Gedanken über die Elbe hinüber – gibt es etwas Verbindendes?

Prof. Högg

Prof. Högg an seinem 80. Geburtstag 1947

Ein Fluss von der Größe der Elbe bei Dresden kann schon trennend wirken für Städte und Dörfer am linken und rechten Ufer. Die Menschen haben aber über die Jahrhunderte bis heute immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, um diese Trennung zu überwinden.
Da wir uns in der Redaktion seit diesem Jahr vorgenommen haben, Vorschau & Rückblick auch „drüben“ anzubieten, wollen wir auch Themen von dort, also über Gohlis, Cossebaude oder Niederwartha, aufgreifen. Mein heutiges Anliegen ist es, ältere Verbindungen über die Elbe im Raum Radebeul skizzenartig darzustellen und ein Thema – das Pumpspeicherwerk Niederwartha und seine Schöpfer – deutlicher herauszuarbeiten.
Eine wichtige historische Verbindung erfolgte 1645: dem Waffenstillstand der Schweden mit den Sachsen im Pfarrhaus von Kötzschenbroda ging eine Vorverhandlung in Cossebaude voraus bis schließlich der Dreißigjährige Krieg 1648 mit dem Westfälischen Frieden endgültig beendet werden konnte.
Die älteste Verbindung zwischen Kötzschenbroda und Cossebaude dürfte eine Furt, eine Stelle am Fluss an der Wagen und Gespanne diesen bei Normalwasser queren konnten, gewesen sein. Das war nicht ungefährlich, aber im Mittelalter auch andernorts durchaus üblich. Ich vermute diese Furt am untersten Ende der Bahnhofstraße, da, wo der Elbradweg in die Streuobstwiesen abbiegt. Genau da steht ein Sandstein-Wegweiserstein aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, leider über die Jahre stark beschädigt und was die Schrift anbetrifft, kaum lesbar. Noch im 18. Jahrhundert waren Kötzschenbrodaer Bauern von den Wettinern als Landesherren verpflichtet worden, etliche Sensen- und Sicheltage im Jahr im Bereich des kurfürstlichen Vorwerks Ostra (Ostragehege) zu erbringen – wie kamen sie über die Elbe? Die nächsten Brücken waren zu der Zeit in Dresden oder in Meißen.
Von alters her gab es natürlich auch Fähren zur Querung der Elbe. An Personenfähren zwischen Serkowitz und Gohlis und im Raum der späteren Berliner Eisenbahnstrecke werden sich einige noch erinnern, eine Wagenfähre gibt es heute noch bei Coswig. Man erkennt, um eine Wagenfähre zu erreichen, musste man schon mal Umwege fahren. Fähren waren auch nicht immer einsetzbar, bei Hochwasser oder Eisgang etwa. Aber schließlich entstand 1875 bei Niederwartha eine Eisenbahnbrücke, die neben den Gleisen auch eine schmale Fahrspur für Fuhrwerke und später auch Autos erhielt. Noch am 8. Mai 1945 wurde diese Brücke gesprengt, sinnlos, denn da war der Krieg längst verloren. Die Reparatur der Brücke hatte zunächst nur das Ziel, den Eisenbahnverkehr wieder zum Laufen zu bringen. Viel später erst wurde eine Spur für Fußgänger und Radfahrer errichtet. Fahrverkehr für PKW und LKW über die Elbe war erst seit Dezember 2011 durch die neue Straßenbrücke wieder möglich.

