Beitrag zur Veranstaltung „Häuser und ihre Besitzer“

verein für denkmalpflege und neues bauen

Im Retzschhaus zu Gast

Es will gesehen werden, das fast 400 Jahre alte und in schönen warmen Farben restaurierte Winzerhaus der Familie Seifert/Tichatschke auf der Weinbergstraße 20. Mit seiner Süd-Westkante und dem turmartigen Vorbau schiebt es sich in die sanft ansteigende Straße und bildet somit einen dominanten Blickpunkt, aber auch einen Ort zum Verweilen.

Foto: G. Täubert

Foto: G. Täubert


Den meisten Radebeulern ist dieses Gebäude bekannt und viele wissen, dass der Name des Hauses auf den Kunstmaler und späteren Professor an der Dresdner Kunsthochschule Moritz Retzsch (1779-1857) zurückgeht, genau auf den, der 1840 die Vorlagen für den „Großen Winzerzug“ schuf.
Detail an der Süd-Westkante Foto: G. Täubert

Detail an der Süd-Westkante
Foto: G. Täubert


Weniger bekannt ist sein älterer Bruder, August (1777-1835), der in Dresden gemeinsam mit Caspar David Friedrich studierte und Landschaftsmaler wurde. Und die Wenigsten wissen, dass das Retzschhaus nur ein Jahr jünger als das Schloss Hoflößnitz ist. Die erste eingeschossige Fassung bzw. der ursprüngliche Kernbau des Retzschhauses geht auf das Baujahr 1649 zurück. Das Datum kann man auch in der restaurierten Wetterfahne finden.

Die fast 400-jährige Baugeschichte des Weingutes und die Geschichte seiner Besitzer war der Anlass für die diesjährige Sommerveranstaltung „Häuser und ihre Besitzer“ des Vereins für Denkmalpflege und Neues Bauen. Wir hatten Glück, der 12. Juni war ein wirklicher Sommertag, mit einem Abend, wie er schöner in der Oberlößnitz nicht sein kann: warm, klar, sonnig und windstill – ein Abend, den man am liebsten bei einem Glas Wein und in netter Gesellschaft verbringt.

Und so war es auch. Die Gastgeber, Frau Seifert und Herr Tichatschke, hatten nicht nur einen wunderschönen lauschigen Platz für unsere Veranstaltung in ihrem Garten gewählt, sondern sich auch gut auf die Geschichte ihres Hauses vorbereitet. Herr Dr. Löschner als verantwortlicher Architekt für die Rekonstruktion hatte am großen Tisch genug Platz, seine Pläne und Unterlagen auszubreiten und Zeit genug, um uns allen den Prozess der Restaurierung nacherlebbar zu machen.

Erläuterungen im Garten des Retzschgutes Foto: F. Kratz

Erläuterungen im Garten des Retzschgutes
Foto: F. Kratz


Herr Koschnik unterstützte die Veranstaltung mit einem graphischen Original des Winzerzuges von 1840 und Herr André Schröder gab uns detaillierte Informationen zur Geschichte der ehemaligen Besitzer des Hauses. Danach boten die Hausherren zwei Führungen durch ihr Haus an, bei der alle Besucher auch eine orginale Tür von 1649 bewundern konnten.

Viele Vereinsmitglieder und Freunde waren gekommen. Alle zeigten sich beeindruckt von dem, was Bauherren und Architekten zwischen 2003 und 2008 geleistet hatten.

Wein gab es am Ende des Abends natürlich auch und als Dankeschön an die Hausherren eine kleine Zeichnung von Thilo Hänsel und eine große Hortensie, beides gedacht als Erinnerung an unsere schöne Veranstaltung, die von einigen Besuchern bis in die sommerliche Dunkelheit fortgesetzt wurde.

Damit von diesem Abend nicht nur ein schönes Gefühl bleibt, will ich für Sie, verehrte Leser, hier ein paar Fakten festhalten:

Die Gründer des ersten Winzerhauses sind namentlich nicht bekannt. Bekannt ist nur das Jahr der Gründung durch die alte im Renaissancestil gehaltene Wetterfahne, die die Initialen “EB“ sowie die Jahreszahl “1649“ aufweist.

1735 erwirbt ein Bergrat Lehmann das Grundstück. Vor seiner Zeit ist das Gebäude aufgestockt worden und hatte eine Außentreppe bekommen. Danach, ab 1744, besitzt die Familie Piscenius das Grundstück, aus der die Mutter von August und Moritz Retzsch stammt. Nach der Heirat mit dem Geheimen kurfürstlich-sächsischen Kriegsrat Gottlieb August Retzsch, der leider schon 1789 starb, verlebt die Familie viele Sommer hier in der Lößnitz.

