäßig von uns abgelehnt, letztere konnten an ein paar Häusern aus dem 20. Jahrhundert realisiert werden. Keramische Spaßartikel wie Hähne, Katzen oder Schlafwandler haben aber auf dem First eines Denkmals nichts zu suchen. Auch der Einsatz von Dachflächenfenstern auf einem Denkmal wurde oft diskutiert – eine geringe Anzahl kleinerer Größen war meist kein Problem, die ganz großen wurden nicht genehmigt.
Was erkennt man aus dem Geschilderten? Eine Dachdeckung will immer gut bedacht sein! Bis man für ein konkretes Haus die richtige Lösung gefunden hat, braucht es manchmal mehrere Gespräche und es muss auf allen Seiten ein Spielraum, also eine gewisse Verhandlungsbereitschaft da sein – Denkmale sind oft so verschieden, dass es kaum Patentlösungen gibt. Und ein Denkmalpfleger muss auch bereit sein, mal mit aufs Gerüst zu steigen, man lernt selbst dabei oder hat die Möglichkeit, wenn nötig, noch eine Korrektur zu verlangen.
An diese manchmal mühsame, doch meist fruchtbringende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Dachdecker-Handwerkern und Denkmalpflegern in Radebeul erinnerte ich mich während eines unverbindlichen Gesprächs mit Herrn Klaus Burgold, dem Chef der Radebeuler Dachdecker GmbH, im März dieses Jahres, ich danke ihm dafür.

Dietrich Lohse

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