7-pumpspeicherwerk-II

PSW Verwaltungsgebäude 1930


Ein Phänomen waren aber auch die „überelbischen“ Besitzungen von Bauern aus Naundorf und Kötzschenbroda. Es waren Streifenfluren am späteren Niederwarthaer Brückenkopf, die seit der frühen Neuzeit (etwa 16. Jahrhundert) bestanden. Bauer Karl Reiche (Altkötzschenbroda 45) erinnert sich, dass er als Kind zusammen mit seinem Vater auf der anderen Elbseite Heu gemacht und es dann mit dem Pferdewagen über die Brücke rübergeholt hatte. Die „überelbischen“ Wiesen (etwas über 50 ha) sollten 1928 den Radebeuler Bauern bis auf eine kleine Restfläche für den Bau eines Pumpspeicherwerkes genommen werden. Da die Bauern damit nicht einverstanden waren, folgte ein Rechtsstreit, der erst 1952 offiziell beendet wurde. Das Werk und vor allem das große Unterbecken wurden trotzdem gebaut.
Ältere Stadtpläne zeigen noch den alten Grenzverlauf mit „unseren“ Wiesen auf der linken Elbseite, spätere Pläne (so 1957) lassen nur einen schmalen, praktisch nicht nutzbaren Streifen direkt an der Elbe erkennen und nach 1989 fehlt dieser dann auch – die Grenze zwischen Dresden und Radebeul verläuft nun sinnvoller Weise in der Flussmitte.
Da fällt mir gerade eine elbübergreifende Kindheitserinnerung ein. Es dürfte 1952 gewesen sein, als ein Klassenausflug von Oberlößnitz zum Osterberg auf dem Plan stand. Damals wurde die Gaststätte auf dem Osterberg noch bewirtschaftet und außer Gaudi gab es grüne Faßbrause.
Eine die Elbe übergreifende Idee, genauer gesagt ein Projekt, war schließlich der Bau des Pumpspeicherwerkes in Ober- und Niederwartha, weil zwei damals in Radebeul lebende Architekten, Prof. Emil Högg und Dr. Friedrich Rötschke, den Auftrag für die Planung der Großbaustelle am linken Elbufer bekamen. In ihrem Dresdner Büro arbeiteten sie daran von 1929 – 30 (Restarbeiten noch bis 1933). Die technischen Möglichkeiten eines Pumpspeicherwerkes unter Ausnutzung der topografischen Verhältnisse, also durch bewusste Steuerung den richtigen Zeitpunkt zu finden, wann das Wasser vom Oberbecken ins Unterbecken fließen muss, damit der Strom aus dem Pumpspeicherwerk dann fließt, wenn die Stadt den größten Strombedarf hat, war im Murgtal in der Schweiz bereits zwischen 1914 und 18 getestet worden. Der Unterschied bestand in der Größenordnung: das Murgwerk lieferte max. 22 MW, das PSW Niederwartha 1930 dagegen 132 MW Strom, das ist mehr als das Fünffache! Das Herz der Anlage waren sechs Turbinen der Fa. AEG, die durch Umschalten auch als Pumpen arbeiten konnten – die Technik ist über die Jahre erneuert, bzw. erweitert worden, ich glaube, zuletzt sah ich noch eine letzte AEG-Turbine. Für das technologische Projekt waren andere Ingenieure zuständig, Högg und Rötschke lieferten die baulichen Hüllen dazu. Ob sie auch für die Einordnung der Gesamtanlage in die Landschaft verantwortlich waren, kann ich nur vermuten. Fest steht aber, dass dieser Industriebau eine der größten Aufgaben im Büro Högg (u.a. Kraftwerk Böhlen oder Fotowerk Ernemann in Dresden) gewesen ist. Professor Högg, über dessen Leben und Wirken ich bereits in Heft 8, 1994, V&R schrieb, näherte sich sehr vorsichtig dem modernen Bauen im 1. Viertel des 20. Jh. an. So wetterte er in einer seiner frühen Publikationen über Häuser mit Flachdächern, die nichts in Deutschland zu suchen hätten, ja, er beschimpfte diese Art zu bauen als Kameltreiberhäuser! Diese starre, wohl auch nationalistische Haltung überwand er jedoch bei den Bauten des Pumpspeicherwerkes und kommt hier der Bauhausarchitektur recht nahe. Vielleicht war das der Einfluss seines jüngeren Partners Rötschke. Dass er hier Klinkersteine für die Fassaden verwendete, hängt wohl mit seiner Schaffensphase in Bremen (1904-11) zusammen – in Norddeutschland haben Klinker eine lange Tradition. Ein besonderer gestalterischer Reiz wird in Niederwartha dadurch erreicht, dass die Klinker abweichend vom klassischen Ziegelverband bildhaft-geometrische Muster zeigen. Technologisch bedingte Bauteile werden in Sichtbeton von den Klinkerflächen abgesetzt. Horizontale Fensterbänder schaffen helle Räume und gliedern zusätzlich die großen Fassaden. Spaziergänger und Vorbeifahrende empfinden das Gebäudeensemble des Pumpspeicherwerkes immer noch als moderne Architektur, und das noch nach mittlerweile über 80 Jahren! Von den Radebeuler Höhen nimmt man dagegen als erstes die spiegelnde Wasserfläche des Unterbeckens wahr.
Eine andere Verbindung über die Elbe hat sich daraus ergeben, dass wir seit Jahrzehnten über eine 110-KV-Freileitung Strom vom an das Pumpspeicherwerk angeschlossenen Umspannwerk beziehen. Welche künftigen Absichten die schwedische Firma Vattenfall mit dem Pumpspeicherwerk hat, ist derzeit in Diskussion. Hier spielen die aktuelle Preispolitik und spezielle Bindungen von erzeugtem Strom eine eher negative Rolle, was wiederum die geniale Erfindung von Pumpspeicherwerken leider in Frage stellt. Ich hoffe, dass die Unterschutzstellung der Anlage als Kulturdenkmal einen Erhalt bei gleichzeitiger Nutzung sichern wird.

