Unvergessen – Erinnerungen an den Radebeuler Pfarrer Eberhard Gehrt

Eberhard Gehrt ging stets auf die Menschen zu. Und er fand auch immer die richtigen Worte. Er kannte ihre Sorgen, er wusste um ihre Nöte. In seiner so überaus lebendigen Art stellte er Fragen und gab Antworten. Er half! Mit Rat und mit Tat. Er besuchte auch unsere Familie. Und wir trafen ihn sehr oft unterwegs. Wenn es Not tat, suchten wir ihn und seine Frau Roswitha auch zu Hause auf. Was mich als Freund des Mediums Kino besonders freute; beide gingen sie sehr gern ins Kino. Unser Radebeuler Filmklub zeigte auf Wunsch für die Friedenskirchgemeinde geeignete bzw. gewünschte Filmkunstwerke. Diese Vorstellungen waren generell immer ausverkauft. Unter den verschiedensten Filmen genossen zwei Filme die besondere Anteilnahme dieses Publikums. Das war zum einen der bei der DEFA unter der Regie von Ralf Kirsten im Jahr 1971 entstandene Streifen »Der verlorene Engel«. Er erzählt über Leben und Werk des großartigen Bildhauers Ernst Barlach. Und das war zum anderen der Film »Hiob lehnt sich auf« – eine Co-Produktion zwischen Ungarn und der BRD in der Regie von Imre Gyöngyässi/Barna Kabay. Darin adoptiert ein jüdisches Ehepaar einen siebenjährigen Jungen mit christlichem Glauben. Retten können sie ihn aber nur, indem sie ihn verleugnen. Viele Jahre später – der Radebeuler Filmklub existierte längst schon nicht mehr – traf ich Pfarrer Gehrt einmal bei der Jahresversammlung des Vereins »Vorschau+ Rückblick«. Dort zu sein gehörte für ihn zur Normalität, denn er nahm immer regen Anteil am Kulturleben unserer Stadt. Und fast immer meldete er sich auch zu Wort; sparte nicht mit guten Vorschlägen, kritisierte aber auch, wo es notwendig war. In zahlreichen Vorschau- Heften kann man heute noch seine wertvollen Beiträge lesen. Er schrieb über die Religionen und über die Kirche selbst; schrieb sowohl über Heimat als auch über die weite Welt. Er wusste von Traditionen, kümmerte sich aber auch um das Aktuelle. Viele erinnern sichheute noch an seinen herzhaften Humor und an seine Lebensbejahung. Und, man hat immer noch sein offenes Lachen im Ohr. Damals arbeitete ich in einer bekannten und leistungsfähigen Druckerei in Radebeul. Sie trägt inzwischen den Namen »Lößnitzdruck«. Damals konnten wir uns meistens vor Arbeit kaum retten. Ich war als Auftragsbearbeiter und Kalkulator beschäftigt. Den Ausgleich für diese vorwiegend sitzende Tätigkeit boten das Radfahren und das Schwimmen. Oder auch in der Mittagspause ein kurzer Spaziergang in die nähere Umgebung. Damals gab es noch »Eis Neumann« und auch das große, alte Postamt war noch in Betrieb. Ich wanderte zur Buchhandlung Sauermann oder ging ins Reformgeschäft Backhaus. An diesem Tag nun führte mich mein Weg in die »Adler – Apotheke« auf der Moritzburger Straße. Ich hatte ein Rezept eingelöst und wollte zurück in meinen Betrieb. Vor der Tür der Apotheke aber stand Pfarrer Gehrt; er war mit seinem Motorrad unterwegs. Wir begrüßten uns und er meinte »Warten Sie einen Moment, ich will nämlich dann noch in die Druckerei, da kann ich Sie gleich mitnehmen!« Das Angebot kam für mich überraschend und war ebenso ungewohnt. Durch mein fast tägliches Radfahren hatte ich bisher kaum Gelegenheit gehabt, auf einem Motorrad zu sitzen. Doch ablehnen wollte ich sein Angebot nicht. Es war eine sehr kurze Fahrt, für mich war sie dennoch rasant. Ich habe mich gut festgehalten, war aber dennoch froh, nach dem »Herunterklettern« vor der Druckerei zu stehen. Als ich abends dann meiner Frau von dieser Tour mit Pfarrer Gehrt erzählte, staunte sie nicht schlecht. »Du bist wirklich auf dem Mottorad gefahren?« Ich nickte nur. Da sagte sie noch »Ich kann mir aber denken, was er leise gesagt hat, als Du aufgestiegen bist: Mit Gott!«

Joachim Richter

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