Aus dem Erbe der Mutter kauft 1819 ihr inzwischen wohlhabender Sohn Moritz Retzsch das Haus. Schon sechs Jahre vorher veranlasste er eine Erweiterung auf zwei Stockwerke und einen Vorbau. Wenige Jahre später, im Jahre 1837, folgte eine dritte Erweiterung, eine Ummantelung mit einem Laubengang.

Moritz Retzsch, der von 1798 – 1804 an der Dresdner Kunsthochschule Historienmalerei studiert hatte, war als Zeichner und Maler großer Dichtungen weithin bekannt geworden. Auch Balladen von Goethe, Schiller und Shakespeare illustrierte er und Goethe schrieb ihm sogar persönlich.

Seit 1828 hatte er seinen Wohnsitz gänzlich in die Lößnitz verlegt. Er liebte das vertraute Land seiner Kindheit, die Weinberge hinter dem Haus, den freien Blick vom Spitzhaus, damals als Hohes Haus bezeichnet. Er liebte die Romantik des Lößnitzgrundes, der Mühlen, der Bäche, der Brücken und er liebte Christel, die Nachbarin und Gespielin seiner Jugendzeit.

In malerischen Tagebüchern hatten er und sein Bruder August „Die Bilder einer Kindheit“ festgehalten, 2007 vom Verlag der Kunst wieder aufgelegt. Moritz Retzsch stirbt 1857. Die kleine Gasse, die auf sein Haus zugeht, wird zur Erinnerung nach ihm benannt. 1866 erbt seine Witwe Christel, geb. Miersch, das Grundstück. 1870 erscheint ein neuer Besitzer in der Häuserkartei, J. C. Hildebrand, nach ihm die Familie Künzel. Seit 1893 ist das Weingut im Besitz der Winzerfamilie Weinhold. Und wieder wird das Haus verändert, die Galerie zugebaut, einige Dächer neu gedeckt. 1966 stirbt Marie Weinhold. Ihr Erbe geht an die Kinder, die im Haus wohnen.

1979 verzichten die Erben auf ihren Anteil, weil die geringen Mieteinnahmen die baulichen Instandsetzungsarbeiten nicht mehr tragen. Das Haus geht in kommunale Verwaltung über. Nach der Wende entschließt sich Inge Seifert als eine der Miterbinnen den Antrag auf Rückübertragung zu stellen. Ein Grund dafür war gewiss auch die Absichtserklärung eines Mieters, hier im Retzschhof eine Autowerkstatt einzurichten. 1997 wird Inge Seifert Eigentümerin. Nun muss das, was einst geteilt worden war, wieder zusammengefügt, aber auch alle Erben ausgezahlt werden. 1999 übernehmen ihre Tochter Kerstin Seifert mit ihrem Mann Michael Tichatschke das Haus. Beide wissen, dass eine umfassende Sanierung notwendig wird, aber sie ahnen kaum, dass das von 2002- 2005 dauern und viel Kraft, Geld und Eigenleistung erfordern wird.

Die baugeschichtlichen Recherchen des Architekturbüros Baarß+Löschner hierzu machen deutlich, dass beim Ausbau des Daches und beim Einbau einer großen nach Norden gerichteten Gaube, die wahrscheinlich durch Moritz Retzsch als Atelier genutzt worden war, wenig Rücksicht auf die Statik des Dachwerkes genommen wurden, so dass Einsturzgefahr bestand. Die Fehler der früheren Bauleute mußten handwerklich und statisch behoben werden, während die Familie auf einer offenen Baustelle leben musste, berichtete Herr Dr. Löschner und er betont auch, dass mit Herrn Lohse vom damaligen Denkmalamt der Stadt Radebeul immer wieder Lösungen für die Sanierung und den Ersatz der historischen Konstruktion gefunden werden mussten.

Der Erfolg der Sanierung wurde mit dem Bauherrnpreis der Stadt Radebeul im Jahr 2009 öffentlich anerkannt. In der Begründung heißt es u.a.: „Entstanden ist ein Wohnhaus mit einem besonderen Charme. Auf phantasievolle Weise ist hier ein altes Weingut mit einem Künstlerhaus verschmolzen worden“.

Und der alte Moritz Retzsch hat als kleine Skulptur mit Palette, Pinsel und Malstock, gestaltet von Detlef Reinemer, hier auch einen Platz gefunden – genau dort, wo sich das Haus ein wenig in die Weinbergstaße schiebt.

Gudrun Täubert

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