7-pumpspeicherwerk-I

Fertiggestellte Turbinenhalle 1930

Ich hoffe weiterhin, dass die neue Straßenbrücke weitere gute nachbarschaftliche Beziehungen über die Elbe hinweg befördern kann und dass die Probleme von fehlenden Folgemaßnahmen zur Anbindung des südlichen Brückenkopfes an die Autobahn bzw. an Dresden (es hängt, glaube ich, am Geld) bald gelöst werden.
Fazit: Trotz breiter Elbe gibt es m.E. mehr Verbindendes als Trennendes!
Ich bedanke mich herzlich für Unterstützung und Information bei Frau Moosche (Tochter von Dr. Rötschke, Radebeul), Frau Butze aus Cossebaude, Herrn Karl Reiche (in Kötzschenbroda nur als „Bauer Reiche“ bekannt), Herrn Andert, Radebeul und Herrn Lange (Leiter des Radebeuler Kulturamtes).

Dietrich Lohse

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Ein Kommentar

  1. Harald Wennerlund
    Veröffentlicht am Mo, 2. Jun. 2014 um 13:17 | Permanenter Link

    Danke für diesen schönen Beitrag.

    Auch dieser (wie schon der zum Mäuseturm) weckt Kindheitserinnerungen in mir.
    Er war die Zeit, als man noch mit der Gohliser Fähre zur Windmühle zum Kaffee trinken bzw. auf eine Faßbrause fuhr. Es muss so um ca.1960 gewesen sein. In der Windmühle befand sich damals ein Museum, an das ich mich noch erinnern kann.
    Ein besonderes Erlebnis ist mir in Erinnerung.
    Ich stand mit meiner Mutter am Ufer auf Radebeuler Seite. Die Fähre kam auf unsere Seite zu. Plötzlich Hektik auf dem Boot und große Aufregung. Das Seil war gerissen! Ein seltenes Vorkommnis, der Fährmann warf den Anker um das Abtreiben zu stoppen.
    Wie die Sache gelöst wurde, weiß ich nicht mehr, nur das wir es sehr bedauerten, nicht auf dem Schiff gewesen zu sein!
    An die Fähre an der Niederwarthaer Brücke kann ich mich auch noch erinnern.
    Eine Institution in Cossebaude war auch die Dahlienschau Teschendorf. Sie war zu der entsprechenden Zeit in aller Munde.

    Es ist schön, dass die Flussübergreifende Beziehung mit Eingang in V&R findet.
    Sind doch die linkselbischen Täler noch heute ein beliebtes Wandergebiet.
    Saubachtal und Tännichtgrund sind mir auch gut in Erinnerung, unternahm meine Mutter mit mir viel in dieser Richtung.
    Das Pumpspeicherwerk grüßt nach wie vor, wenn man mit den Zug ins Elbtal einfährt. Das gehört mit zur Heimat, sieht man es doch vor Radebeuler Flur fast aus jeder Richtung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Harald Wennerlund

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